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In Kriegszeiten im Westjordanland unterwegs: Diese sechs Ereignisse werde ich niemals vergessen

Im Nahostkonflikt lag der Fokus der Öffentlichkeit lange auf dem Krieg im Gaza-Streifen. Doch auch das andere palästinensische Gebiet ist vom Krieg stark betroffen, besonders seitdem die israelische Armee in den letzten Wochen ihre Angriffe im Westjordanland verstärkt hat. Eine Reportage.

Es war keine leichte Entscheidung, als ich die Hochzeitseinladung eines alten Freundes, der im Westjordanland wohnt, erhalten habe. Ist eine Reise nach Palästina in dieser Zeit wirklich sinnvoll? Schliesslich herrscht im Gaza-Streifen ein zerstörerischer Krieg.

Doch während Israel den Gaza-Streifen nach dem von der Hamas angeführten Terror-Angriff am 7. Oktober komplett abgeriegelt hat, ist das von Israel besetzte Westjordanland für Reisende weiterhin gut zugänglich. Und deutlich weniger gefährlich. Trotzdem ist auch das Westjordanland vom Krieg stark betroffen. Ende August startete das israelische Militär den grössten militärischen Einsatz seit zwei Jahrzehnten. Und in dieses Pulverfass soll ich nun reisen?

Bereits seit mehreren Monaten spielte ich mit dem Gedanken, Ramallah – das administrative, politische und wirtschaftliche Zentrum des Westjordanlands – zu besuchen. Vor Kriegsausbruch hatte ich dort während eines Praktikums für eine Nichtregierungs-Organisation eine Zeit lang gelebt, anschliessend studierte ich in Jerusalem.

Ich fragte mich deshalb, ob und wie sich das Leben in der Stadt, die ich kenne, seit dem 7. Oktober verändert hatte. Die Hochzeitseinladung kam dann im richtigen Moment. Sie eignete sich als guter Vorwand, die Reise trotz gemischten Gefühlen und Respekt vor der angespannten Lage vor Ort anzugehen.

In den zehn Tagen, die ich im Westjordanland verbracht habe, habe ich einiges erlebt. Das sind die sechs Ereignisse, die ich niemals vergessen werde.

Die Hochzeit

Trotz Krieg geht das Leben weiter. So auch für Hamza (Name geändert), mit dem ich ein halbes Jahr die Wohnung geteilt hatte. Hamza hat sich vor einigen Monaten verlobt, heiratet nun in Ramallah eine Frau aus Nablus – eine Stadt im Norden des Westjordanlands, in der auch er selbst aufgewachsen ist. Eine Hochzeit in Kriegszeiten ist nicht normal. Aber es ist der Versuch in Zeiten, wo der Gaza-Krieg nach und nach ins Westjordanland überschwappt, nach Normalität zu streben. Es ist der Versuch, trotz trüben Aussichten eine Zukunft zu planen, eine Familie zu gründen und glücklich zu werden.

Bei seiner Hochzeitsfeier in einem Gartenrestaurant in der Nachbarschaft Ein Munjid vermittelt Hamza den Eindruck, dieses Glück auch gefunden zu haben. Er hat ein munteres Lächeln auf dem Gesicht, als er sich zusammen mit seiner Braut vom Fotografen ablichten lässt. Freunde und Familienangehörige reihen sich in die Schlange ein. Alle wollen sie ein Bild mit dem frisch verheirateten Hochzeitspaar.

Gleich im Anschluss bewegt sich die Gesellschaft in Richtung Tanzfläche und feiert zu einem aussergewöhnlichen Mix von traditioneller palästinensischer Musik und «Latin» Hip-Hop. Die Gäste schmeissen Hamza in die Luft, zelebrieren ihn. Die Stimmung ist fröhlich. Es scheint, als wäre vom Krieg an dieser palästinensischen Hochzeit nichts zu spüren.

Das überrascht mich. Doch dann realisiere ich, dass Hochzeiten möglicherweise eine der wenigen Zufluchtsorte darstellen, die Palästinensern bleiben, um für einige Stunden dem schwierigen Alltag zu entkommen. Ein Alltag in einem Apartheidregime, das nicht nur von internationalen Menschenrechrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch, sondern auch von der wohl bekanntesten israelischen NGO «B’Tselem» als solches festgestellt wird. Ein Alltag in einem Gebiet, dessen palästinensische Bevölkerung seit dem Terror-Angriff palästinensischer Gruppen am 7. Oktober die jahrzehntelang andauernde israelische Repression noch stärker erfährt.

