Katerstimmung in den Schweizer Musikclubs. Der Ticketverkauf ist um geschätzte 25 bis 30 Prozent zurück gegangen
Es war ein Festivalsommer der Superlative. Eine wahre Flut von Konzerten, Festivals und Open Airs hatte die Schweiz erfasst, mit einer Wucht und Grösse, wie es unser Land noch nicht erlebte. Das Angebot an Stadionkonzerten hatte sich verdreifacht. Die Konzertbranche lief auf Hochtouren und das Publikum hat die Rückkehr ausgelassen gefeiert. Vor allem die grossen Konzerte und Festivals liefen hervorragend.
Eine andere Situation präsentiert sich bei den Musikclubs. Der Übergang vom Konzertsommer zur Clubsaison verläuft harzig. Es herrscht Katerstimmung. «Der Sommer 2022 wird als der übersättigste Konzertsommer in die Geschichte eingehen», sagt Marco Liembd von der Schüür Luzern, «ich habe das Gefühl, dass sich viele potenzielle Konzertgänger von diesem Sommer erst erholen müssen bevor sie wieder zurückkommen».
Wurde der Nachholbedarf überkompensiert? Die Club-Veranstalter sprechen jedenfalls von einem durchschnittlichen Rückgang von 25 bis 30 Prozent. Das ist umso betrüblicher, als die Clubs der Nährboden sind für eine funktionierende Schweizer Szene.
Die aktuellen Unterschiede in den Clubs sind riesig. Gemäss Jonatan Niedrig vom Dachverband der Musikclubs Petzi laufen aber etablierte internationale Acts sehr gut und Schweizer Bands wie Hecht, Lo & Leduc und Patent Ochsner sind ausverkauft wie eh und je. Andere wie 77 Bombay Street oder der Bluesmusiker Poppa Chubby verzeichnen dramatische Einbrüche von bis zu 50 Prozent. Ansprechend funktionieren dagegen Bands mit regionalen Bezügen wie der Solothurner Rapper Pronto im Kofmehl.
Newcomer leiden am stärksten
Am meisten zu kämpfen haben die Newcomer. «Die Schere zwischen etablierten und neuen Bands hat sich noch stärker geöffnet», sagt Niedrig. Newcomer leiden am stärksten unter den coronabedingten Verschiebungen und dem daraus resultierenden gewaltigen Überangebot.
So sind die meisten Clubs bis Mai 2023 ausgebucht. Newcomer haben es deshalb schwer, überhaupt ins Programm aufgenommen zu werden. Und wenn sie doch einmal Platz finden, ist das Publikum schwer, für Entdeckungen zu mobilisieren. Die Leute besuchen zuerst jene Konzerte, von denen sie vor Corona Tickets gekauft haben. Für Konzerte von unbekannten Künstlern fehlen Zeit, Budget und Neugierde. Die Newcomer sind die grössten Opfer von Corona. Es sind verlorene Jahrgänge.
Die Jungen sind zurück
Das Überangebot ist das Hauptproblem der aktuellen Clubsaison. Zu beobachten ist aber auch ein verändertes Konsumverhalten der Konzertbesucher und Konzertbesucherinnen. Stefan Wigger vom Kofmehl Solothurn stellt bei den Ü-30 eine anhaltende Zurückhaltung fest. «Doch die Jungen sind zurück», sagt er weiter.
Das bestätigt auch die hohe Nachfrage nach Partys. «Jugendliche haben offenbar das starke Bedürfnis, ihre wieder gewonnene Freiheit in Tanzpartys zu feiern», sagt Wigger weiter. Demzufolge haben die Partys mindestens das Niveau von 2021 erreicht oder laufen sogar besser. Generell laufen Tanzpartys viel besser laufen als Konzerte. In Musikclubs, wo neben Konzerten auch Partys durchgeführt werden, findet deshalb eine Querfinanzierung statt. Die gut laufenden Partys gleichen die Defizite bei den Konzerten aus.
