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Präsident des Mieterverbands: «Die Heizkosten werden nächstes Jahr explodieren»

Wegen dem Ukraine-Krieg kommen auf die Mieterinnen und Mieter hohe Nebenkosten zu. Um das abzufedern, fordert der Mieterverband unter Carlo Sommaruga eine Energiezulage von 200 bis 400 Franken pro Person.

Wegen dem Ukraine-Krieg steigen hierzulande die Energiepreise und die Nebenkosten. Werden künftig nur noch Vermögende warm duschen und das Licht im Flur brennen lassen?

An die Kasse kommen alle. Vor allem die Haushalte mit tiefen Einkommen leiden. Wie das Bundesamt für Statistik zeigt, betragen die Nebenkosten für Heizung und Warmwasser bei einem monatlichen Bruttoeinkommen von 4500 Franken rund 8 Prozent des verfügbares Einkommens. Bei einem Haushalt mit 13’000 Franken pro Monat sind es nur 1,4 Prozent des verfügbares Einkommens. Es gibt also ein soziales Problem. Schon letztes Jahres haben sich die Preise für fossilen Brennstoff verdoppelt. Jetzt kommt eine zusätzliche schnelle und starke Erhöhung wegen des Ukraine-Kriegs dazu. Die Heizkostenrechnung wird nächstes Jahr explodieren. Es kommt zu einer Energiearmut.

Was bedeutet das zum Beispiel für Mieter in einer Vierzimmerwohnung?

Bei einer schlecht isolierten Vierzimmerwohnung werden es jährlich zusätzliche Kosten von 1200 Franken sein. Das errechnet sich bei einem Aufschlag des Heizölpreises von 60 Franken pro 100 Liter auf 120 Franken. Der Heizölverbrauch liegt bei rund 2000 Liter pro Jahr. Der Gaspreis hat sich analog entwickelt, weshalb von den gleichen Aufschlägen ausgegangen werden muss. Bei Mieterinnen und Mietern schlägt dieser Aufschlag erst bei der jährlichen Abrechnung durch, besonders 2023.

Warum erst nächstes Jahr?

Die Abrechnungsperioden sind meist Juli bis Juni, beim Heizöl muss der effektiv eingekaufte Preis verrechnet werden. Viele Tanks werden jetzt noch voll sein und werden erst später wieder gefüllt. Beim Gas haben die grossen Lieferanten wie städtische Werke den Bedarf für 2022 bereits beschafft und können so die stärksten Schwankungen beim Preis ausgleichen. Die böse Überraschung kommt also 2023.

Was ist Ihre Antwort auf diese Kostensteigerung?

Es gibt verschiedene Ansätze. Aus struktureller Sicht ist es notwendig, dass die Hauseigentümer und Hauseigentümerinnen rasch auf erneuerbare Energieträger umsteigen. Bund und Kantone müssen diesen Umstieg durch Fördergelder an die Vermieter unterstützen.

Was ist, wenn die Vermieter die Fördergelder zur Sanierung verwenden, aber die Mieterschaft künden, um danach die Wohnung viel teurer wieder zu vermieten?

Werden Fördergelder ausbezahlt, so muss die Mietzinserhöhung von amtlicher Seite kontrolliert werden. Es darf nicht zu missbräuchlichen Mietzinsen kommen. Zudem dürfen die Fördergelder nur vergeben werden, wenn garantiert wird, dass die Mieterschaft keine Kündigung erhält. Es darf nicht sein, dass Klimasanierungen die sozialen Probleme verschärfen. Bundesrat und Parlament müssen jetzt handeln.

Was ist, wenn die Vermieter keine Sanierung machen wollen?

Um die Vermieter dazu zu bringen, energetische Sanierungen durchzuführen, muss das Nichtstun zu einer wirtschaftlichen Belastung werden. Dies kann beispielsweise dadurch erreicht werden, dass auf kantonaler oder Bundesebene eine von Jahr zu Jahr steigende Immobiliensteuer auf unsanierte Gebäude eingeführt wird.

Das sind langfristige Massnahmen. Welche Lösungen gäbe es kurzfristig für die Mieterinnen und Mieter ?

Es braucht rasche Massnahmen, um die zusätzlichen Nebenkosten abzufedern Der Bund muss der drohenden Energiearmut Gegensteuer geben, und zwar so schnell wie möglich. Der Ukraine-Krieg führt uns vor Augen, wie drängend dieses Problem ist. Deshalb fordern wir die Einführung einer Energiezulage mit sozialem Antlitz ab 2023, die pro Person jährlich zwischen 200 und 400 Franken beträgt.

Ist die Umsetzung einer solchen Energiezulage nicht kompliziert?

Nein, im Gegenteil. Die Energiezulage lässt sich ganz einfach an die Prämienverbilligung der Krankenkassen anknüpfen. Dieses System ist auf spezifisch darauf ausgerichtet, Menschen mit tiefen Einkommen zu unterstützen. Und weil es in der Schweiz dieses System mit der Prämienverbilligung schon gibt, ist eine Energiezulage unbürokratisch umsetzbar.

Was ist mit dem Mittelstand, der nicht in den Genuss von Prämienverbilligungen kommt?

Weil die Schweiz das System der Prämienverbilligung bei den Krankenkassen kennt, sind alle Einkommensdaten der Bevölkerung erfasst. Das heisst, der Bund kann mit Hilfe der Kantone sehr einfach die Energiezulage an die Einkommen anpassen und ausweiten, so dass auch der Mittelstand berücksichtigt wird. Die Schweiz ist ein Land von Mieterinnen und Mietern, die zu Geiseln dieser Situation geworden sind. Sie können schliesslich nicht selbst die Gebäude isolieren und Solaranlagen auf die Dächer stellen, sie sind abhängig von den Vermietern.

Die Mieter können aber auch selbst einen Beitrag zum Energiesparen leisten.

Bund und Kantone müssen eine Kampagne machen, um die Bevölkerung zu sensibilisieren. Ein Grad weniger heizen bedeutet eine Energieersparnis von etwa sechs Prozent. Wir müssen im Winter nicht mehr mit kurzen Hosen und T-Shirt in der Wohnung herumlaufen, wir können uns anders verhalten. Dann tragen wir dazu bei, dass die Schweiz weniger abhängig von Ölimporten ist. Es braucht auch individuelle Heizkostenabrechnungen. Wenn ich einen Effort mache, aber meine Nachbarn nicht, dann ist es nicht fair, wenn ich für deren Energieverschleiss mitbezahlen muss. Diese Massnahmen können allerdings nur komplementär zur Energiezulage ergriffen werden.