Von wegen politikverdrossen: 70’000 Interessierte strömen in alle Winkel des Bundeshauses
Die Mitarbeitenden des Zivildienstes verteilten Wasserfläschli an ihrem Stand oberhalb der Bundesterrasse. Es mache das Warten vor dem Eingang ins Bundeshaus erträglicher: Bis zu drei Stunden harrten die insgesamt über 70’000 Besucherinnen und Besucher zuweilen in der Schlange.
Doch das Murren verebbte, sobald die Menschen die Gebäude betraten. Einmal auf dem Sessel eines Ständerats sitzen? Einmal durch die Wandelhalle flanieren? Die drei Eidgenossen mit eigenen Augen betrachten? Oder im Parlamentarier-Café Vallotton ein Erdbeertörtli verspeisen?
Das Fest zum 175-Jahr-Jubiläum der Bundesverfassung ermöglichte Politikinteressierten tiefe Einblicke. Auf der «Bundesmeile», den gut 400 Metern zwischen Bernerhof und Hotel Bellevue, öffneten zwölf Verwaltungsgebäude die Türen.
Im Zentrum: das Bundeshaus mit dem National- und Ständeratssaal. Dort trat unter anderen auch Bundespräsident Alain Berset auf, der sich am Sonntag von seiner lockeren Seite zeigte. Er erklärte vor vollen Rängen: «So viel Applaus erhielt ich in diesem Saal in zwölf Jahren nie.» Auf seinen Rücktritt angesprochen, erwiderte er: «Wer es in zwölf Jahren nicht schafft, Ideen und Projekte zu verwirklichen, der schafft das auch im dreizehnten und vierzehnten Jahr nicht.»
Ein Präsidentenbüro wie jedes andere
Für viele war es der erste Besuch in den ehrwürdigen Sälen und Hallen, viele zeigten ehrliches Interesse, manchmal auch Erstaunen. Beispielsweise wie eng die Pulte der Parlamentsmitglieder konzipiert sind – sie entstanden lange vor dem Computer-Zeitalter. Ein Bub fand, dass die Tische erstaunlich sauber sind. «Gar nicht verkratzt oder verkritzelt.»
Die Menschen durften sich sodann in den verschiedenen Stöcken frei bewegen, auch die Übergänge zum Bundeshaus Ost und West waren offen. Die Besuchermassen zirkulierten so relativ unkontrolliert im Machtzentrum, vor den Büros der Bundesräte und ihren Stäben. So gehörte auch der Besuch des Bundesratszimmers bei vielen zum Programm.
Mindestens so spannend: Die Parlamentsbibliothek, der frühere Nationalratssaal im Westflügel des Hauses. Nebst verschiedenen (teils unrealisierten) Bauplänen zeigten auch Bilder eindrücklich die Entstehungsgeschichte der Gebäude.
Und die Menschen bewegten sich in ihnen so selbstverständlich, dass Nationalratspräsident Martin Candinas sein Büro abschliessen musste, weil einzelne Personen einfach hereinspazierten.
Dabei empfing Candinas mehrere hundert Gäste in den letzten zwei Tagen und sprach von einem «sensationellen Erfolg». «Wer jetzt nicht sieht, in welch privilegiertem Land wir leben, der sollte ins Ausland ziehen.» Er meint damit nicht alleine die Behörden, die 800 Mitarbeitenden, die grosszügig Einblicke gewährten. «Wir öffnen unsere Büros, wir öffnen wirklich alles.» Er meint auch das Verhalten der Bevölkerung. Der Grossteil der Gäste sei interessiert und verhalte sich respektvoll. Das deckt sich mit den Zahlen der Parlamentsdienste: Es sei in den zwei Tagen zu keinem nennenswerten Vorfall gekommen.
Ein Goldbarren zum Anfassen
Der zweite grosse Andrang fand vor dem Gebäude der Schweizerischen Nationalbank (SNB) statt. Erstmals gewährte sie der Öffentlichkeit Zugang zum ersten Stock, zum Salon bleu, wo der Bankratsausschuss tagt. Auf dem Rundgang waren Serien von Banknoten ausgestellt, auch die vielfältigen Waagen und Münzpräge-Systeme. Besucher-Magnet war aber ein 12,5 Kilogramm schwerer Goldbarren, den man durch ein Loch in einem Glaskasten anfassen und hochheben konnte. Wert des Goldstücks: 690’000 Franken.
Wie in den anderen Gebäuden luden auch in der SNB viele Informationstafeln die Besucher zum Verweilen ein: So verfügt die Schweiz über mehr Gold als die Europäische Zentralbank, über 1040 Tonnen Gold. Und: Ausrangierte Banknoten werden in der Regel geschreddert und verbrannt. Aber nicht alle. Puzzle-Liebhaber hatten Glück, sie erhielten vor dem Ausgang ein Säckli mit geschredderten Banknoten. Die Farbe durfte man aussuchen.
Ein gelber Klumpen für Präsident François Hollande
Eindrücklich auch das ausgestellte Silberbesteck, die Blumengestecke und weissen Tischtücher. Zwei imposante Gala-Banketts waren im Bernerhof und im Bellevue Palace ausgestellt. Im Nebenraum auf zwei Tischchen zeigten die Köche die Menüs für die Staatsbesuche des französischen Präsidenten François Hollande (2015) und des chinesischen Präsidenten Xi Jinping (2017). Wobei eine Besucherin feststellte, dass dieser gelbliche Klumpen in weissem Schaum, der Hollande beim Diner serviert wurde, «sicher nichts» mit den auf dem Menü angekündigten Älplermagronen zu tun habe.
Die Nebengebäude zählten weniger Besucher, die Warteschlangen waren etwas kürzer, etwa im Ableger des Aussendepartements. Und doch fanden sich immer mindestens eine Hand voll Leute, die bis in den vierten Stock stiegen, um die Ausstellung der Sektion Völkerrecht anzuschauen. Welche Verträge braucht es für eine Telefonverbindung ins Ausland? Für den Import von Medikamenten oder gelben Bananen? Die zwei Tage boten viel über übliche Information der Behörden hinaus.
Ob sich das Interesse der Bevölkerung auf den Alltag übertragen lässt? Mehrmals wurde beim Besuch daran erinnert, dass die Demokratie nur lebt, wenn die Menschen daran teilhaben – und mitmachen.