Fast alles, was wir übers Geld gelernt haben, ist falsch – sagt ein Ökonom, der zufällig auch Soziologe ist
Geld – man hat es, oder man hat keins. Und wenn es sich vermeiden lässt, spricht man nicht darüber. Mehr gibt es über Geld nicht zu sagen.
Wirklich? Geld ist Kopfsache. Zu diesem Schluss kommt, wer die Sache gründlicher durchdenkt. Geld funktioniert – besonders wenn man einen abgegriffenen 20-Franken-Schein in der Hand hält – nur auf der Grundlage von Vertrauen. Nur weil ich mich darauf verlassen kann, dass ich für dieses Stück Papier wieder etwas Werthaltiges bekomme, habe ich es überhaupt genommen.
Geld ist wie eine Ware. Aber eine spezielle, weil es das allgemeinste Gut ist und gegen fast alles eingetauscht werden kann. Deshalb wird es von allen begehrt, und deshalb funktioniert es. Nicht Geld regiert die Welt, sondern unser Hunger danach.
Geld ist eine notwendige Illusion
Keiner darf sich davon ausnehmen, denn ohne Geld kann auch der Genügsamste in einer modernen Gesellschaft nicht überleben. (Der Wert von) Geld ist eine Illusion, die Illusion ist aber notwendig, weil sie von allen geteilt wird – oder umgekehrt. Das hat der Ökonom und Philosoph Karl-Heinz Brodbeck in einem mehr als 1000-seitigen Buch («Die Herrschaft des Geldes») bereits 2009 minutiös herausgearbeitet.
Darin hat er völlig recht. Aber abgesehen davon, dass das Argument auf eine etwas ungute Weise zirkulär klingt, basiert es auf einer – bisher meist nicht hinterfragten – Grundannahme: dem sogenannten «Tauschparadigma». Allein die Einsicht, dass man sich von dieser Tauschgeschichte der Ökonomen lösen muss, wenn man Geld verstehen will, lohnt die Lektüre des neuen Buches von Aaron Sahr. Er ist nicht nur Ökonom, sondern auch Soziologe. Und er findet, dass man diese «monetäre Maschine» besser steuern muss.
Die gängige Vorstellung von Geld ist falsch
Doch der Reihe nach. Alles Wirtschaften ist Tauschen – die Ökonomie war ganz vernarrt in diese Story, und in manchen Lehrbüchern steht sie heute noch. Moderne Gesellschaften betreiben Arbeitsteilung, das heisst: Nicht jeder produziert seinen Bedarf selbst. Sondern er produziert Überschüsse, die er dann auf dem Markt wieder gegen andere Produkte tauscht. Und weil das mühsam ist – wann finden schon die zwei Paar überflüssigen Pantoffeln und der benötigte Vorratskrug zusammen? – wird nicht Ware gegen Ware, sondern Ware gegen die Superware Geld getauscht. Es wurde erfunden, um diese Tauscherei zu erleichtern.
Geld dient also lediglich als Stellvertreter für Waren. Und es wird im Kapitalismus ein Mittel, oder besser: Schmiermittel, um Transaktionen zu erleichtern. Eine rein technische Grösse im grossen Tauschprozess.
Unser heutiges Geld ist entpolitisiert und gehorcht seinen eigenen Gesetzen. Das schlägt sich nieder in der Trennung der Zentral- oder Notenbanken von der Politik. Das ist die viel beschworene «Unabhängigkeit». Andernfalls würden Politiker sofort beginnen, am Geld zu manipulieren, und das nicht mit lauteren Absichten. Denn – das lässt sich nicht ausblenden – Geld wird dauernd erzeugt («geschöpft») und wieder vernichtet. Man spricht vom «Geld drucken». Die Notenbanken «drucken Geld», aus dem Nichts. Das ist nicht ungefährlich, zu viel Geld erzeugt Inflation, seine Kaufkraft schwindet. Die Folgen (Weimar 1923) kennen wir.
Geld ist wie Strom eine Infrastruktur für alle
So weit die gängige Erzählung. Doch Aaron Sahr macht deutlich: Die Art und Weise, wie wir uns das Geld erklären, ist falsch. Wir müssen es anders angehen. Er verwendet die Metapher vom «Betriebssystem». Geld spielt in der modernen Gesellschaft wirklich eine solche Rolle. Alles läuft über Geld, man kann alles verkaufen und alles bekommen mit Geld – und ohne eben nicht.
Geld ist so gesehen keine Ware, sondern eine Art Infrastruktur. Vergleichbar mit dem Wasser- oder Stromnetz. Letzteres stellt dort Energie zur Verfügung, wo sie gebraucht wird. Das Geldsystem produziert in ähnlicher Weise Zahlungsfähigkeit: Wo Geld ist, kann gezahlt und gehandelt werden. Wasser fliesst, wenn Gefälle da ist; Strom fliesst, wenn Ladungsunterschiede da sind; und Geld fliesst – um Schulden zu tilgen.
