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Wie die SVP Nemos ESC-Sieg instrumentalisiert

Die Schweiz wird den Eurovision Song Contest 2025 ausrichten. Während eine Initiative der SVP und der FDP die Gelder für die SRG drastisch kürzen will, steht diese vor einem Dilemma: Soll sie sich bedeckt halten oder der Welt ihr ganzes Können beweisen? Die Kampagne ist angelaufen.

«Oh, Oh, Oh!» Nemo begeisterte am Samstagabend in Malmö und bescherte der Schweiz den dritten Eurovisionssieg in der Geschichte. Nach Lys Assia und Céline Dion schreibt der Bieler nun Geschichte im Musikwettbewerb.

Für die Schweiz ist dies ein grosser kultureller Sieg. Für die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) sieht die Sache jedoch anders aus. Denn die Institution ist nun verpflichtet, den Eurovision Song Contest 2025 zu organisieren.

Und die Dinge sind nicht so einfach. Denn die SRG steht unter Druck, vor allem wegen der Initiative «200 Franken sind genug», die von SVP- und FDP-Parlamentariern ins Leben gerufen wurde. Die Initiative will den Preis für die Serafe-Note von 335 auf 200 Franken pro Haushalt senken.

Das halb erklärte Ziel ist es, RTS und SRF zu schwächen, da sie angeblich ihren Auftrag überschreiten und ihre Pflicht zur Objektivität vernachlässigen – was bedeutet, dass sie zu links sind. Die Initiative soll dem Volk im nächsten Jahr vorgelegt werden, aber das Datum der Abstimmung ist noch nicht festgelegt. Er könnte am 18. Mai 2025 stattfinden, etwa zur gleichen Zeit wie der Eurovision Song Contest.

Zwei SVPler machen Stimmung

Nach Nemos Sieg liess die Kritik von Seiten der SVP nicht lange auf sich warten. Der Freiburger Nationalrat Vincent Kolly gratulierte Nemo auf X, prangerte aber gleichzeitig einen «für politische Zwecke missbrauchten Sieg» an. Der Künstler nutzte nämlich den Eurovision Song Contest, um sich mit einer nicht-binären Flagge zu zeigen, und seinen Sieg, um die Frage der Eintragung eines «dritten Geschlechts» in die Schweizer Verwaltungsregister erneut auf den Tisch zu bringen.

«Das ist sein Recht», stellt der Nationalrat klar und fügt hinzu, dass «diese Haltung bei der Finanzierung der Organisation 2025 in der Schweiz berücksichtigt werden muss». Die Drohung ist ausgesprochen. Und ebenso offensiv war der Tonfall seines Walliser Kollegen Jean-Luc Addor, der sich über Eurovision und die Werte, die der Wettbewerb vermittelt, wunderte:

«Ist es nicht an der Zeit, die öffentliche Finanzierung dieser Art von ideologischer Operation durch die SRG zu untersuchen?»

Jean-Luc Addor (SVP)
Bild: Alessandro Della Valle / Keystone

Der Anwalt, der auch Mitglied des Initiativkomitees von «200 Franken sind genug» ist, fügt in einer weiteren Botschaft, die nach Nemos Sieg am Montagmorgen ausgestrahlt wurde, hinzu:

«Sind diejenigen, die kürzlich ihre Serafe-Rechnung erhalten haben, begeistert, diese LGBTQ+ Kampagne zu finanzieren?»

«Wenn es Volksmusik gewesen wäre …»

Hätten die beiden Politiker mit ihren Argumenten nicht bis zum Vorfeld der Abstimmung warten können? «Im Gegenteil, es ist der ideale Zeitpunkt, um das Ereignis zu instrumentalisieren», entgegnet René Knüsel, Honorarprofessor und Politologe an der Universität Lausanne. «Man spricht jetzt über den Eurovision Song Contest. Und eine Reihe von Online-Personen sind der Meinung, dass Nemos Erfolg das Image der Schweiz im Ausland verfälscht.»

«Wenn wir dem Publikum einheizen müssen, dann jetzt.» René Knüsel, Politikwissenschaftler

Inhaltlich wird der ESC ebenso ins Visier genommen wie die SRG. «Konservative Kreise gehen davon aus, dass der Song eine Demonstration ist», meint René Knüsel. Ein Gefühl, das durch die nicht-binäre Flagge, die Nemo auf der Bühne schwenkt, noch verstärkt wird.

«Sicherlich würde es diese Opposition nicht geben, wenn ein Lied der Volksmusik gewonnen hätte», sagt Knüsel.

Die Kampagne hat begonnen

Ob man es will oder nicht, die beiden SVPler haben den Sieg von Nemo genutzt, um inoffiziell die Kampagne für ihre Initiative in der Westschweiz zu starten. Und auf Seiten der SRG täte man gut daran, auf den Zug aufzuspringen, meint René Knüsel. «Die Vorbereitung auf den Eurovision Song Contest 2025 kann auf zwei Wegen erfolgen: Wenn die SRG die Herausforderung annimmt, könnte sie ihre Kampagne für den Service public unterstützen, indem sie ein internationales Top-Ereignis mit 160 Millionen Zuschauern prominent betreut.»

Aber es gibt auch eine Kehrseite der Medaille: «Die SRG muss ein angemessenes Budget vorlegen, insbesondere mit Sponsoring, das im Voraus abgeschlossen werden muss. Diejenigen, die den Eurovision Song Contest nicht mögen, könnten die Institution beschuldigen, mit Geldscheinen um sich zu werfen, um ein Ereignis vorzubereiten, das nicht als wesentlich für ihr Mandat angesehen wird.»

«Die Organisation des Eurovision Song Contests, wenn sie zu einem Element der Kampagne wird, kann auf unvorhersehbare Weise mobilisiert werden, sowohl von der SRG als auch von ihren Gegnern.»

Der Politologe erklärt es so: «Dieses Ereignis könnte der SRG zugutekommen, weil es Teil der Kampagne gegen ‹200 Franken sind genug› sein kann. Aber es könnte auch sehr schlecht kommen, weil es Teil der Kampagne für 200 Franken sein kann.» Die Argumente werden bereits geschärft und es wird ein harter Kampf erwartet.

Was ist die Initiative? «Keine Verbindung zum Eurovision Song Contest»

Bei der SRG ist man sich der Herausforderungen bewusst. Auf Anfrage räumt sie ein, dass «die Produktion der grössten Musikshow der Welt einen grossen Einfluss auf das Budget und die Ressourcen hat». Die Organisation erinnert auch daran, dass die Partnerstadt, die Europäische Union für Radio und Fernsehen, der Kartenverkauf und die Sponsoren eine wichtige Rolle bei der Finanzierung spielen werden. SRG-Sprecher Nik Leuenberger sagt:

«Die Initiative ‹200 Franken sind genug› hat nichts mit dem Eurovision Song Contest zu tun: Es handelt sich um einen laufenden politischen Prozess, den wir respektieren.»

Was ist mit der inhaltlichen Kritik, insbesondere an den Werten, die Nemo oder der ESC verkörpern? Die SRG antwortet diplomatisch: «Es ist eine ideale Gelegenheit, um zu zeigen, dass Musik vereinen kann, wo andere Überlegungen trennen können.» Aber sie lässt sich nicht täuschen:

«Wie es bei jedem Unterhaltungsprogramm der Fall ist, gefällt auch der Eurovision Song Contest nicht jedem. Aber er ist ein grosser Erfolg beim Publikum in der Schweiz.»