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Infantino in der Bredouille? Bundesstrafgericht will im Prozess gegen Blatter und Platini überraschend neue Zeugen hören

Bei der Bundesanwaltschaft genoss Fifa-Präsident Infantino auffallend schonende Behandlung – Richter in Bellinzona wollen der Wahrheit jetzt aber offenbar auf den Grund. Wird auch die «Schweizerhof»-Affäre jetzt doch noch aufgeklärt?

Bundesanwalt Michael Lauber ist seit über einem Jahr weg, aber geblieben sind einige undurchsichtige Vorgänge, für die er massgeblich verantwortlich zeichnete.

Zwei davon betreffen den Weltfussballverband Fifa und deren Präsident Gianni Infantino. So ist die Frage nach wie vor ungeklärt, worum es bei den ominösen Geheimtreffen im Berner Nobelhotel Schweizerhof ging, die von Lauber und Infantino sowie weiteren Personen abgehalten wurden. An den Inhalt eines dieser Treffen mag sich angeblich keiner von mindestens vier Teilnehmern mehr erinnern. Im Raum steht zudem, dass sogar noch eine fünfte Person am Treffen dabei war.

Offene Fragen könnten beantwortet werden

Zudem ist bis heute unklar, wie es kam, dass die Bundesanwaltschaft im Herbst 2015 ein Strafverfahren gegen den damaligen Fifa-Präsidenten Sepp Blatter und indirekt auch gegen dessen damals als wahrscheinlich geltenden Nachfolger, den damaligen Uefa-Präsidenten Michel Platini eröffnete. Stand der heutige Fifa-Präsident Infantino dahinter, um sich freie Bahn zum Fifa-Thron zu verschaffen? Infantino bestreitet dies vehement, er will loyaler Diener von Platini, seinem damaligen Chef bei der Uefa gewesen sein.

Sepp Blatter, ehemaliger Fifa-Präsident.
Dmitry Serebryakov / AP

Aber der Verdacht steht weiterhin im Raum, dass Infantino hinter dem Hinweis an die Bundesanwaltschaft stand, wonach Blatter Platini einst eine angeblich nicht gerechtfertigte Zahlung von 2 Millionen Franken habe zukommen lassen. Eine These ist, dass Infantino im Juni 2015 seinen Walliser Kumpel, Staatsanwalt Rinaldo Arnold, als Emissär zu Lauber schickte. Tatsache ist, dass es ein solches Treffen gab, was diskutiert wurde, ist unklar, die Versionen gehen auseinander. Wenig später begann die Bundesanwaltschaft, Bankdaten von Platini zu erheben. Und sie eröffnete zwei Monate später, am 24. September 2015, ein Verfahren gegen Blatter, der in der Folge von der Fifa gesperrt wurde. Ebenso wie Platini. Lachender Dritter war Infantino, der in der Folge, Anfangs 2016, zum Fifa-Präsidenten gewählt wurde.

Jetzt gibt es neue Hoffnung, dass diese Fragen, die von einer Art Omertà der Beteiligten begleitet werden, doch noch beantwortet werden. Die Bundesanwaltschaft hat mittlerweile Anklage gegen Blatter und auch Platini erhoben, und im Juni kommt es vor Bundesstrafgericht in Bellinzona zum Prozess. An dieser Verhandlung, für die elf Verhandlungstage angesetzt sind, könnte die Wahrheit oder zumindest ein Teil davon doch noch auf den Tisch kommen.

Bundesstrafgericht will auch Richter Thormann befragen

Denn das Gericht in Bellinzona will Zeugen befragen, die die Bundesanwaltschaft bisher seltsamerweise nicht anhören wollte. Entsprechende Anträge der Verteidigung wies sie im Vorverfahren ab. Platinis Berner Anwalt Dominic Nellen sagt: «Die Verteidigung freut sich, dass verschiedene Zeugen, die die Ereignisse genau kennen und die die Bundesanwaltschaft nicht befragen wollte, bei der Hauptverhandlung aussagen werden».

Einer dieser Zeugen mit Insiderwissen ist Olivier Thormann, ehemals Leiter Wirtschaftsdelikte bei der Bundesanwaltschaft, heute selbst Richter in Bellinzona. Er war der Mann, der das Verfahren gegen Blatter eröffnete. Thormann stand auch im Verdacht, der omninöse fünfte Mann gewesen am «vergessenen» Treffen von Lauber und Infantino im «Schweizerhof» gewesen zu sein. Was Thormann selbst dementiert. Er könne beweisen, sagt er, dass er an diesem Tag in Brüssel war. Aber offiziell befragt wurde er zur Sache bisher nie.