Der Schrei im Flüchtlingslager

Mit einigen Freunden sitze ich in einem Café im palästinensischen Flüchtlingscamp Jalazone, wo sie aufgewachsen sind. Das Jalazone-Camp ist eines von 19 UNRWA-Flüchtlingslagern im von Israel besetzten Westjordanland und liegt etwa sechs Kilometer nördlich von Ramallah.

Gemäss einer Erhebung des palästinensischen Zentralamts für Statistik leben hier über 8000 Menschen eingeengt auf einer Fläche von einem Viertel Quadratkilometer – umgerechnet sind das etwa 35 Fussballfelder. Hunderttausende von palästinensischen Flüchtlingen wohnen im Westjordanland – sowie in Syrien, Libanon, Jordanien und im Gaza-Streifen – in solchen Flüchtlingslagern. Die Lebensverhältnisse sind schwierig, die Zukunftsperspektiven oft düster.

Die meisten Bewohner sind Nachkommen von Flüchtlingen, die im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948 aus ihren Häusern vertrieben wurden. Sie hoffen noch immer auf eine Rückkehr an Orte, die heute zum Staat Israel gehören – eine Rückkehr, die ihnen gemäss UN-Resolution 191 eigentlich zusteht.

Wir spielen Karten, als wir von einem lautstarken Schrei unterbrochen werden. Es ist der Schrei eines verängstigten Kindes, das nun auch zu weinen beginnt. Die Atmosphäre im Café ist plötzlich angespannt. Ich ahne schon, was vor sich geht, frage aber trotzdem nach. «Das Kind hat Angst, weil es einen Panzer gesehen hat», sagt ein Freund. Offenbar ist eben das israelische Militär ins Flüchtlingscamp einmarschiert. Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Erlebe ich jetzt den Krieg hautnah?

Meine Freunde stehen auf, wollen mit mir das Camp verlassen. Doch die anderen Menschen im Café bleiben sitzen und nehmen unbeirrt ihre Karten wieder in die Hand. Ob meine palästinensischen Freunde nur deshalb gehen wollen, damit ich mich sicher fühle? Wären sie ohne mich im Kaffee geblieben? Doch dann fordert uns ein junger Mann auf, uns wieder hinzusetzen. Die israelischen Soldaten befänden sich nicht in unserer Strasse, sondern in einer nebenan. Wir müssten uns keine Sorgen machen. Also verharren wir, vom Militäreinsatz hören wir nichts mehr.

Beeindruckend ist die Gelassenheit der Menschen im Café – die Alltäglichkeit, mit welcher sie auf diese Gefahrensituation reagierten. Erklären lässt sich dies durch eine traurige Realität: Die Menschen sind es gewohnt. Schon vor dem von der Hamas angeführten Terror-Angriff am 7. Oktober gehörten israelische Militäreinsätze in palästinensischen Dörfern, Städten und Flüchtlingslagern zum Alltag. Seither sie sich lediglich häufiger geworden und haben sich in ihrer Härte intensiviert. Gemäss dem UNO-Organ OCHA wurden dabei seit Kriegsbeginn über 600 Palästinenser im besetzten Westjordanland – inklusive Ostjerusalem – getötet.

Bis zum Krieg war Ramallah einer der wenigen palästinensischen Orte, von wo sich das israelische Militär gemeinhin fernhielt. Das hat sich nun geändert. Hier sind die Überreste eines Gemüse- und Früchtemarktes zu sehen, der bei einem israelischen Einmarsch Ende Mai in Brand gesetzt wurde.
Bild: Robin Walz

Der Fokus der israelischen Militäreinsätze gilt den Flüchtlingslagern, besonders im Norden des Westjordanlands. Diese gelten als Hochburgen militanter Palästinenser, die immer wieder Attentate auf Israelis verüben, vorwiegend Soldaten und Siedler. Israel versucht, sie mit Bodentruppen und – seit etwa einem Jahr – Drohnenangriffen zu bekämpfen. Vor diesem Hintergrund startete das israelische Militär Ende August den grössten militärischen Einsatz im besetzen Westjordanland seit zwei Jahrzehnten.

