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Die Ukraine ist nun offiziell Kandidatin: Balkanstaaten lassen ihren Frust bei EU ab

Kiew erhält von der Europäischen Union den Status als Beitrittskandidatin. Auf der zweiten geopolitischen Baustelle, dem Westbalkan, müssen sich die EU-Länder aber Versagen vorwerfen lassen.

Für die Ukraine war es ein Freudentag: Beim Treffen der 27 EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Brüssel wurde dem Land der Status des EU-Beitrittskandidaten zu verleihen. Im selben Schritt erhielt auch die Republik Moldawien den Kandidatenstatus.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen feierte den Schritt auf Twitter als «historisch».

Wann die ersten Kapitel der Beitrittsverhandlungen eröffnet werden können, steht aber in den Sternen. Erst muss die Ukraine noch Hausaufgaben machen und im Bereich der Rechtsstaatlichkeit und der Korruption Reformen aufgleisen. Und auch dann braucht es nochmals einen einstimmigen Entscheid der Staats- und Regierungschefs, bis es wirklich losgehen kann.

Hier von der Leyens Reaktion:

Frustrierend: Balkan ist seit bald 20 Jahren in der Warteschleife

Wie lange das dauern kann, zeigen diese beiden Beispiele: Seit geschlagenen 17 Jahren ist Nordmazedonien Beitrittskandidat und wartet auf den Beginn der Verhandlungen. Albanien harrt seit acht Jahren im Vorzimmer aus. Immer wieder müssen sich die beiden Länder von den EU-Staats- und Regierungschefs vertrösten lassen.

Grund ist, dass der Beitrittsprozess gerne aus innenpolitischen Winkelzügen instrumentalisiert wird: Mal ist es politisch gerade nicht opportun, die Länder des Westbalkans näher an die Gemeinschaft heran zu lassen, wie nach dem Brexit. Mal blockiert Griechenland wegen des Namensstreits um die Heimatregion von Alexander dem Grossen.

Und jetzt ist es Bulgarien, das sich querlegt und verlangt, dass die Mazedonier ihre Sprache als blossen Dialekt des Bulgarischen anerkennen.

Alle Versuche, in letzter Minute einen Kompromiss zu schmieden, waren gescheitert. Zuletzt daran, dass die bulgarische Regierung unter dem progressiven Premierminister Kiril Petkow am Mittwochabend im Parlament in Sofia gestürzt wurde. Nicht nur, aber auch wegen der vorher geäusserte Absicht, im Nordmazedonien-Streit für eine Lösung Hand zu bieten.

Gar nicht gut gelaunt: Der albanische Ministerpräsident Edi Rama, der nordmazedonische Premier Dimitar Kovacevski und Serbiens Präsident Alexander Vucic.
Keystone

Der albanische Ministerpräsident Edi Rama hielt sich in der Folge mit deutlichen Worten nicht zurück: «Was für eine Schande für Europa», sagte Rama am Rande des Gipfeltreffens und fügte frustriert an:

«Lassen Sie mich mein tiefes Bedauern aussprechen: Ich habe Mitleid mit der EU».

Man müsse sich dies einmal vorstellen: Mit Bulgarien halte ein Nato-Land zwei andere Nato-Länder (Albanien und Nordmazedonien) als Geisel und die 26 übrigen EU-Staaten unternähmen nichts, ausser in ihrer «Impotenz» tatenlos zuzuschauen, so Rama. Nach der Pandemie hätte nicht einmal der blutige Krieg in der Ukraine die Europäer zur Einigkeit bringen können.

Sein nordmazedonischer Amtskollege Dimitar Kovacevski äusserte sich im Prinzip gleichlautend, wen auch etwas diplomatischer: «Was hier passiert ist ein ernstes Problem und ein grosser Verlust der Glaubwürdigkeit der Europäischen Union».

Balkanstaaten fühlen sich bitter vernachlässigt

Tatsächlich müssen sich die EU-Staats- und Regierungschefs vorwerfen lassen, neben der Ukraine bei ihrer zweiten geopolitischen Baustelle auf dem Westbalkan zu versagen. Und das schon seit Jahren: Nicht nur schaffen sie es nicht, mit Albanien und Nordmazedonien die überfälligen Beitrittsverhandlungen zu eröffnen. Auch wartet der Kosovo auf die lange versprochene Visa-Freiheit, für die Pristina längst alle Kriterien erfüllt hat. Bosnien-Herzegowina, das sich mit russischen Destabilisierungsversuchen konfrontiert sieht, hat noch nicht einmal den Kandidatenstatus.

Auch wenn es öffentlich niemand so sagen will: Das Gefühl auf dem Balkan, von der EU vernachlässigt zu werden, während die Ukraine eine Vorzugsbehandlung erhält, ist klar spürbar. Edi Rama warnte die Ukrainerinnen und Ukrainer jedenfalls davor, «sich nicht zu viele Illusionen zu machen».

Dabei ist es keinesfalls so, dass es auf Westbalkan keine Probleme gäbe, die die Erweiterung belasten würden. Serbien zum Beispiel, welches seit dem Jahr 2014 mit Brüssel über einen Beitritt verhandelt, hat unter Präsident Alexander Vucic in den letzten Jahren markante Rückschritte bei der Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit gemacht. Zudem sorgt Vucics Pendeldiplomatie zwischen Moskau und der EU und die Nicht-Übernahme der Russland-Sanktionen für viel Verstimmung unter den EU-Staaten.

Vucic seinerseits lässt sich von Kritik jedoch nicht gross beeindrucken. Angesprochen auf den schleppenden Beitrittsprozess und das schnelle vorankommen der Ukraine sagte er am Donnerstag zu Journalisten in Brüssel bloss: «Wir respektieren uns selbst mehr, als dies andere tun».