Wir müssen uns das Geldsystem aber nicht als ein System der Speicher (Portemonnaies, Kreditkarten und Banken) vorstellen, sondern als eine Struktur von Bilanzen. «In Bilanzen zu denken bedeutet, die Wirtschaft als Praxis der Verschuldung und Schuldentilgung zu analysieren», schreibt Sahr.
«Wer in Bilanzen denkt, sieht Akteure, die anderen gegenüber Zahlungsverpflichtungen eingehen und sich bemühen müssen, diese Pflichten zu erfüllen.»
Die Einsicht ist fundamental. Geld trennt uns nicht voneinander (die Reichen von den Habenichtsen), sondern verbindet uns: Jeder steht irgendwo bei irgendwem in der Schuld. Bilanzen bestehen aus den Spalten Soll und Haben und müssen immer ausgeglichen sein.
Sahr erklärt das nachvollziehbar. Ein Bankkredit erzeugt gleichzeitig eine Forderung an die Bank (den Betrag, mit dem der Schuldner «arbeiten» kann) und ein Guthaben der Bank (die versprochene Rückzahlung). Der Bankkredit hat neues Geld erzeugt. Und wenn der Kredit zurückgezahlt wird und die Forderung erlischt, ist das Geld wieder vernichtet und verschwunden. Das Gute ist, dass dieses Geld, das es da mal gab, unter Umständen etwas ausgelöst hat: Es wurde benutzt, um Produkte herzustellen, um Löhne und Mieten zu zahlen, um Dritte zahlungsfähig zu machen und überhaupt, um das Business am Laufen zu halten.
Das bestehende System schafft mehr Ungleichheit
Diese Infrastruktur, mit der Zahlungsfähigkeit erzeugt wird, nennt Sahr «die monetäre Maschine». Eine Struktur, um Geld oder Zahlungsfähigkeit herzustellen. Bisher haben wir diese Maschine privat – eben «unabhängig» betrieben. Aber die Betriebsweise ist nicht optimal. Denn sie sorgt nicht dafür, dass das erzeugte Geld dort landet, wo es Sinn macht, indem es Jobs und Löhne schafft, sondern andernorts wie im Handel mit Finanztiteln oder im Immobilienmarkt, wo es Krisen verursacht.
Die bestehende Geldarchitektur schafft auch mehr Ungleichheit, denn das neue Geld landet dort, wo schon welches ist. Und es ist nicht klar, wie man gesellschaftlich wichtige Anliegen wie das Klimaproblem angehen kann, wenn man es nicht schafft, das Geld in die richtige Richtung und an den richtigen Ort fliessen zu lassen.
Sahr möchte die «monetäre Maschine» vergesellschaften. Das trifft auf Widerstand, weil es nach Sozialismus klingt. Wir finden, Notenpressen dürfen keine Politik finanzieren. Und Staaten dürfen nur ausgeben, was sie eingenommen haben. Der Staat nimmt, was ich erwirtschaftet habe (Steuern), Staatsschulden sind schlecht und so weiter. Aber wenn man erkannt hat, wie die monetäre Maschine funktioniert, wird klar, dass wir da als Gesellschaft einen wichtigen Benefit vergeben. Man könnte das besser hinkriegen.
Kredite müssten an den Zweck geknüpft werden
Sahr belässt es bei einigen Hinweisen. Das ist besser so, weil wir zum grossen Teil mental noch nicht bereit sind dafür. Es fängt schon an mit dem Begriff der «Schuld». Er ist negativ besetzt. Aber es ist klar, dass der Kapitalismus darauf angewiesen ist, dass sich dauernd Akteure neu verschulden. Nur so entsteht «neues Geld». Und damit Innovation und Zukunft.
Wer «schöpft» dieses neue Geld? Die Banken. Wer neues Geld erhält, geht eine Verpflichtung ein, er muss es zurückzahlen. Bisher hat man sich allein am Profit-Kriterium orientiert. Geld erhält, wer den Kredit sicher zurückzahlen kann. Was er konkret damit macht, ist den Kreditgebern sonst egal. Hier müsste eine neue Geldpolitik anschliessen, als «Geldschöpfungspolitik». Kredite müssen an einen Zweck (eine sogenannte Erstverwendung) geknüpft werden. Über diese Zwecke muss diskutiert werden.
Kredite, die lediglich dazu dienen, finanzielle Profite zu schaffen, gehören nicht dazu. Einen Kredit, ein Haus zu kaufen, erhält nicht der Spekulant, der das Haus nur erwirbt, um es bei steigenden Preisen weiter verkaufen zu können. Sondern der, der es bewohnen – oder allenfalls vermieten will.