Frankreich lässt Sommaruga hoffen: Alle 56 Atomkraftwerke sollen noch im Winter ans Netz – aber es gibt Zweifel
Der Hinweis fehlt in keiner Diskussion über die Energieversorgung in der Schweiz: Dass in Frankreich so viele Kernkraftwerke nicht in Betrieb seien, erschwere die Versorgungssicherheit. Die Schweiz hat sich bisher darauf verlassen, im Winter Strom aus Frankreich zu importieren.
Von den 56 französischen Kernreaktoren sind derzeit 32 nicht in Betrieb. Alle Anlagen gehören der staatlichen Gesellschaft Électricité de France. An den Reaktoren werden Wartungsarbeiten ausgeführt; an einigen von ihnen sind Korrosionsschäden festgestellt worden.
Rostschäden zu beheben, ist eine aufwendige Sache
Nun lässt eine Ankündigung von Energieministerin Agnès Pannier-Runacher aufhorchen: Frankreich werde im Verlauf des kommenden Winters alle Kernreaktoren wieder ans Netz nehmen, sagte sie am Freitag. Électricité de France stellte einen Zeitplan vor: 27 Reaktoren sollen vor Ende Jahr wieder in Betrieb genommen werden, 5 weitere bis Mitte Februar.
Bundesrätin Simonetta Sommaruga reagiert auf die Ankündigung aus Frankreich. Ihre Mediensprecherin Géraldine Eicher erklärt:
«Falls Frankreich seine Atomkraftwerke, die derzeit nicht am Netz sind, hochfahren kann, wäre dies eine gute Nachricht für die Stromversorgung in ganz Europa, inklusive der Schweiz.»
Die Schweiz beziehe aus Frankreich im Winter normalerweise netto rund 3-4 Terawattstunden Strom, aus Deutschland netto rund 7 Terawattstunden. «Kann Frankreich also wieder mehr Strom selbst produzieren, muss das Land weniger Gas-Strom aus Deutschland importieren, was es derzeit tut. Die Stromflüsse zwischen den Ländern könnten sich wieder einigermassen normalisieren. Und davon würde auch die Schweiz profitieren», sagt Eicher. Der Stromverbrauch im Land liegt jährlich bei rund 60 Terawattstunden.
Ein ambitionierter Plan mit «hoffentlich nicht allzu starkem Druck»
FDP-Nationalrat Matthias Jauslin, ein Energieexperte im Bundesparlament, nimmt wie folgt Stellung zur französische Bekanntmachung: «Für den Europäischen Stromverbund ist jedes Kraftwerk, das Strom einspeisen kann, wertvoll. Das stabilisiert die Versorgungssicherheit innerhalb Europas und somit auch für die Schweiz. Ausserdem ist es möglich, dass die Strompreise sinken, sofern Frankreich tatsächlich wieder mehr Kraftwerke ans Netz nimmt.»
Ähnlich fällt die Reaktion des Schweizer Energiekonzerns Axpo aus. Er schreibt: «Die Wiederinbetriebnahme der französischen KKW kann zu einer Entspannung der Versorgungssituation in Europa und damit auch in der Schweiz beitragen.»
In Hintergrundgesprächen lassen Experten jedoch Zweifel anklingen: Der Plan der französischen Regierung sei sehr ambitioniert. Die Korrosionsschäden an den Anlagen zu beheben, brauche Zeit. Jemand sagt: «Hoffentlich setzt Präsident Macron die staatliche Stromgesellschaft nicht unter allzu starken Druck.» Die Wartungsarbeiten an den Kraftwerken müssten vollständig und in Ruhe ausgeführt werden. Andernfalls steige das Risiko von Fehlern.
Dann stellen einige Sachkundige die Frage, ob die Schweiz im Winter tatsächlich mit Strom aus Frankreich rechnen könne. Es gibt mehrere Faktoren, die das als unsicher erscheinen lassen.
Die Beziehungen zwischen Paris und Bern sind schlecht
Wird es ein Winter, in dem es wochenlang sehr kalt ist? In Frankreich würden die verbreiteten Elektroheizungen Unmengen von Strom verbrauchen. Soll man da andere Länder beliefern? Die steigenden Energiepreise sind bereits eine Belastung für einen Teil der französischen Bevölkerung. Was Präsident Macron vermeiden will, ist eine Revitalisierung der aufmüpfigen Gelbwesten-Bewegung.
Frankreich stimmt sich eng mit Deutschland ab. Der wichtigste Partner der EU beliefert Frankreich zurzeit mit Strom, der in Gaskraftwerken produziert wird. Wenn nun bald wieder alle Kernkraftwerke funktionieren und Strom exportiert werden kann, berücksichtigen die Franzosen Deutschland.
Die Beziehungen zur Schweiz sind hingegen mässig. Es kam in der französischen Regierung schlecht an, dass der Bundesrat den Rahmenvertrag mit der EU beerdigte.
Gar für Entsetzen sorgte in Paris die Bestellung amerikanischer Kampfjets. Hatte man sich nicht eingehend mit Bern über Gegengeschäfte unterhalten? Sie wären getätigt worden, hätte sich der Bundesrat für den französischen Jet ausgesprochen.
In Paris gibt es Politiker, welche die Schweizer als ewige Rosinenpicker sehen. Sie soll man mit Strom beliefern, wenn es richtig eng wird? Ein Fachmann versucht, die Bedenken zu zerstreuen. «Die Schweizer Stromkonzerne haben gültige Langzeitverträge mit französischen Kernkraftwerken. Diese sind zu erfüllen», betont er.