Die gepackten Koffer

In seiner kleiner Einzimmerwohnung in Tahta, der Altstadt von Ramallah, heisst mich Ibrahim (Name geändert) willkommen. Ich bin zum Abendessen eingeladen. Wir lernten uns kennen, als ich an einer Strasse vorbeilief, wo er Wasserflaschen und Taschentücher verkaufte, und wir ins Gespräch kamen.

Ibrahim kommt aus dem Gaza-Streifen. Vor einigen Jahren ist er nach Ramallah gekommen, um sich nach einer schweren Verletzung hierzulande medizinisch behandeln zu lassen – in Gaza war dies nicht möglich. Ibrahim begann während seiner Behandlung zu arbeiten und realisierte schnell, dass er in Ramallah um ein Vielfaches mehr verdienen kann als in seiner Heimatstadt. Also entschied er sich, zu bleiben. So konnte er Geld nach Hause schicken, um seiner Frau und seinen drei Kindern ein besseres Leben in Gaza zu ermöglichen. Das bedeutete allerdings, dass er seine Familie zurücklassen musste. Als im letzten Oktober der Krieg ausbrach, war er nicht bei ihnen.

Nach meiner Ankunft dauert es nicht lange, bis Ibrahim das Essen servierte: Fatteh Ghazawiya, ein traditionelles Gericht aus dem Gaza-Streifen. Ich setze mich auf einen Plastikstuhl. Ibrahim nimmt auf seinem eigenen Bett Platz, das in Reichweite des Tisches liegt und an diesem Abend als sein Esszimmerstuhl dient. Er lebt bescheiden und hat nicht viel Geld auf der Seite. Seine gastfreundliche Art würde es aber keineswegs erlauben, seine Gäste hungrig nach Hause zu schicken.

Fatteh Ghazawiya ist ein traditionelles palästinensisches Essen aus dem Gaza-Streifen mit Fladenbrot, Reis, Poulet, Pinienkernen, Zitronen – und natürlich viel verschiedenen Gewürzen.
Bild: Robin Walz

Mit uns am Tisch sitzen drei junge Männer, Freunde von Ibrahim, die ebenfalls aus dem Gaza-Streifen kommen und eine ähnliche Geschichte haben. Während des Essens fällt mir auf, dass Ibrahims Koffer gepackt sind. Er möchte offenbar zurück nach Hause, genauso wie drei seiner Freunde. «Wir warten nur noch auf die Bestätigung der Israelis, dass wir nach Gaza zurückkehren dürfen», sagt er. Wann? Diese Frage kann er nicht beantworten. Es könne morgen sein, in einer Woche – oder auch gar nicht.

Es fällt mir schwer, zu verstehen, weshalb Ibrahim ausgerechnet jetzt unbedingt zurückkehren möchte. Im Gaza-Streifen herrscht schliesslich Krieg – einer, in dem Hunger, Flucht und Tod den Alltag prägen. Im Januar hat der Internationale Gerichtshof entschieden, es sei zumindest «plausibel», dass Israel im palästinensischen Gebiet Genozid begeht.

Und gleichzeitig ist sein Drang nachvollziehbar. Was muss das wohl als Vater für ein Gefühl sein, in einem Krieg, in dem bereits über 15’000 Kinder getötet wurden, nicht einmal die eigenen Söhne und Töchter in die Arme nehmen zu können? Seine Familie hat in einer Schule Unterschlupf gefunden, kämpft dort täglich ums Überleben. Neben Nahrungsmitteln mangelt es auch an Kleidern. Deshalb sind Ibrahims Koffer gefüllt mit Kleidungsstücken.

Eine Bildausstellung in Ramallah, Westjordanland. Die Botschaft: Das Leiden der Palästinenser im Gaza-Streifen werde in der westlichen Welt zum Schweigen gebracht.
Bild: Robin Walz

Ibrahim und seine drei Freunde wirken angespannt, erzählen immer wieder vom Gaza-Streifen und ihrer Sehnsucht danach. Es hilft wohl, dass sie sich in derselben Situation befinden, können sie so doch gemeinsam diese schwierige Zeit überstehen.

Im Laufe des Abends kommen wir auf das Leben in der Schweiz zu sprechen. Sie zeigen mir Videos von den Bergen, die sie auf TikTok gefunden haben, und bewundern die Einfachheit, von der Schweiz in andere europäische Länder reisen zu können, «ohne israelische Checkpoints». Ein Freund von Ibrahim fragt: «Wie kriege ich ein Visum für die Schweiz? Kannst du mir einen Job organisieren?» Dabei lacht er, ein Hauch an Ernsthaftigkeit ist aber dennoch spürbar.