Olivier Thormann, ehemaliger Leiter Wirtschaftsdelikte bei der Bundesanwaltschaft.
Karl Mathis / KEYSTONE

Thormann dürfte unter anderem mit der Frage konfrontiert werden, wie die Bundesanwaltschaft auf die 2 Millionen-Zahlung kam. Die Bundesanwaltschaft selbst gibt an, sie sei von sich aus auf den Vorgang gestossen. Demgegenüber hatte Laubers Informationschef und Vertrauter André Marty im Januar 2016 gegenüber der ARD gesagt, «ein Whistleblower hat der Bundesanwaltschaft fallrelevante, interessante Informationen gegeben, die uns bei der Aufarbeitung der Strafuntersuchung, des Strafverfahrens gegen den Präsidenten der Fifa markant weitergebracht haben.»

«Das Verfahren gegen Herrn Platini ist das Ergebnis eines Komplotts»

Marty gab damals an, er rechne damit, dass gegen Ende 2016 bis Mitte 2017 klar sein werde, ob die Beweise für Anklageerhebung ausreichten. In Tat und Wahrheit wurde aber erst Ende 2021 Anklage erhoben – auch dies eine der Eigentümlichkeiten dieses Verfahrens.

Für Anwalt Nellen steht fest: «Das Verfahren gegen Herrn Platini ist das Ergebnis eines Komplotts. Die Verteidigung wird dies im Rahmen der Hauptverhandlung ausführlich darlegen und belegen». Und: «Wir sind zuversichtlich, dass das Verfahren zu einem positiven Ergebnis führen wird, das die völlige Aufrichtigkeit von Herrn Michel Platini in dieser Sache belegen wird. Ziel dieser Geschichte war es, ihn als Fifa-Präsident zu eliminieren.»

Blatter und Platini wird von der Bundesanwaltschaft unter anderem Betrug und Urkundenfälschung vorgeworfen.

Sonderermittler des Bundes befragen ebenfalls Zeugen

Weiterer Grund zur Hoffnung auf Aufklärung besteht im Umstand, dass die Strafuntersuchung gegen Infantino und Lauber wieder an Fahrt aufzunehmen scheint, nachdem Vorgänger Stefan Keller vom Bundesstrafgericht in umstrittener Zusammensetzung der Beschwerdekammer in den Ausstand geschickt wurde. Die beiden ausserordentlichen Bundesanwälte Ulrich Weder und Hans Maurer, in der Folge eingesetzt von der Bundesversammlung, sind offenbar zügig an der Arbeit. Auch sie dürften Zeugen befragen, unter ihnen zweifellos auch den heutigen Richter Thormann, der sowohl im Verfahren gegen Blatter eine entscheidende Rolle spielte als auch bei den teils ominösen Kontakten mit der Fifa und Infantino. Weder selbst will auf Anfrage derzeit keinerlei Kommentar zu den Untersuchungen abgegen.

Michel Platini, ehemaliger UEFA-Präsident.
Anthony Anex / KEYSTONE

Auf die Untersuchung gegen Lauber und Infatino setzt aber auch Platinis Berner Anwalt Nellen. Er sagt: «Wir sollten in Kürze Zugang zu den Akten des Strafverfahrens gegen den ehemaligen Bundesanwalt Michael Lauber und Gianni Infantino erhalten. Dies wird uns zusätzliche Informationen über die Absprachen liefern, die es Herrn Gianni Infantino ermöglicht haben, das Amt des FIFA-Präsidenten zu übernehmen, indem das Verfahren gegen meinen Mandanten eingeleitet und instrumentalisiert wurde.»

Ungemach kommt für Infantino womöglich auch in Frankreich zu. Platini hat im letzten November in Paris Strafanzeige gegen Infantino und den ehemaligen Fifa-Chefjuristen Marco Villiger eingereicht. Auch hier geht es um die 2-Millionen-Zahlung, die von Infantino laut Platini dazu verwendet wurde, sich ungerechtfertigte Vorteile zu verschaffen und ihn als Fifa-Präsident zu verhindern. Platini verlangt, dass auch Lauber, Thormann, Marty sowie Arnold befragt werden.

Es gilt für alle die Unschuldsvermutung.