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Was ist der Schweiz wichtiger: Sicherer Strom oder die Klimawende? Eine Umfrage gibt Antworten

Der Verband der Schweizerischen Elektrizitätsunternehmen (VSE) hat der Bevölkerung auf den Zahn gefühlt und eine klare Meinung erhalten. Doch Theorie und Praxis liegen oft weit auseinander, wie ein Blick nach Schaffhausen zeigt.

Um die Politik zu verstehen, taugt ein Blick ins Physikbuch: Wenn beispielsweise in einem Behälter weniger Druck besteht als in dessen Umgebung, dann entsteht ein Vakuum. Ziemlich ähnlich verhält es sich mit der Schweizer Klimapolitik. Obwohl sich das Land zu globalen Klimazielen verpflichtet, hat die Bevölkerung zu wenig Druck verspürt, um das CO₂-Gesetz anzunehmen. Versorgungssicherheit, Umweltschutz und Kosten sind die massgebenden Kräfte, welche die Politik dabei seit bald einem Jahr im luftleeren Raum argumentieren lassen.

Nun will eine Umfrage für neue Dynamik sorgen. Im Auftrag der Schweizerischen Elektrizitätsunternehmen hat das Meinungsforschungsinstitut GFS Bern die Bevölkerung zu ihrer Haltung in Sachen Strom befragt. Das Verdikt sei eindeutig, heisst es in einer Mitteilung vom Dienstag: «53 Prozent der Befragten geben die Versorgungssicherheit als erste Priorität an – vor einer klimaneutralen Energieproduktion (25 Prozent) und einem bezahlbaren Strompreis (21 Prozent)».

Das Resultat wird noch etwas differenzierter, wenn man sich die Antworten auf Nachfragen anschaut. Für viele ist demnach Umwelt- und Klimaschutz kein Widerspruch, im Gegenteil: 85 Prozent der Befragten sehen in einem Ausbau von Wind-, Wasser- und Solarkraft sogar gelebten Umweltschutz. Dies widerspräche dem gängigen Narrativ, wonach sich das Erhalten der Biodiversität und die Klimawende gegenüberstehen. Etwas weniger, aber immerhin noch 70 Prozent der Befragten würden auch die Beschwerderechte einschränken, um den Ausbau der Erneuerbaren voranzutreiben.

Diskussionen um ein Kraftwerk am Rheinfall

Wie das allerdings in der Realität ausschaut, lässt sich derzeit in verschiedenen Teilen des Landes beobachten, jüngst an dessen nördlichen Zipfel. Am Montag hat der Kantonsrat von Schaffhausen mit 48 zu 4 Stimmen eine Gesetzesänderung beschlossen, die ein Wasserkraftwerk am Rheinfall möglich machen könnte.

Ein Naturspektakel als Stromlieferant: Das hat eine lange Vorgeschichte. Schon mehrfach sagte die Schaffhauser Stimmbevölkerung Nein zu solchen Überlegungen. Zuletzt brachte der Regierungsrat das Vorhaben 2014 an die Urne, erlitt dort aber mit einer Ablehnung von über 58 Prozent der Bevölkerung deutlich Schiffbruch. Nun folgt der nächste, äusserst vorsichtige Vorstoss in diese Richtung. Die Regierung stellt sich auf den Standpunkt, dass das Volk schliesslich drei Jahre später die Energiestrategie 2050 angenommen habe.

Widerstand kündigt sich an

Auch wenn es das klare Resultat im Kantonsrat nicht vermuten lässt: Widerstand ist auch jetzt wieder programmiert. SP-Nationalrätin Martina Munz gehörte schon 2014 zu den vehementesten Gegnerinnen eines Wasserkraftprojekts am Rheinfall. Sie sagt auch jetzt, ein neues Kraftwerk sei ein «No-go». Dass der Kantonsrat jetzt den gesetzlichen Boden dafür bereitet, findet sie aber aus einem Grund nicht schlimm: «Im Gesetz steht, dass es bei einer Neukonzessionierung des Rheinfalls zu einem obligatorischen Referendum kommt.» Damit hätte das Volk ohnehin das letzte Wort, «es würde dann jedes konkrete Neubau-Projekt von der Öffentlichkeit beurteilt».

Dass die Stimmbevölkerung ein Wasserkraftwerk auch in Zukunft bachab schicken würde, daran hat Munz trotz der GFS-Umfrage keine Zweifel. «Es gibt viele andere Möglichkeiten, die Energiewende zu schaffen. Die Bevölkerung will kein Wasserkraftwerk an dieser Stelle.» Gut möglich, dass Munz Recht behält. Es gehört zum zentralen Wesen der Politik: Sie hält sich im einzelnen Fall selten so streng an die Theorie wie die Physik.