«Sie sagte im Vorhinein: Wir machen das zu zweit – Ich bin dann schnell auf die Welt gekommen»
Mikael Krogerus, Ihr Buch heisst «Elter werden» und nicht Vater werden. Wollten Sie die Lebenswirklichkeit von Eltern bewusst vom Geschlechterdiskurs lösen?
Nein, überhaupt nicht! Ich suchte einfach nach einem Wort, das dieses Gefühl beschreibt, wenn man zum ersten Mal sein Kind in den Armen hält, diese Mischung aus Zuneigung und Überforderung. Alles ändert sich. Alles wird verbindlich. Die Selbstbezogenheit nimmt ab. Man lernt über Nacht, was es heisst, Verantwortung zu übernehmen, und auch, was es heisst, sie zu tragen. Und dass das etwas vom Schönsten ist. Aber auch vom Schwersten.
Heute stehen Sie an einem anderen Punkt. Eines Ihrer Kinder ist 22 Jahre alt, das andere 16. Was macht das mit der Verantwortung?
Irgendwann kam der Moment, ab dem ich meinen Kindern nur noch zusehen konnte beim Leben. Ohne Chance einzugreifen. Ich schaute staunend zu, was ihnen alles gelang, und zugleich blieb meine Sorge um sie. Die bleibt wohl für immer.
Kann man das Loslassen lernen?
Lange Zeit kommen die Kinder ja ohne einen nicht klar. Dann wollen sie es allein schaffen, können es aber noch nicht. Und dann stellt man plötzlich fest, dass sie es ohne einen viel besser können. Für mich war es ein schönes Gefühl, sie loszulassen. Ich glaube, ich habe grosses Vertrauen in die Kinder. In dieser Hinsicht habe ich viel von meiner Frau gelernt, ich habe mir immer mehr Sorgen gemacht, sie war relaxter. In der Partnerschaft sollte man sich gegenseitig im Loslassen bestärken.
Das Loslassen beginnt schon in der Kita …
… und da hilft es nicht, dass in der Schweiz immer noch die Meinung vorherrscht, es sei ein Makel, sein Kind abzugeben. In Skandinavien, wo ich herkomme, sind alle Kinder früh fremdbetreut. Dadurch machen Eltern früh die Erfahrung, dass ihre Kinder auch prima ohne sie klarkommen. Das muss man halt gesellschaftlich üben.
Was ist anspruchsvoller, das Leben mit Teenagern oder mit Kleinkindern?
Als Eltern denkt man ja immer: Was gerade ist, ist am schlimmsten. Ich kann nach zwanzig Jahren Kinderhaben sagen: Alles geht vorüber. Aber es kommen auch immer neue Probleme. Es gibt doch dieses Sprichwort: Kleine Kinder machen kleine Probleme, grosse Kinder machen grosse Probleme. Das stimmt insofern, als der Hebel grösser wird. Wenn etwas in der Schule nicht funktioniert oder wenn die Lehre geschmissen wird, dann hat das grössere Auswirkungen. Mit grösseren Kindern werden die Themen grösser und damit die Sorgen.
Ihr Buch ist kein Ratgeber. Welche Erfahrung haben Sie selbst mit der Ratgeberliteratur gemacht?
Wir waren recht jung, als wir Kinder bekamen, und hatten tatsächlich keine Ratgeber. Das hatte vielleicht auch Vorteile. Wenn man jung ist und nicht so viel weiss, ist man sorgloser. Mein Gefühl mit den Kindern war: Das klappt schon, es muss nicht alles funktionieren, es gibt keinen Orden für perfekte Kinder. Heute sehe ich im Freundeskreis Eltern, die unglaublich informiert sind, dann aber auf eine Art Informationsparadox stossen: Egal, wie viel man weiss, kann man doch nicht alles richtig machen. Trotzdem ist es wichtig, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich würde allen Eltern Remo Largo ans Herz legen. Und ich finde es sehr gut, dass es in der Schweiz kostenlose Elternberatung gibt.
Sie sind in Schweden geboren. Welche Dinge können wir uns von den Skandinaviern abgucken, was die Familie und die Beziehung zu den Kindern betrifft?
Schweden ist auch kein Paradies, das mal vorneweg. Aber auf der positiven Seite ist es dort so, dass alle Mütter arbeiten, die Idee der Hausfrau gibt es nicht. Tagsüber ist man in der Schule und macht dort auch seine Hausaufgaben. Was das Familiensystem entlastet, weil ein paar Basics – Mittag, Hausaufgaben – vom System abgedeckt sind. Das führt dazu, dass Mütter wie Väter neben dem Beruf zu den Kindern schauen. Gleichzeitig sind Frauen in Schweden in einer Dreifachrolle, sie müssen im Job, als Mutter und als Hausfrau erfolgreich sein. Studien haben gezeigt, dass skandinavische Männer denken, sie machten zu Hause gleich viel. Tatsächlich machen aber immer noch die Frauen mehr.
Ist es Ihnen gelungen, die mentale Last und die Kinderbetreuung gleichmässig zu verteilen?
Natürlich gibt es auch bei uns typische Arbeitsteilungen nach Geschlecht: Meiner Frau fällt eher auf, wenn nicht geputzt ist, und mich beschäftigt, dass das Auto in die Garage muss. Was die Kinder angeht, haben wir die Arbeit aber tatsächlich gleichmässig aufgeteilt. Das geschah ganz klar dank meiner Frau. Sie sagte im Vorhinein: Wir machen das zu zweit. Ich bin dann schnell auf die Welt gekommen, als ich merkte, was das heisst (lacht).