Sie sind neugierig, wollen wissen, wie viel ich verdiene, wie viel die Reise ins Westjordanland gekostet hat und wie es sich anfühlt, in einem Flugzeug zu sitzen. Den staunenden Blick Ibrahims, als er meinen leuchtend roten Schweizer Reisepass durchblättert, werde ich nie vergessen. Von diesem privilegierten Stück Papier, mit dem man grosse Reisefreiheit geniesst, kann er nur träumen.

Die gefällten Bäume

«Youth Village» nennt sich das von Freiwilligen errichtete Öko-Dorf nordwestlich von Ramallah im Dorf Kufr Ni’ima. Es ist ein Projekt der NGO «Sharek Youth Forum», bei der ich damals mein Praktikum absolviert hatte. Hier kommen palästinensische Jugendliche zusammen, nehmen an diversen Workshops teil und tauschen sich gegenseitig aus.

Das «Youth Village» befindet sich im Dorf Kufr Ni’ma, nur wenige Kilometer nordwestlich von Ramallah, und gleich neben einer israelischen Siedlung.
Bild: Robin Walz

Bei meinem letzten Besuch im «Youth Village» vor über einem Jahr standen sie noch, die prächtigen Zypressenbäume im oberen Bereich des Dorfes. Nun sehe ich, wie sie am Boden liegen. Am Vorabend sind Siedler der benachbarten Siedlung Sde Ephraim ins Dorf eingedrungen und haben mehrere der Bäume gefällt. Es war nicht deren erste Randale. Bereits in den Wochen zuvor stürmten sie ins Dorf, zerschmetterten Fenster und Türen aus Glas. Einschusslöcher in den Fensterscheiben deuten darauf hin, dass die Siedler Waffen auf sich trugen – und diese auch einsetzten.

Im Westjordanland (inklusive Ostjerusalem) leben gemäss der israelischen Friedensbewegung «Peace Watch» um die 700’000 Siedler in 146 Siedlungen und 191 sogenannten «Outposts» – Siedlungen, die ohne Zustimmung der Regierung gebaut wurden. Beide werden von den Vereinten Nationen und vom Internationalen Gerichtshof als völkerrechtlich illegal eingestuft. Nach israelischem Recht sind hingegen nur die Outposts gesetzeswidrig. Das hindert die Regierung allerdings nicht daran, solche Outposts nach und nach zu legalisieren.

So auch Sde Ephraim. Nur wenige Tage vor meinem Besuch im «Youth Village» entschied das israelische Regierungskabinett, fünf Outposts, einer davon Sde Ephraim, in Siedlungen umzuwandeln, also zu legalisieren. Damit führt Israel die von der internationalen Gemeinschaft kritisierte Siedlungsexpansion fort.

So absurd es klingen mag, sind Randale wie jene im «Youth Village» vergleichsweise harmlos. Erschreckend wird es dann, wenn Palästinenser von gewalttätigen israelischen Siedlern – oft bewaffnet – physisch angegriffen und dabei verletzt oder sogar getötet werden. Siedlergewalt war schon vor dem Terror-Angriff vom 7. Oktober ein grosses Problem für die Bevölkerung im Westjordanland.

Seither hat sich dieses Problem aber weiter verschärft. Gemäss dem OCHA haben seit Kriegsbeginn mindestens zehn Palästinenser durch Siedlergewalt ihr Leben verloren, über Hundert wurden verletzt. Zudem seien etwa 1500 Menschen von ihrem Zuhause vertrieben worden. Eine mögliche Erklärung für die starke Zunahme an Siedlergewalt sind Rachegelüste nach dem Terrror-Angriff vom 7. Oktober, kombiniert mit der Gewissheit, von den israelischen Behörden nur in den seltensten Fällen bestraft zu werden.

«Ich hab mir fast in die Hosen gemacht»

Vielleicht das exemplarischste Beispiel für Siedlergewalt ist Masafer Yatta, eine Dörfergemeinschaft im Süden des besetzten Westjordanlands. Dort haben Angriffe von Siedlern auf Hirten und andere Dorfbewohner in den vergangenen Monaten drastisch zugenommen.

Ursprünglich war mein Plan, für zwei Tage nach Masafer Yatta zu reisen und die Lage dort selbst zu beobachten. Ein britischer Bekannter, der ebenfalls im Westjordanland zu Besuch war, kannte einen palästinensischen Journalisten vor Ort und hatte für uns einen Besuch in dessen Dorf Umm al-Khair aufgegleist. Er reiste bereits einen Tag vor mir dorthin.

