Jacqueline Badran feiert überraschendes Volks-Verdikt aus Schaffhausen – und geisselt die Kantonsregierungen
Für die einen war es eine faustdicke Überraschung, für die anderen nur das jüngste Beispiel für die konservative Schaffhauser Seele: Vergangenen Sonntag versenkte die Schaffhauser Stimmbevölkerung den Axpo-Aktionärsbindungsvertrag und die neue Eignerstrategie des Stromkonzerns. 1812 Stimmberechtigte kippten am Ende ein Vertragswerk, an dem neun Kantone seit Jahren feilen und zu dem deren acht bereits zugestimmt hatten. Für den Stromkonzern mit Sitz in Baden ist es eine enorme Schlappe.
Eine aber sieht sich in ihrem jahrelangen Engagement gegen die Privatisierung von Grundversorgern bestätigt: Jacqueline Badran, Zürcher SP-Nationalrätin. Sie sagt: «Das ist die Quittung für die einst hinterrücks geplanten Bestrebungen, eine Teilprivatisierung durchzudrücken.» Was ist passiert?
Die Geschichte der Axpo beginnt mit den Anfängen der Elektrifizierung. 1895 rief ABB-Mitgründer Walter Boveri die Motor AG für angewandte Elektrizität ins Leben, um Wasserkraftwerke zu entwerfen und zu finanzieren.
Schon bald wuchs in der Bevölkerung der Wunsch, dass sich die öffentliche Hand an der Stromversorgung beteiligt. Während die Strommasten aus dem Boden schossen wie Pilze, formierten sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die NOK: die Nordostschweizerischen Kraftwerke, ein Zusammenschluss der Kantone Zürich, Aargau, Thurgau, Schaffhausen, Glarus, St. Gallen, Zug und der beiden Appenzell.
Vom Jahr 1914 datiert auch noch das Vertragswerk, auf dem die NOK – inzwischen in Axpo umbenannt – fusst. Aus dem Verbund von zwei Kraftwerken mit einer 27-Kilovolt-Leitung ist binnen eines Jahrhunderts eine global tätige Unternehmensgruppe geworden, das Kraftwerkparks in Spanien baut und Energiehandel in Singapur betreibt.
Es drohen finanzielle Engpässe
Mit einem neuen Aktionärsbindungsvertrag wollten die Eignerkantone auf ein zunehmend dynamisches Marktumfeld reagieren. Das neue Regelwerk hätte vorgesehen, dass sie Aktien an Dritte verkaufen können – anfänglich ohne Mitsprache der Kantonsparlamente. Der Stromkonzern erhoffte sich davon zusätzliche Mittel für anstehende Investitionen.
Nicht nur der Ausbau der Erneuerbaren in der Schweiz braucht Geld, auch der sogenannte Heimfall wichtiger Wasserkraftwerke könnte für den Stromkonzern zum kostspieligen Unterfangen werden: In den nächsten Jahren laufen zahlreiche Konzessionen grosser Wasserspeicher aus. Die Standortgemeinden können dann alle mit dem Wasser in Berührung stehende Teile übernehmen oder dieses sogenannte Heimfall-Recht als Druckmittel für lukrativere Konzessionsverträge nutzen.
In der Bevölkerung schürte die Suche nach zusätzlichen Finanzmitteln Ängste vor einem Kontrollverlust ans Ausland: In Schaffhausen warb das Nein-Komitee mit einer riesigen blauen Hand, die nach Strommasten greift: «Hände weg von unserem Strom» stand in Versalien auf Plakaten. Eine Botschaft, die verfing.
«Die Menschen wollen nicht, dass die wichtigsten Pfeiler der Grundversorgung in die Hände irgendwelcher Beteiligungs-Fonds oder chinesischer Staatsunternehmen geraten», sagt Jacqueline Badran, die der «Veruntreuung von Volksvermögen», wie sie es nennt, den Kampf angesagt hat.
«Für solche Investoren ist eine Beteiligung an ‹Too-important-to-fail-Betrieben› eine Win-win-Situation: Geht irgendetwas schief, wird am Ende immer der Staat geradestehen müssen.» In Zürich musste die Regierung deshalb das Vertragswerk nach Protesten aus dem Kantonsparlament überarbeiten, reüssierte dann jedoch im Oktober vergangenen Jahres.
Als die Axpo beim Bundesrat anklopfte
In Zürich wie auch Schaffhausen spielte der 6. September 2022 eine grosse Rolle in der Debatte. Damals gab der Bundesrat bekannt, dass er aufgrund von Marktkapriolen einen Rettungsschirm für die Axpo ins Leben ruft und dem systemkritischen Energieversorgungsunternehmen einen Kreditrahmen von vier Milliarden Franken in Aussicht stellt.
Fällig wurde dieser jedoch nicht: Schon bald hatte die Axpo ihren Liquiditätsengpass überwunden und strich hohe Rekordgewinne ein. Davon profitierten die Eignerkantone in Form von Dividenden.
Diese will Badran in die Pflicht nehmen: «Es geht nicht an, dass die Kantone das Energieunternehmen nur als Einkommensquelle betrachten. Wenn es zusätzliche Investitionen braucht, dann müssen diese auch dafür aufkommen. Schliesslich verdienen sie dann daran», findet die SP-Nationalrätin.
Die Kantonsregierungen hätten sich zudem auch persönlich aus der Verantwortung gestohlen: «Die Regierungsrätinnen und -räte haben sich zugunsten einer fadenscheinigen Entpolitisierung und Professionalisierung aus den Verwaltungsräten der grossen Stromkonzerne verabschiedet», sagt Badran. «Das geht nicht: Sie müssen die Eigentümer-Interessen der Öffentlichkeit vertreten.»