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Fundamentaler Widerstand: Wie ein Verband die Windkraft in der Schweiz im Alleingang bekämpft – und warum er bald ein Problem haben dürfte

Das Netzwerk der Windkraftgegner wächst – und mit ihm der Widerstand gegen die erneuerbare Energie. Doch nun dreht der Wind im nationalen Parlament. 

Jeder Widerstand ist grundsätzlich. So lässt sich die Position des Verbands «Freie Landschaft Schweiz – Paysage Libre» zusammenfassen, der in der Schweiz einen Kampf gegen Windmühlen ficht. Im Manifest des Verbands stehen Sätze wie «Windenergie verschlimmert die Energieprobleme des Landes, ohne sie zu lösen» oder «Windkraftanlagen haben nur ein geringes Potenzial». Die Formulierungen sind absolut, sie lassen keinen Zentimeter Zweifel. Und der Verband ist damit sehr erfolgreich.

4000 Windturbinen für die Schweiz?

Vergangenen Sommer veröffentlichte das Bundesamt für Umwelt einen Bericht über die Schweizer Windkraft. Aufgrund des technischen Fortschritts und politischen Interesses sei das Potenzial für Strom aus Windturbinen in der Schweiz innert kurzer Zeit stark gestiegen: von 3,7 Terawattstunden aus dem Jahr 2012 auf neu fast 30 Terawattstunden. Das wäre etwa die Hälfte des Schweizer Jahresbedarfs, wobei ein grosser Teil der Stromproduktion auf den Winter fallen würde. Dann also, wenn die Schweiz grosse Mengen Strom aus dem Ausland importieren muss.

Der Haken: Nötig für solche Zahlen wäre der Zubau von weit über 4000 Windkraftanlagen. Demgegenüber steht die Realität von knapp 40 grossen Anlagen. Die Produktion darbt bei 140 Gigawattstunden pro Jahr, der Zubau verlief zuletzt äusserst schleppend.

Mitverantwortlich dafür ist Paysage Libre. Gegründet 2011 als Dachverband von zehn Organisationen, umspannen die Windkraftgegner heute ein Netzwerk von 45 Vereinen mit gesamthaft 5000 Mitgliedern. Aktuell gründet der Verband Regionalsektionen. Sechs sind es bereits, bald sollen mit Schaffhausen, Schwyz und Aargau weitere dazukommen.

Das klingt kompliziert, hat aber System: Weil der Verband nicht über ein Verbandsbeschwerderecht verfügt, strukturiert er seinen Widerstand in betroffenen Gemeinden jeweils mit einem Ableger vor Ort. In manchen davon tauchen auch die Vorstandsmitglieder von Paysage Libre auf, meist halten sie sich aber im Hintergrund.

Allein auf weiter Flur

So auch in Rickenbach, an der Luzerner Grenze zum Kanton Aargau. «Dort hat sich ein lokales Komitee gebildet, das ohne Absprache mit uns eine Volksabstimmung gegen ein geplantes Windkraftwerk lanciert und gewonnen hat», sagt Elias Vogt, Präsident von Paysage Libre. Die Unterstützung seitens Verband habe sich auf die Organisation einer Infoveranstaltung beschränkt. Und, nicht unwichtig: Paysage Libre stellt Visualisierungen her: «Seit wir der Bevölkerung präsentieren, wie 180 Meter grosse Windturbinen im Waldgebiet konkret aussehen, ist die Stimmung an der Urne stets gekippt», sagt Vogt.

Der Protest funktioniert einerseits über die Politik, ansonsten bleibt der Gang vor die Justiz, notfalls bis vors Bundesgericht. Paysage Libre beansprucht einen Erfolg von über 55 Prozent für sich, wenn über ein konkretes Projekt abgestimmt wurde. So steht es auf der Website. Dazu zählen auch Parlamentsentscheide und Gemeindeversammlungen.

Der Bund hingegen rechnet nur mit Volksentscheiden, so sieht die Bilanz magerer aus: «Das Bundesamt für Energie hat Kenntnis von 24 Abstimmungen, bei denen die Stimmberechtigten von Schweizer Gemeinden zwischen 2012 und 2021 über den Bau von Windparks entschieden haben. 19 Mal wurde das Windparkprojekt bejaht», heisst es in einem Schreiben des Bundesrats von vergangenem September.

Paysage Libre kämpft zunehmend alleine. Auf Anfrage teilen Umweltverbände wie WWF, Greenpeace oder Pro Natura mit, dass man nicht mit Paysage Libre zusammenarbeite. Stellvertretend schreibt der WWF: «Als Teil der Umweltallianz setzt sich der WWF für konstruktive Lösungen beim Zubau der erneuerbaren Energien ein.» Potenzial sehen die Verbände auch bei der Windkraft. Ähnlich klingt es bei Bird Life. Der Vogelschutzverband hat früher gemeinsam mit Paysage Libre den Rechtsweg beschritten.

Frontalangriff aus der Umweltkommission

Im Parlament dreht der Wind unter dem Eindruck einer drohenden Energiemangellage speziell in den Wintermonaten zusehends. Am Dienstag hat die Umwelt- und Energiekommission (Urek) einen Gesetzesvorschlag verabschiedet, der den Zubau von Windenergie beschleunigen will.

Neu soll die Baubewilligung für Windenergieprojekte im nationalen Interesse, die über eine rechtskräftige Nutzungsplanung verfügen, vom Kanton erteilt werden, heisst es in der Medienmitteilung. Ausserdem wird der Instanzenzug gestrafft, bis die Schweiz eine Terawattstunde Strom aus Windkraft produziert. Es ist ein Frontalangriff auf das Modell der Lokal-Opposition auf Gemeindeebene von Paysage Libre. Die grossen Umweltverbände hingegen stellen sich im Grundsatz hinter den Vorschlag.