Kurz nachdem er im Dorf At-Tuwani angekommen war, wurde er aber von einer Gruppe bewaffneter Siedler angehalten. Der Bekannte erzählte hinterher: «Sie fragten mich, was ich hier mache, und behaupteten, dass ich lüge und auf der falschen Seite sei.» Als er weglaufen wollte, liessen sie ihn nicht gehen. Er musste in der Sonne Platz nehmen, während die Siedler nur wenige Meter von ihm entfernt die Sicherung des Maschinengewehr ständig aktivierten und wieder deaktivierten. «Das war eindeutig eine Einschüchterungstaktik», sagt er. Und: «Ich hab mir fast in die Hosen gemacht.»

So sah einer der bewaffneten Siedler aus.
Bild: zvg

Erst als etwa eine Dreiviertelstunde später israelische Soldaten eintrafen, fühlte er sich einigermassen sicher. «Wenigstens trugen sie eine Uniform, einen Badge und eine Bodycam. Sie sahen offiziell aus, während die Siedler einfach ein grünes Outfit anhatten», sagt er. Nachdem er weitere 45 Minuten festgehalten wurde und sein Identitätsausweis fotografiert worden war, liessen ihn die Soldaten gehen. Eine Begründung für das Festhalten erhielt er nicht.

Obwohl er in dieser Situation um sein Leben bangte, habe er sich beinahe geschämt, seinen palästinensischen Freunden davon zu erzählen. Schliesslich sei das für sie Alltag. Aufgrund dieses Vorfalls entschied ich mich, die Reise nach Masafer Yatta zu unterlassen.

Der Kaffee des Anstosses

Nach neun eindrücklichen und lehrreichen Tagen im Westjordanland bin ich bereit, in die Schweiz zurückzukehren. Da ich nicht Palästinenser bin, habe ich das von Israel erteilte Privileg, über den Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv ein- und auszureisen.

Palästinenser aus dem besetzten Westjordanland haben das nicht. Möchten sie ins Ausland, müssen sie stattdessen über den Flughafen der jordanischen Hauptstadt Amman reisen. Weil sie sich beim Grenzübergang zwischen dem Westjordanland und Jordanien drei langwierigen Kontrollen – der palästinensischen, israelischen und jordanischen – unterziehen müssen, nimmt alleine der Weg zum Flughafen teilweise über zehn Stunden in Anspruch. Ohne diese Kontrollen würde die Fahrzeit etwa eine Stunde betragen.

Ganz unglimpflich verläuft aber auch die Reise über Tel Aviv nicht immer. Das musste ich am eigenen Leib erfahren. Bei der Einreise wurde ich als der beinahe einzige Tourist an der israelischen Grenzkontrolle noch herzlich empfangen.

Als sie bei meiner Ausreise allerdings den palästinensischen Kaffee im Handgepäck entdecken, läuten bei ihnen alle Alarmglocken. Erst wird – zwei Mal in Folge – mein Gepäck entleert und durchsucht. Nachdem der Sprengstofftest für meine Gepäckstücke negativ ausfällt, folgt ein intensives Verhör, mit diversen Fragen zu meinem Aufenthalt im besetzten Westjordanland. Schliesslich findet auch der Ganzkörperscanner keine Indizien für einen Gesetzesverstoss. Der palästinensische Kaffee wird von den israelischen Sicherheitsbeamten dennoch beschlagnahmt.

An diesem Kaffee hatten die israelischen Beamten keine Freude.
Bild: Jean Albani/zvg

Nach etwa einer Stunde lassen sie mich durch und ich darf zum Gate – den Flug hätte ich beinahe verpasst. Ein zufälliger Sicherheitscheck war das jedenfalls nicht. Menschen, die ins Westjordanland reisen oder von dort in ihr Land zurückreisen möchten, werden am Flughafen in Tel Aviv offenbar gezielt schikaniert. Dabei scheint es den israelischen Beamten darum zu gehen, bei den Reisenden eine möglichst unangenehme Erinnerung zu hinterlassen, damit sie nicht wieder zurückkehren.

Offenbar mögen sie es nicht, wenn Menschen aus dem Ausland die israelische Unterdrückung im Westjordanland mit eigenen Augen zu sehen bekommen.