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Wegen Putins Gasdrosselung: Erster Energiekonzern braucht staatliche Hilfe – hier drohen Gasengpässe im Winter

Putin drosselt das Gas nach Deutschland. Jetzt ruft der Energieversorger Uniper nach staatlicher Hilfe. Die Bundesnetzagentur macht düstere Winter-Prognosen. Die Deutschen sparen schon jetzt freiwillig beim Energieverbrauch.

Seit Mitte Juni drosselt Russland wegen angeblich technischer Mängel die Lieferung von Gas über die Ostseepipeline Nord Stream 1 erheblich. Nur noch 40 Prozent der üblichen Gasmenge erreichen Deutschland. Es könnte gar noch schlimmer werden: Am 11. Juli ist die jährliche Wartung der Ostseepipeline angesetzt. Eigentlich eine Routine-Arbeit. Russland wird den Gashahn für die Wartungsarbeiten wie immer für einige Tage zudrehen. Experten befürchten, dass der Kreml-Herrscher den Gashahn danach überhaupt nicht mehr aufdrehen wird.

Schon jetzt gerät der Energieversorger Uniper mit Hauptsitz in Düsseldorf wegen der gedrosselten Gaslieferung aus Russland ins Straucheln. Das Unternehmen – eine Tochter des finnischen Energiekonzerns Fortum – hat mit der Bundesregierung Gespräche über Stabilisierungsmassnahmen aufgenommen, um die Liquidität zu sichern. Die Geschäftsentwicklung habe sich durch die reduzierte Gaslieferung aus Russland «spürbar verschlechtert», sagte Uniper-Vorstandschef Klaus-Dieter Maubach.

Gaslieferung aus Norwegen läuft am Limit

Uniper ist der grösste deutsche Gasversorger und zugleich grösster ausländischer Kunde des russischen Gasriesen Gazprom. Der Konzern muss teuer Ersatzmengen beschaffen, unter anderem aus Norwegen oder den Niederlanden. Der norwegische Rohstoffkonzern Equinor exportiert derzeit «so viel Gas, wie uns möglich ist, nach Kontinentaleuropa und Grossbritannien, der Grossteil des Gases fliesst nach Deutschland», sagt Equinor-Chef Anders Opedal dem «Handelsblatt». Zusätzliche Gaslieferungen sind allerdings erst mit Flüssiggas aus den USA oder Katar zu erwarten, dafür sollen auch an der Küste Deutschlands in nächster Zeit schwimmende Flüssiggasterminals errichtet werden.

Der Hilferuf von Uniper verdeutlicht die Dramatik der Situation in Deutschland. Im aktuellen Lagebericht der Bundesnetzagentur heisst es:

«Die Lage ist angespannt und eine Verschlechterung der Situation kann nicht ausgeschlossen werden.»

Wirtschaftsminister Robert Habeck hat bereits vorige Woche die Alarmstufe des Notfallplans Gas ausgerufen und die Bevölkerung zum Energiesparen aufgerufen. In der nächsten Phase – der Notfallstufe – würde die Bundesnetzagentur zuteilen, wer Gas erhält. Leidtragende wären vor allem die Konzerne. Private Haushalte und Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Altersheime sind in einer solchen Lage besonders geschützt. Die Situation in Deutschland sorgt auch in der Schweiz für Besorgnis. «Wenn es in Deutschland zu einem Gas-Engpass kommt, sind auch wir betroffen», sagte Jean-Philippe Kohl, Vizedirektor des Industrieverbandes Swissmem, letzte Woche gegenüber unserer Zeitung.

«Über 40 Prozent unseres Gases stammt aus Russland. Die Sorge ist gross.»

Eine düstere Prognose skizziert der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. Wegen der Gasknappheit und der steigenden Energiepreise werde es in der kommenden Heizperiode viele Menschen geben, die ihre Rechnungen nicht mehr begleichen könnten, sagte er diese Woche bei einer Podiumsdiskussion in Berlin. Müller rechnet mit einem Nord-Süd-Gefälle für die Gasversorgung im Winter. Perspektivisch werde Deutschland verstärkt über Norwegen, Holland und Belgien mit Gas versorgt. Gas sei ein Rohstoff, «der fliesst. Er ist nicht überall jederzeit verfügbar.» Das könne einen negativen Effekt auf jene Bundesländer im Süden wie Baden-Württemberg und Bayern haben – ausgerechnet also die an die Schweiz angrenzenden, wirtschaftlich stärksten und für den Schweizer Handel enorm bedeutsamen Regionen Deutschlands.

Seine Appelle zum Energiesparen zeigen Wirkung: der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck.
Julien Warnand/key/<br/>27.06.2022

Noch liegt Deutschland mit der Befüllung der Gasspeicher im Plan. Derzeit sind die Speicher mit 61 Prozent gefüllt, das liegt im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Doch laut Gesetz müssen die Speicher am 1. Oktober zu 80, am 1. November zu 90 Prozent gefüllt sein, um ohne Engpässe durch den Winter zu kommen. Ob Deutschland dies erreichen wird, ist mehr als fraglich. Sicher ist nur, dass der Gasmangel den Staat und die Privathaushalte teuer zu stehen kommen wird.

Deutsche haben die Appelle erhört: Gasverbrauch ist gesunken

Wirtschaftsminister Robert Habeck appelliert seit Wochen an die Bevölkerung, den Energieverbrauch freiwillig zu drosseln. Seine Worte verhallen offenbar nicht ungehört. Seit Jahresbeginn bis Ende Mai haben deutsche Verbraucher im Vergleich zur gleichen Periode des letzten Jahres 14,3 Prozent weniger Gas verbraucht. Das lag laut Experten nicht nur an den milderen Temperaturen. Scheinbar halten sich die Deutschen beim Duschen oder Kochen schon jetzt zurück.