Wasser und Worte von der Bundesrätin: Das war das «Fest der Solidarität» am Hallwilersee
Die tief stehende Sonne über Tennwil blendet die Stand-up-Paddler, und Cédric Wermuth begrüsst mit einem Becher Bier Stand-by-Satiriker Renato Kaiser. Er ist zur Pausenunterhaltung gekommen. Zwischen Stehtischen und Badetüchern ruft eine Mutter: «Antonio, zieh dini nasse Badhose ab.»
Zwei Meter daneben fragt Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider, Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, den auf seinem Rollator sitzenden Ernst Gloor, der seit 101 Jahren auf der Welt, seit 1941 in der Gewerkschaft, seit 1947 in der SP und heute mit dem Linienbus 390 selbstständig von Schafisheim nach Tennwil gefahren ist: «Was möchten Sie trinken?» – «Es Wasser, mit.» Mineral fédéral.
Ein ausgebuchtes Mahnmal
Es ist «Fest der Solidarität» im Arbeiterstrandbad. Diesem geschichtsträchtigen Ort, diesem lebendigen, da mit Zelten und Wohnwagen heute gerade ausgebuchten Mahnmal der Aargauer Arbeiterbewegung.
Und das geht nicht ohne Arbeit: Ein Lastwagen bringt am Donnerstag ein Giebelzelt, ein Dutzend Freiwillige laden ab, bauen auf, das Zelt wird vom Lieferanten unter «Kleinzelte» geführt, doch auch das ist schon «en huere Chrampf», wie ein Beteiligter weiss. Mit Kabelbindern werden druckfrische Wahlplakate an die Wände gehängt und ein rotes Stofftransparent, das in weissen Grossbuchstaben sagt: «Angst und Hass machen uns schwach – Solidarität ist unsere Stärke».
Eine gute Energie
Organisiert wird das «Fest der Solidarität» von der SP, den JUSO, den Naturfreunden Aargau und dem Aargauer Gewerkschaftsbund. Gefeiert wird es an diesem Samstag zum fünften Mal, und zum ersten Mal mit einer amtierenden Bundesrätin. Im Gespräch mit der AZ sagt Elisabeth Baume-Schneider, ihr erstes halbes Jahr sei «sehr spannend und auch anstrengend» gewesen.
Sie sei gerne ins Seetal gekommen, denn: «Politik ist für mich eben auch die Beziehung zwischen den Menschen.» Hier spüre sie eine gute Energie. In ihrer Rede wies Baume-Schneider auf Gemeinsamkeiten zwischen ihrer Heimat, den Franches-Montagnes im Jura, und dem Seetal hin: Kleine Gemeinden, landschaftlich wunderschön – «und wie man die soziale Gerechtigkeit schützt und entwickelt», trotz oder gerade wegen bürgerlicher Mehrheiten. «Ich kann mir gut vorstellen, dass es hier im Seetal nicht immer einfach war und ist, linke Positionen zu vertreten und durchzubringen», solidarisierte sie sich.
Genauso wichtig sei es, auch mit den politischen Konkurrenten zu reden. «Im Seetal wie im Jura leben wir auf dem Land, wo die Menschen solidarisch miteinander sind – gerade deshalb setzen wir uns für mehr Solidarität ein.» Dazu gehört für die SP-Bundesrätin die Offenheit gegenüber zugezogenen Menschen: «Auch sie sollen sich bei uns wohlfühlen.»
Kombination mit Symbolkraft
Sichtlich wohl fühlen sich die rund 350 Teilnehmenden in Tennwil. Schwimmen und Reden werden genauso genossen wie der Umstand, einfach unter Genossen zu sein. Es ist eine Mischung aus Klassenkampf und Klassentreffen.
Auf dem gleichen Podest wie die Bundesrätin ergreifen an diesem Abend Paul Rechsteiner und Mia Jenni das Mikrofon. Er, 70, ist Ende letzten Jahres nach 36 Jahren als SP-Parlamentarier in Bern zurückgetreten. Sie, 28, wird nach den Wahlen im Herbst womöglich erstmals in der Bundeshausfraktion sitzen.
Es ist eine Kombination mit Symbolkraft: Solidarität auch über Generationen hinweg. Jetzt steht Rechsteiner auf der Bühne und spricht über Unternehmenssteuern, und zwei Mädchen steuern unternehmungslustig durch die Zuhörenden auf den Festbänken. Ihre Badekleider tropfen auf deponierte Rucksäcke, und Rechsteiner sagt: «Es chunnt nüüt vo nüüt.» Viele grosse Errungenschaften habe man nur dank der Solidarität im Streik erkämpfen können.
Er erinnerte an die Gegenargumentation während des Kampfes der Bauarbeiter für Ferien. «Die Baumeister sagten: Wofür brauchen unsere Arbeiter Ferien? Die sind ja sowieso immer an der frischen Luft.»
So schien auch der Zugang zur frischen Luft und kühlem Seewasser, den sich die Arbeiter 1935 in Tennwil gegen grossen Widerstand sicherten, damals vielen als unnütze Utopie. Was Mia Jenni zur Feststellung führt: «Utopisch bedeutet also ‹erreichbar› und ‹erkämpfbar›.»
Es sei der Kern der SP, Utopien zu haben. Am 14. Juni seien die Frauen auf die Strasse gegangen, hätten Utopien mit Kreide auf die Strasse geschrieben und in die Schweiz geschrien. «Frauen gebührt mehr Lohn, mehr Zeit, mehr Respekt.» Applaus. Und als die tief stehende Sonne ihre letzten Strahlen über Tennwil schickt, sagt eine Bundesrätin, sie sei heute zum ersten Mal im Seetal. Und: Da habe sie zuvor wohl etwas verpasst.
Die SP Aargau nominierte am Parteitag ihre Unterlisten: Energie und Klima, Familie und Jugend, Gemeinsam für Vielfalt, Gesundheit sowie Kunst und Kultur. Zudem gab die SP bekannt, dass sie eine Listenverbindung mit den Grünen und der GLP eingehen möchte. Diesem Vorhaben stimmten die Delegierten zu. «Diese Zusammenarbeit unterstreicht das gemeinsame Ziel einer fortschrittlichen Politik und ermöglicht es, die Kräfte zu bündeln und eine starke Präsenz im Nationalrat zu erreichen», heisst es in einer Medienmitteilung. Ständeratskandidatin Gabriela Suter betonte während ihrer Rede die Bedeutung einer starken, linken weiblichen Stimme aus dem Aargau im Ständerat. (cwu)