Viele Paare nehmen sich das so vor, aber wenn das Baby da ist, fallen sie in die alten Muster. Weshalb hat es bei Ihnen funktioniert?
Ich habe meine 80-Prozent-Stelle gekündigt und freiberuflich gearbeitet. Wir merkten, wenn wir das wirklich gerecht aufteilen wollen, dann geht das nur, wenn wir auch wirklich gleich viel Zeit für die Aufteilung haben.
Sie beschreiben an einer Stelle im Buch, wie Sie als Kind einen imaginären Freund hatten, und schliessen, dass wir ohne Freunde nichts sind. Wie geben Sie diesen Rat an Ihre Kinder weiter?
Ich glaube, dass es generell nicht so schlau ist, Kindern Ratschläge zu geben. Wenn, dann sollte man es ihnen vorleben. Also hoffentlich haben unsere Kinder mitbekommen, dass wir unsere Freunde und Freundinnen mögen und wir uns um sie kümmern, wenn es ihnen schlecht geht. Aber ich habe in diesem Buch auch bloss meine Erfahrungen aufgeschrieben, vielleicht erkennen sich manche wieder, ein Experte aber bin ich nicht, ich kann nicht ernsthaft sagen, wie das geht mit den Kindern.
Sie schreiben begeistert von einer Ferienwoche bei Freunden, die eine Art Excel-Parenting hatten, wo der ganze Tagesablauf in eine Liste eingetragen wird und man entsprechend über fast nichts diskutieren muss. Warum haben Sie das nicht für Ihre Familie übernommen?
Wir hatten während des Lockdowns kleine Mini-Erfolge, da regelten wir, wer wann was macht im Haushalt, auch die Kinder, das hat gut funktioniert. Und es hatte etwas Befreiendes, denn es erinnerte daran, dass Familienarbeit ein Projekt ist und nicht etwas, das von alleine geht, bloss weil man es aus Liebe macht. Wenn ich nochmals zurückgehen und von vorne anfangen könnte, dann würde ich die Familie mehr wie ein Projekt aufziehen. Im Job bin ich einigermassen organisiert, im Familienalltag tue ich so, als würde alles von alleine gehen. Wenn man Familie wie ein Projekt anschaut, dann muss man zum Beispiel auch mehr kommunizieren, und das wiederum fördert die Gleichberechtigung der Eltern. Und es gibt Studien, die sagen, dass Paare, die viel kommunizieren, auch mehr und besseren Sex haben.
Sie selbst sind in einem Frauenhaushalt aufgewachsen, spielt das eine Rolle?
Ich würde sogar sagen, dass die fünf wichtigsten Bezugspersonen in meinem Leben Frauen waren: meine Mutter, meine Schwester, meine beste Freundin, meine erste Chefin beim «NZZ Folio», Lilli Binzegger, und meine Frau. Das muss mich ja irgendwie geprägt haben (lacht).
«Ich möchte, dass meine Kinder glücklich sind. Und das ist ein Fehler», schreiben Sie in Ihrem Buch. Besser sei es, die Kinder in ihren Gefühlen ernst zu nehmen. Ist Ihnen das gelungen?
Ach, das weiss ich nicht. Und es ist auch wahnsinnig schwierig. Denn man versucht ja instinktiv, die Schwierigkeiten im Leben der Kinder aus dem Weg zu schaufeln. Was ich mit der Aussage meine ist: Es sind gute Absichten, aber das Problem ist, dass man nicht all die Widrigkeiten des Lebens von seinen Kindern fernhalten kann. Und man muss sich auch fragen, warum man das will? Weil man will, dass das Kind glücklich ist. Das ist nachvollziehbar, aber «glücklich sein» ist ein unglaublicher hoher Anspruch. Vielleicht sollten wir Kinder lieber so behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen. Die Aufgabe von uns Eltern ist es nicht, jedes Problem unserer Kinder zu lösen, sondern sie in ihren Gefühlen ernst zu nehmen. Besonders dann, wenn die Gefühle nicht unseren eigenen Erfahrungen und Erwartungen entsprechen.
Kinder bringen Eltern in Extremsituationen und damit nicht nur deren beste Eigenschaften ans Licht, wie sind Sie damit umgegangen?
Kinder halten einem brutal den Spiegel vor. Und ich glaube, die einzige Art, damit umzugehen, ist zu versuchen, es mit Humor zu nehmen. Ich fand zum Beispiel immer, dass wir ordentlich sein müssen, durch meine Kinder wurde mir klar, dass ich es selber nicht bin.
Licht oder Schatten, was überwiegt in der Erfahrung mit sich selbst als Elternteil?
Schon die guten Dinge. Es ist etwas vom Beeindruckendsten, was ich je erlebt habe: Dass ich meine Kinder so liebe. Und dass ich dafür keine Gegenliebe erwarte. Sie machen mich glücklich, einfach, weil es sie gibt.
Mikael Krogerus, geboren 1976 in Stockholm, lebt mit seiner Familie in Basel, war Redaktor beim NZZ Folio und schreibt heute für «Das Magazin». Mit Roman Tschäppeler hat er unter anderem «The Decision Book» herausgegeben. «Elter werden: Was Kinder mit dir machen» (29 Franken via www.echtzeit.ch/freunde) erscheint am 23. November. Die Buchvernissage findet am 10. Dezember im «Kaufleuten» Zürich statt, Lesungen am 23. Januar im «Parterre One» in Basel und am 12. Februar im «Progr» in Bern.