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Neue Studie: Eltern haben häufig ein Lieblingskind – das hängt vom Geschlecht des Babys ab

Eine Studie aus den USA zeigt, welche Kinder Eltern eher bevorzugen. Meistens hat es mit ihrem Geschlecht und dem Verhalten zu tun. Und mit den Eltern.

Die Studie hat viel Aufmerksamkeit erhalten: Im Januar publizierte das Fachblatt «Psychological Bulletin» Forschungsresultate, die zeigen, dass gewisse Kinder von ihren Eltern bevorzugt werden. Autor Alexander Jensen von der Brigham Young University im US-Bundesstaat Utah betont: Diese Bevorzugung kann für die Kinder gut, aber auch schlecht sein.

Für ihre Studie haben die Forschenden 30 Fachartikel und Dissertationen sowie 14 Datensätze mit rund 20’000 Teilnehmenden ausgewertet. Sie schauten sich dabei an, wie Geschwisterreihenfolge, Geschlecht, Temperament und Persönlichkeitsmerkmale mit elterlicher Bevorzugung zusammenhängen.

Um die Bevorzugung zu messen, analysierten die Autoren fünf Bereiche: die allgemeine Behandlung, die Zahl der positiven sowie der negativen Interaktionen, die für das Kind aufgewendeten Ressourcen sowie die von den Eltern ausgeübte Kontrolle. Das Resultat: Eltern bevorzugen Kinder, die im Umgang einfacher sind und besser kooperieren. Auch würden extrovertierte Kinder weniger favorisiert, ein Ergebnis, das Jensen überraschte. Die Autoren hoffen, dass ihre Resultate Eltern ermutigen, alle ihre Kinder möglichst gleich zu behandeln.

Ein irreführender Begriff: Es geht nicht um Liebe

Wie aber passen diese Resultate zur Tatsache, dass Väter und Mütter beteuern: Ich habe kein Lieblingskind? «Indem die ehrliche Antwort wäre: Ich finde es einfacher mit dem Kind, das mich pädagogisch weniger herausfordert», sagt die Psychotherapeutin Larissa Cano. Sie behandelt in ihrer Praxis vor allem Paare, zuvor war sie stationär für Kinder und Jugendliche zuständig.


Cano mag den Begriff Lieblingskind nicht, ja hält ihn für irreführend. Eben weil sich dahinter eigentlich etwas anderes als emotionale Zugewandtheit verberge. Natürlich sei es einfacher, sich mit einem sehr kooperativen Kind zu beschäftigen. Die anderen aber, die «selbstbestimmten Kinder», wie sie Cano mit einem Begriff von Jesper Juul nennt, träfen bei den Eltern einen Nerv. Das zu erkennen, sei eine Chance, um nicht mehr zu sagen: Es ist das schwierige Kind. Sondern: «Warum genau triggert mich das jetzt so? Was passiert bei mir?»

Oft geht es darum, dass sich Eltern durch herausfordernde Kinder eingeengt fühlen, weil sie zum Beispiel gern kurz alleine duschen oder am Abend einmal ausgehen möchten. Sie geraten in einen Konflikt, weil sie entweder die Bedürfnisse des Kindes oder ihre eigenen zurückstellen müssen.

Der Nachteil der angeblichen Lieblingskinder

Wilde, temperamentvolle Kinder fordern mehr Aufmerksamkeit ein und erschweren es, Geschwistern die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken. Für die angeblichen Lieblingskinder resultiert zwar mehr Freiheit, aber weniger Interaktion mit den Eltern.

Cano rät in dieser Konstellation, einen offenen Dialog mit den Kindern zu führen, also dem Kind, das eine Geschwister-Krise aushalten muss, zu sagen: Schau, deine Schwester oder dein Bruder braucht gerade viel Aufmerksamkeit und trotzdem möchte ich dir auch Aufmerksamkeit schenken. Nachher habe ich Zeit für dich. «Das kann man sogar einem Einjährigen bereits sagen.» Und man sollte als Eltern nicht das Gefühl haben, immer allen dieselbe Aufmerksamkeit schenken zu müssen. «Es ist normal, dass ein Kind phasenweise mehr braucht.»

Was aber, wenn sich ein Kind immer anpasst, das andere immer eskaliert, wie kann man sicherstellen, dass die Bedürfnisse des angepassten Kindes berücksichtigt werden? «Man kann es in einem ruhigen Moment fragen, ob es denn auch mal wild oder wütend sein wolle, ihm zu verstehen geben, dass das drinliegt und Mama und Papa es trotzdem gern haben.»

Cano empfiehlt ausserdem, mit den Kindern Zeit zu zweit zu verbringen, sowohl mit selbstbestimmten als auch mit angepassten. Denn manchmal sei die wilde Art auch der einzige Weg, mit Mama oder Papa in Verbindung zu kommen. «Macht man dann zu zweit einen Ausflug, lernt das Kind: Ich kann mich auch auf positive Weise mit meinen Eltern verbinden.»

Die Kinder in ihrer Eigenart positiv wahrnehmen

Die Studie aus den USA stellt auch fest, dass Mädchen bevorzugt würden, während die meisten Eltern sagten: Ich behandle meinen Buben genau gleich. Cano verwundert das nicht, denn Mädchen sind in der Regel sozial kompetenter. «Es gibt dafür eine genetische Prädisposition. Aber auch gesellschaftliche Erwartungshaltungen spielen eine Rolle.» Es wirken Rollenmodelle. Mädchen sähen zu Hause, wie ihre Mutter fürsorglich sei und organisatorisch alles zusammenhalte, sagt Cano. «Ich bin überzeugt, dass Buben auch fürsorglich wären, wenn man ihnen diese Eigenschaft zuschreiben würde.»

In der Paartherapie seien Lieblingskinder insofern ein Thema, als sich Partner vorwerfen, ein Kind zu bevorzugen. Oder Vater oder Mutter fühlen sich mit einem der Kinder stärker verbunden, was Schuldgefühle wecken kann. «Dabei ist das eigentlich kein Problem», sagt Cano, «solange es nicht in der Handlung der Eltern spürbar wird». Welchem Kind man sich näher fühle, könne sich im Laufe der Jahre auch immer wieder ändern.

Um die Unterschiede der Kinder auszugleichen, im Umgang und in der Beziehung zu ihnen, rät Cano unter anderem dazu, dem angepassten Kind nicht noch zusätzlich Verantwortung oder Aufgaben aufzubürden, weil es eben «einfacher geht». Gleichzeitig solle man das selbstbestimmte Kind und seine Wildheit anders interpretieren: «Im Sinne: Du hast viele Ideen und kannst deine Emotionen gut zeigen, was mir auch ermöglicht, dir hier eine Grenze zu setzen.» Ziel sei es, beide Kinder in ihrer Eigenart positiv wahrzunehmen.