Ökologischere Landwirtschaft: Bundesrat beschliesst Paradigmenwechsel – und nimmt nicht mehr nur Bauern in die Pflicht
Der Bundesrat hat am Donnerstag den Bericht zur «zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik» veröffentlicht und damit den Weg frei gemacht für die Wiederaufnahme der Beratungen zur Agrarpolitik 2022+ im National- und Ständerat. In seinem Bericht zeigt der Bundesrat auf, wie sich die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft bis 2050 entwickeln soll.
Der Ansatz
In seinem Bericht spricht der Bundesrat erstmals explizit von der «Land- und Ernährungswirtschaft». Er nimmt folglich nicht nur die Bäuerinnen und Händler in die Pflicht, sondern setzt auch bei der Verarbeitung und dem Konsum an. «All diese Akteure beeinflussen das Ernährungssystem», sagt Christian Hofer, Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW). Sie alle müssten deshalb «in die Überlegungen miteinbezogen werden, damit ganzheitliche Lösungen möglich sind».
Die Ziele
– Der Bundesrat legt im Bericht dar, wie er seine Vision einer «Ernährungssicherheit durch Nachhaltigkeit von der Produktion bis zum Konsum» bis 2050 erreichen kann. Dafür legt er folgende Ziele fest:
– Der Selbstversorgungsgrad der Schweiz soll auch nach 2050 mehr als 50 Prozent betragen.
– Die Treibhausgasemissionen der Nahrungsmittelproduktion sollen 2050 mindestens 40 Prozent unter dem Niveau von 1990 liegen. Die Treibhausgasemissionen des Lebensmittelkonsums sollen um zwei Drittel sinken.
– Die Ernährung der Schweizer Bevölkerung ist gesund und regional. Die Treibhausgasemissionen des Konsums pro Kopf liegen mindestens zwei Drittel unter dem Niveau von 2020.
– Die Lebensmittelverluste in Produktion, Verarbeitung, Handel und Konsum sollen um drei Viertel reduziert werden.
– Die Arbeitsproduktivität der Bäuerinnen und Bauern steigt gegenüber 2020 um 50 Prozent.
– Die Land- und Ernährungswirtschaft nutzt neue, umwelt- und ressourcenschonende Technologien.
Die Stossrichtungen
Um die festgelegten Ziele zu erreichen, legt der Bund vier – ziemlich vage formulierte – Stossrichtungen fest. So will er sicherstellen, dass die Produktionsgrundlagen, also Wasser und Boden, schonend genutzt werden und den «Auswirkungen des Klimawandels durch vorausschauendes Handeln» begegnet wird. Zudem will der Bundesrat «eine klima-, tier-, und umweltfreundliche Lebensmittelproduktion» fördern. Dazu zählen mitunter der Ausbau erneuerbarer Energien auf Bauernhöfen und in Produktionsbetrieben sowie die Verminderung von Nährstoffverlusten.
Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Stärkung der nachhaltigen Wertschöpfung. Darunter versteht der Bundesrat einerseits die Reduktion des administrativen Aufwands, andererseits die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft.
Zu guter Letzt will der Bundesrat auch beim Konsum ansetzen: Er will Konsumentinnen und Konsumenten über die Wirkung von Lebensmitteln auf Klima und Tierwohl aufklären und mehr Informationen zu den Produkten zur Verfügung stellen. Ebenfalls wird untersucht, inwiefern die Kosten zulasten der Umwelt im effektiven Preis abgebildet werden können. Durch diese Massnahmen soll sich die Bevölkerung gesünder und ausgewogener ernähren und gleichzeitig die Lebensmittelverschwendung reduzieren.
Die Umsetzung
In seinem Bericht listet der Bundesrat konkrete Massnahmen zur Umsetzung auf. Unter anderem schlägt er folgende Veränderungen vor:
Um den Selbstversorgungsgrad zu halten, sollen auf der Ackerfläche vermehrt Kulturen zur direkten menschlichen Ernährung angebaut werden. Zur Milch- und Fleischproduktion soll das Dauergrünland – es macht mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche aus – genutzt werden, wobei die Milchproduktion aus Effizienzgründen zu bevorzugen sei. Damit reagiert der Bundesrat auf die Tatsache, dass in der Schweiz aktuell weniger als 40 Prozent der Ackerfläche zur Produktion von menschlicher Nahrung verwendet wird, gleichzeitig haben sich die Futtermittelimporte in den letzten zwanzig Jahren nahezu verdoppelt.
«Die Ernährung der Schweizer Bevölkerung ist unausgewogen und verbunden mit einem grossen ökologischen Fussabdruck», schreibt der Bundesrat im Bericht. Er fordert deshalb, dass sich Herr und Frau Schweizer künftig an den Empfehlungen der Lebensmittelpyramide orientieren. Heisst konkret: Weniger Fleisch, Alkohol und Süsses, mehr Früchte, Gemüse und Milchprodukte. Damit könne die Umweltwirkung des Konsums halbiert werden, heisst es im Bericht.
Der Bundesrat will die Nährstoffflüsse optimieren und die Nährstoffverluste deutlich reduzieren. Vor allem beim Stickstoff sieht er Handlungsbedarf. Mit dem Absenkpfad Pestizide hat er hierfür bereits eine Grundlage geschaffen. Diese sieht vor, dass die Stickstoffverluste der Landwirtschaft bis 2030 um 20 Prozent sinken. So soll verhindert werden, dass die Nährstoffverluste die ökologische Tragfähigkeit überschreiten.
Um zu vermeiden, dass die Nachhaltigkeitsbestrebungen der Schweizer Landwirtschaft durch den Import von Lebensmitteln aus dem Ausland zunichte gemacht werden, will sich der Bundesrat international für einen «nachhaltigen Agrarhandel und die Förderung des Imports von nachhaltig produzierten Gütern» stark machen.
Der Fahrplan
Der Bundesrat sieht vor, seine Strategie in drei Etappen umzusetzen. Um in einem ersten Schritt den ökologischen Fussabdruck zu reduzieren, haben Parlament und Bundesrat im Rahmen der Parlamentarischen Initiative «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» bereits Massnahmen beschlossen. In einem zweiten Schritt soll die Agrarpolitik 2022+ verabschiedet werden.
Der Bundesrat empfiehlt dem Parlament, in der AP22+ auf gewisse Themen zu verzichten und die ökonomischen und sozialen Aspekte in den Vordergrund zu stellen, da viele ökologische Aspekte bereits Teil der ersten Etappe sind. Am kommenden Montag diskutiert die Wirtschaftskommission des Ständerats zum ersten Mal seit der Sistierung wieder über die Vorlage. Stimmt das Parlament der AP22+ zu, könnte diese laut Bundesamt für Landwirtschaft per 1. Januar 2025 in Kraft treten. Ab 2030 sollen dann in einem dritten Schritt weitere Massnahmen erarbeitet werden, um das Ernährungssystem und den Handel noch nachhaltiger zu machen.