Freispruch für die Eltern: Bezirksgericht fällt Urteil – doch die wichtigste Frage bleibt offen
Die Verletzungen, die ein zwei Monate altes Mädchen davongetragen hat, deuteten auf ein «Schüttelereignis» hin. Doch im Prozess vor dem Bezirksgericht Zofingen sagten der Vater als auch die Mutter, sie hätten ihre Tochter nie geschüttelt oder fallen gelassen. Die Beziehung war offenbar keine glückliche, immer wieder kommt es zu Streit. Von zerschnittenen Kleidern bis hin zu Tritten gegen den Bauch während der Schwangerschaft und gar von einer Vergewaltigung ist die Rede.
Das gemeinsame Kind musste wegen verschiedenen Verletzungen immer wieder zum Arzt, bereits kurz nach der Geburt. Nach zwei Monaten folgt ein längerer Aufenthalt im Kantonsspital Aarau. Die Ärzte stellen mehrere Knochenbrüche und eine Hirnblutung fest.
Die Staatsanwaltschaft ging davon aus, dass die überforderte Mutter ihr Kind verletzt hatte. Im Zuge der Ermittlungen wird sogar die Wohnung abgehört, vermutlich bemerkt dies aber die Beschuldigte. Vor Gericht beteuert sie, sie fühle sich sehr wohl in der Mutterrolle und habe ihr Kind weder geschlagen, noch geschüttelt, noch fallengelassen. Die Staatsanwaltschaft verlangte eine teilbedingte Freiheitsstrafe von 3 Jahren.
Für den Vater wurde eine Geldstrafe gefordert, dieser hätte es merken müssen, dass das Kind immer wieder verletzt und die Mutter überfordert war, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft.
Verschiedene Beweismittel wurden nicht zugelassen
Die Staatsanwaltschaft erlitt am Mittwoch gleich zu Prozessbeginn einen herben Rückschlag: Der Verteidiger der Mutter stellte Anträge, um verschiedene Beweismittel auszuschliessen. Seine Mandantin sei zu wenig klar auf ihr Recht auf einen Anwalt hingewiesen worden, beim Verhör sei sie massiv eingeschüchtert worden, und bei einem informellen Gespräch mit einer Polizistin habe man sie nicht darüber aufgeklärt, dass die Aussagen gegen sie verwendet werden könnten.
«Dass die Verteidigung versucht, die Verwertbarkeit der Beweise anzufechten, zeigt doch nur, wie belastend die Aussagen sind», erklärte der Staatsanwalt am Mittwoch. Doch die Richter gaben der Verteidigung nach einer halbstündigen Beratung recht. Deshalb sind nun die Einvernahmeprotokolle und das Gespräch zwischen der Mutter und der Polizistin nicht mehr als Beweise zugelassen.
Die Aussagen vor Gericht, die Krankenakten und ein Brief, den die Mutter an die Staatsanwaltschaft geschrieben hat, sind alles, was bleibt. In diesem Brief erläutert sie, vermutlich seien die Verletzungen entstanden als die Katze auf das Baby sprang – nur eine von verschiedenen unglaubwürdigen Theorien.
Freispruch für Mutter und Vater
Nun hat das Bezirksgericht Zofingen sein Urteil verkündet. Der Vater wie auch die Mutter werden von Schuld und Strafe freigesprochen. Für das Gericht ist erwiesen, dass sie durch eine enge Bezugsperson mindestens zwei Mal erheblich geschüttelt wurde. «Es gilt aber zu beweisen, wer für welche Taten verantwortlich ist», erklärt Gerichtspräsident Thomas Meier.
Die Richter haben einstimmig entschieden. Es sei nicht ersichtlich, wie und warum der Vater die Verletzungen des Säuglings hätte erkennen müssen, sind diese doch auch verschiedenen Ärzten und der Hebamme nicht aufgefallen.
Man könne sich bei einer unklaren Beweislage nicht einfach auf die wahrscheinlichste Variante abstützen. In diesem Fall gebe es zwar Indizien. So hat die Mutter einen Brief mit unglaubwürdigen Erklärungsversuchen an den Staatsanwalt geschrieben. Es gebe aber auch Gegen-Indizien: «Der Vater hatte auch die Gelegenheit zur Tatbegehung. Zudem haben Sie sich Hilfe geholt bei ihren Eltern und einer Hebamme.» An der Verhandlung konnten die Zweifel an der Schuld nicht restlos ausgeräumt werden, deshalb gilt: Im Zweifel für den Angeklagten.
Auch wenn der Entscheid der Richterinnen und Richter absolut nachvollziehbar ist, bleibt ein ungutes Gefühl zurück. Die Ermittlungen waren aufwendig, brachten jedoch nicht die gewünschten Beweise, auch wenn kar ist, dass eine der beiden Beschuldigten für die die Tat verantwortlich ist. «Das Gericht wünscht dem Kind, dass es irgendwann von seinen Eltern erfährt, was wirklich passiert ist», schliesst Meier die Verhandlung.