Auch das städtische Publikum ist offenbar schneller wieder bereit, sich auf die Normalität einzustellen. Vergleiche von gleichen Konzerten in Zürich oder Bern haben gemäss Wigger deutlich besseren Zuspruch erhalten als dieselben Konzerte in Solothurn und Aarau. Das war vor der Pandemie nicht so. Wigger vermutet, dass sich das ländliche Publikum während Corona arrangiert und das Ausgehverhalten reduziert hat.
Verändert hat sich auch das Informationsverhalten. Isabelle Tschäppeler vom Moods Zürich hat festgestellt, dass sich die Leute nicht mehr aktiv über das Konzertangebot informieren. «Wir müssen Wege und Kanäle finden, um die Leute direkter anzugehen und zu erreichen», sagt sie.
Corona ist noch nicht aus den Köpfen
Durchwegs bestätigt wird der Trend, dass der Kaufentscheid für Tickets meist erst in den letzten Wochen gefällt wird. Die Unsicherheit der Pandemie wirkt offenbar nach. Und überhaupt: Corona ist also noch nicht aus den Köpfen gebannt. Wer zurückhaltend ist, geht eher an ein Konzert im Freien als in den Club, wo die Ansteckungsgefahr weit grösser.
Aber auch bei den Künstlerinnen und Künstler machen sich noch Nachwehen bemerkbar. «Konzerte werden immer noch verschoben oder abgesagt», sagt Daniel Kissling vom Kiff Aarau. Die Hemmschwelle, um ein Konzert abzusagen, sei seit Corona gesunken. Unterschiedliche Ländervorschriften erschweren das Touren. Dazu macht eine Kostenexplosion das Touren weniger rentabel. «Es ist alles unberechenbarer geworden», sagt Kissling.
Etwas speziell ist die Situation auf dem Platz Basel. Gemäss Robert Vilim, dem Booker von Parterre und Atlantis erschweren eine Reihe von Gratisfestivals den Musikclubs das Leben. Das Publikum ist verwöhnt. So laufen Konzerte wie zum Beispiel jenes von Steff la Cheffe, das eigentlich ausverkauft sein müsste, unter den Erwartungen. „Die Kalkulation von Konzerten ist schwierig geworden. Basel ist ein kompliziertes Pflaster“, sagt Vilim.
In einer komfortablen Situation sind dagegen die beiden Berner Clubs Mühle Hunziken in Rubigen sowie das Bierhübeli in der Stadt Bern. «Uns geht es so gut wie vor Corona», sagt Chrigu Stuber von der Mühle. Beide Clubs waren während der ganzen Coronazeit aktiv, haben eine Sommerkonzert-Reihe eingeführt und verschiedene spezielle Aktionen durchgeführt. «Wir haben den Kontakt zu unserer Community permanent aufrechterhalten», sagt Naef.
Die ersten Testkonzerte fanden im Bierhübeli statt. Das hatte eine starke Signalwirkung und zahlt sich jetzt aus. Das Bierhübeli rechnet sogar mit besseren Zahlen als im Rekordjahr 2019. Die beiden Berner Clubs sind die Ausnahme der Regel.
Die Stunde der Wahrheit schlägt erst 2023
Bei den Schweizer Musikclubs herrscht eine Ausnahmesituation, weshalb es finanziell nicht rosig aussieht. Existenziell sind die Einschnitte bis jetzt aber nicht. Die Musikclubs befinden sich in einer Durchhaltephase bis sich der Stau löst. «Wir erleben gerade herausfordernde und spannende Zeiten für die Live-Musikkultur, in denen sich Vieles neu ordnet», sagt Kissling. «Wir sind noch nicht in der neuen Realität angekommen», sagt Bastian Lehner von der St. Galler Grabenhalle.
Die Stunde der Wahrheit schlägt erst im Laufe des nächsten Jahres. Alle befragten Musikclubs schauen aber mit Optimismus in die Zukunft und sind zuversichtlich, dass spätestens im nächsten Jahr die Leute zurück in die Clubs strömen. «Das Bedürfnis nach dem Live-Erlebnis ist da», sagt Kissling, «nun geht es einfach darum, die Leute wieder von Netflix wegzukriegen und ihre Neugierde auf Unbekanntes wiederzubeleben».