Aargauer Kinderarztpraxen müssen täglich Patienten abweisen
In der ganzen Schweiz gibt es zu wenig Kinderärztinnen und -ärzte. Der Aargau bildet dabei keine Ausnahme. Vergangene Woche wurde bekannt, dass die Kinderarztpraxis am Bahnhof Aarau wegen Mangel an Fachpersonal spätestens Ende Juni schliesst.
Gesamthaft betrachtet ist der Mangel an Kinderärztinnen und Ärzten im Aargau ein grosses Problem, wie Ulrike Brennan, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin im Kinderarzthaus und Vizepräsidentin KiAg Kinderärzte gegenüber ArgoviaToday sagt. «Wir sind jeden Tag damit konfrontiert, dass nicht alle Patientinnen und Patienten, die einen Termin brauchen, versorgt werden können», so Brennan.
«Wir bekommen täglich Anrufe von Eltern, die noch keinen Kinderarzt haben und verzweifelt einen suchen. Überall sonst besteht ein Aufnahmestopp.» Vor allem Patienten, die aus anderen Kantonen in den Aargau ziehen, haben grosse Schwierigkeiten, einen passenden Kinderarzt zu finden, wie Brennan ausführt. Ihr zufolge bräuchte es pro 1000 Kinder einen Kinderarzt. Von dieser Zahl sei man weit entfernt. Besonders die ländlichen Regionen seien recht stark unterrepräsentiert.
Patienten abzuweisen ist eine Belastung
Junge Patientinnen und Patienten abweisen zu müssen, ist laut der Fachärztin derzeit eine der grössten Belastungen im Alltag. Sie sagt: «Man versucht immer wieder Patienten dazwischen zu schieben und noch dran zu nehmen. Wenn sich nichts ändert, kommt man so irgendwann an den Punkt, an dem man dann keine gute Medizin mehr machen kann. Und das müssen wir verhindern.»
Neben dem Ärztepersonal sind es auch die medizinischen Praxisassistentinnen und -assistenten, welche eine schwere Last tragen. Sie müssen die Terminanfragen entgegennehmen und können oft nicht den gewünschten, zeitnahen Termin anbieten. Je nach Krankheitsbild wird entschieden, wann welcher Patient einen Termin bekommt. Diese Aufgabe ist oftmals mit elterlichem Frust verbunden.
Beratung für die Eltern
Im Aargau, wie auch in anderen Regionen, versuchen Kinderarztpraxen, die Eltern durch Beratung dahingehend zu stärken, dass sie in gewissen Situationen bereits zu Hause bestimmte medizinische Massnahmen selber ergreifen können, wie Brennan sagt. Laut der Kinderärztin würde es am meisten helfen, die medizinische Beratung auch finanziell zu fördern. Diese Beratungen würden bereits heute durch die gut ausgebildeten Praxisassistentinnen und -assistenten in den Kinderarztpraxen angeboten Manche Arztbesuche könnten damit noch etwas hinausgezögert werden.
Bürokratie und mangelnde Finanzierung
Zusätzlich schliessen ältere Ärztinnen und Ärzte oftmals ihre Praxis, ohne eine Nachfolge zu finden. Die Gründe dafür sind vielseitig. Mitunter sei es nicht mehr so attraktiv, in der medizinischen Grundversorgung zu arbeiten – sowohl für Kinder- als auch Hausärzte. «Es ist ein Beruf, der viel Leidenschaft braucht. Früher hat ein Dorf- und Kinderarzt von früh am Morgen bis spät am Abend die ganze Region versorgt. Das hat sich komplett geändert», sagt Brennan.
Unter anderem steigen die bürokratischen Anforderungen an die Kinder- und Hausarztpraxen. Konkret heisst das, dass seit einigen Jahren immer mehr Auflagen und Regelungen erfüllt werden müssen. Dass die Finanzierung durch den Tarmed-Tarif nicht gegeben sei, mache die Situation nicht besser, sagt Brennan.
Die Tarifstruktur Tarmed dient der Abrechnung von ambulanten ärztlichen Leistungen in Arztpraxen und Spitälern mit einem Einzelleistungstarif.
Mehr dazu: Bundesamt für Gesundheit (BAG).
Perspektiven für die Zukunft schaffen
Trotz der schwierigen Umstände im Alltag bezeichnet Brennan ihren Beruf als den schönsten der Welt. «Man kann so viel bewegen. Die Kinder und deren Eltern sind sehr dankbare Patienten und man kann mit wenig schon sehr viel erreichen. Ein Kinderlächeln macht alles im Alltag wieder wett», so Brennan.
Für die Zukunft wünscht sie sich mehr öffentliches Bewusstsein für die Wichtigkeit der Kinder- und Hausarztmedizin. «Es wird oft nur der Kostendruck diskutiert und auch, dass gespart werden muss. Die Frage ist aber immer, ob man auch am richtigen Punkt spart und ob man nicht in die Grundversorgung investieren will», sagt Brennan weiter.