UNRWA-Terrorverdacht führt zu erbittertem Streit: Jetzt wird sogar die Auflösung der Hilfsorganisation gefordert
Der Konflikt um das UNO-Flüchtlingshilfswerk für Palästina (UNWRA) nimmt an Heftigkeit zu. Weltweit fordern Stimmen die Abschaffung der Organisation und Einstellung der finanziellen Unterstützung. Dies, nachdem am vergangenen Freitag UNWRA-Generaldirektor Philippe Lazzarini eine mutmassliche Beteiligung von mehreren seiner Mitarbeiter am Hamas-Terrorüberfall vom 7. Oktober bekannt gemacht hat.
So ruft die republikanische US-Präsidentschaftskandidatin und ehemalige UNO-Botschafterin Nikki Haley in einem Interview dazu auf, die Zahlungen an die UNRWA komplett einzustellen. Sie kritisiert die Regierung Biden dafür, dass diese die Zahlungen in vollem Umfang wieder aufgenommen habe, welche Donald Trump 2018 im Streit mit der Behörde kippte.
Inzwischen ist die Anzahl Länder, welche ihre Beiträge sistiert haben, auf 19 inklusive der EU angewachsen. Laut Schätzungen sind damit rund drei Viertel aller internationalen Zahlungen momentan eingefroren. Bereits am Montag forderte die zuständige EU-Kommission in Brüssel eine Überprüfung der Hilfsorganisation durch von der EU ernannte unabhängige Experten.
Für heute Dienstag kündigte UNO-Generalsekretär António Guterres ein Sondertreffen in New York mit Vertretern von Geberländern an, um diese zur Wiederaufnahme der Geldüberweisungen zu bewegen.
Hälfte aller Angestellten ist verwandt mit Terroristen
Befeuert wurde der Streit durch neue Enthüllungen im «Wall Street Journal» in der Nacht auf Dienstag. So soll das Ausmass der mutmasslichen Verflechtung zwischen UNO-Angestellten und palästinensischen Terroristen in Gaza noch viel grösser sein als bisher angenommen. Die US-Zeitung schrieb, rund 10 Prozent aller rund 12’000 im Gaza-Streifen beschäftigten UNWRA-Mitarbeiter pflegten regelmässige Beziehungen zur Hamas oder dem Islamistischen Dschihad.
Sogar rund die Hälfte weise verwandtschaftliche Beziehungen zu Angehörigen von terroristischen Organisationen auf. Die Verbindungshäufigkeit männlicher UNRWA-Angestellter zu den radikal-terroristischen Organisationen übersteige sogar den Durchschnitt der übrigen männlichen Bevölkerung im Gaza-Streifen.
Wie zuvor die «New York Times» berief sich auch das «Wall Street Journal» auf ein israelisches Geheimdienstdossier. Dieses sei anhand «sehr sensitiver Geheimdienstdaten» wie abgefangener Handy-Anrufe, Befragungen gefangen genommener Hamas-Kämpfer oder bei getöteten Terroristen geborgener Dokumente erstellt worden.
Die Zeitung zitierte bei der Beurteilung einen anonymen israelischen Regierungsbeamten: «Das Problem der UNRWA sind nicht nur ‹ein paar faule Äpfel›, die in das Massaker vom 7. Oktober verwickelt waren. Die Institution als Ganzes ist ein Hort für die radikale Ideologie der Hamas.» Die Agentur Reuters zitierte ebenfalls anonym einen israelischen Regierungsbeamten. Laut dieser Darstellung werden im Geheimdienstdossier die Namen von 190 Angestellten genannt, die «harte Kämpfer und Killer» seien.
Ehemaliger UNRWA-Gaza-Chef stellt Zeitpunkt der Veröffentlichung infrage
In den lauten Chor der Kritiker mischten sich in den vergangenen 24 Stunden aber auch besonnene Stimmen. Allen voran betonte US-Aussenminister Antony Blinken, das UN-Hilfswerk spiele «eine absolut unverzichtbare Rolle, um sicherzustellen, dass Männer, Frauen und Kinder, die in Gaza so dringend Hilfe benötigen, diese auch tatsächlich erhalten».
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nannte die Sistierung der finanziellen Unterstützung einen «grausamen Entscheid» und forderte die betreffenden Länder dazu auf, diesen rückgängig zu machen.
Der ehemalige Regionalchef der UNRWA in Gaza, der Deutsche Matthias Schmale, stellte insbesondere den Zeitpunkt der Veröffentlichung der Vorwürfe infrage, wie er am Dienstagmorgen in einem Interview mit dem «Deutschlandfunk» ausführte: «Der Zeitpunkt kommt mir doch sehr politisch bestimmt vor.» Dank der aktuellen Negativschlagzeilen zur UNRWA sei das Urteil des Internationalen Gerichtshofs zum Gaza-Krieg vollständig in den Hintergrund geraten.
Zudem hält der heutige UNO-Repräsentant in Äthiopien den Bericht im «Wall Street Journal» für «total übertrieben». Zu seiner Zeit habe man «sehr genau darauf geschaut» und sanktioniert, wenn sich Mitarbeitende nicht an die UNO-Normen gehalten hätten. Dies habe zwischen 2017 und 2021 zu lediglich acht Entlassungen wegen ungebührlichen Verhaltens geführt. Allerdings musste Schmale 2021 selber den Gaza-Streifen auf Druck der Hamas verlassen, da er als zu israelfreundlich gebrandmarkt wurde.
«Natürlich muss man mit der Hamas pragmatisch zusammenarbeiten, um sich Freiräume zu schaffen.» Dann sei es aber für die UNO sehr wohl möglich, unabhängig zu arbeiten, sagte Schmale im Radio. Zur Arbeit des Flüchtlingshilfswerks gebe es derzeit keine Alternative. Zwei Millionen Menschen in einer Kriegslage zu versorgen, gehe nicht ohne die bewährten Kapazitäten der UNO.