Aargauer Zementwerke sind Energiekraken: «Die Stromkosten der Zementindustrie sind um eine halbe Milliarde Franken gestiegen»
500 Gigawatt. So viel wie 125’000 Schweizer Standardhaushalte. Das ist der jährliche Strombedarf der Zementbranche. «Die Zementindustrie ist damit ein grosser Stromkunde in der Schweiz», sagt Stefan Vannoni, Direktor von cemsuisse, dem Verband der Schweizerischen Cementindustrie.
Bei den heute geltenden Strompreisen für das 1. Quartal 2023 entspricht der Kostenanstieg einer halben Milliarde Franken – die Megawattstunde kostet etwa 1000 Franken. Im Januar 2022 sind es rund 50 Franken gewesen.
Die Preise haben sich also verzwanzigfacht, wenn man heute vorsorglich Strom auf Termin kaufen will. Kauft man auf dem freien Markt jetzt ein, sind die Preise um den Faktor zehn gestiegen.
Bei solchen Preissteigerungen stellt sich die Frage, wie sich die Zementindustrie überhaupt noch auf den Beinen halten will. Der Hersteller von Stahlprodukten, Stahl Gerlafingen, ebenfalls ein Grossverbraucher, musste zum Beispiel Kurzarbeit anmelden, weil er die Produktionskosten schlicht nicht mehr stemmen kann.
Zement für den Innenmarkt
Allerdings ist da die Ausgangslage ganz unterschiedlich: Stahl Gerlafingen muss sich im internationalen Markt gegen Mitbewerber behaupten, die unweit tiefere Produktionskosten haben und deren Margen nicht vom starken Franken belastet sind. Die Zementindustrie hingegen produziert primär für den Schweizer Markt, wie das Stefanie Arber, Pressesprecherin des führenden Baustoffproduzenten Holcim, sagt. Das Unternehmen mit aargauischen Wurzeln betreibt mehrere Standorte im Kanton, unter anderem ein Zementwerk in Siggenthal.
Da alle Zementhersteller gleich stark von Preiserhöhungen betroffen seien und die Umwandlung in Schweizer Franken im Innenmarkt wegfällt, ist es entsprechend einfacher, mehr Geld für Zement zu verlangen: «Aufgrund der massiv steigenden Preise sehen wir uns gezwungen, diese Kosten an unsere Kunden weiterzugeben», erklärt Stefanie Arber.
Das bestätigt auch Walter Bieri, Werkleiter bei Jura Cement, aus Wildegg: «Wir kommen nicht umhin, einen Anteil der stark erhöhten Produktionskosten auf unsere Schweizer Kunden abzuwälzen.»
Teuerung kaskadiert bis zum Bauherrn
Der Strompreis werde über die ganze Wertschöpfungskette weitergegeben werden müssen – vom Zementhersteller über den Betonhersteller zum Baumeister bis zum Bauherrn, erklärt Stefan Vannoni von der cemsuisse.
Die explodierenden Energiepreise haben Auswirkungen auf eine Baubranche, die ohnehin schon seit der Pandemie mit Lieferengpässen, Lieferverzögerungen und steigenden Produktionskosten zu kämpfen hat. Matthias Engel, Pressesprecher des Schweizerischen Baumeisterverbandes, spricht von einer neuen, volatileren Normalität: «Wir lernen laufend dazu, uns in einem unsichereren Umfeld mit vielen Unsicherheitsfaktoren zu bewegen: Erst war die Pandemie, dann der Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Sanktionen und jetzt zusätzlich dazu der Preisschub bei den Energiepreisen.»
Die grösste Auswirkung davon ist, dass Bauverträge kaum mehr mit Teuerungsverzichten unterschrieben werden. Sprich: Der Bauherr muss vermehrt vertraglich akzeptieren, dass Baukosten sich ändern können.
Dem Baumeisterverband sind keine Baustellen bekannt, die den Betrieb vorübergehend stilllegen mussten, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich Bauaktivitäten verlangsamen. Der Beginn von einigen Projekten hat sich aber verzögert, wie zum Beispiel die neue Festhalle auf dem Berner Expo-Gelände, die zusätzliche Eishockeyhalle der SCL Tigers in Langnau i. E. oder der Spitalneubau in Brig.
Dass die hohen Zementpreise die Branche nicht bremsen, hat einen guten Grund: «Rohmaterialien machen nur einen Bruchteil der Baupreise aus», erklärt Matthias Engel. Entscheidender sind Bodenpreise und Personalkosten.