Fall Blatter-Platini: Bundesanwalt Blättler geht in Berufung – aber Fifa-Infantino macht nicht mit
Das ist eine Überraschung: Die Bundesanwaltschaft reicht Berufung gegen die erstinstanzlichen Freisprüche im Verfahren gegen die ehemaligen Fifa-Grössen Sepp Blatter (86) und Michel Platini (67) ein. Dies gab sie auf Anfrage bekannt. Sie verlangt« die vollumfängliche Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils».
Nicht so die Privatklägerin Fifa, die in erster Instanz noch mit vollem Einsatz an der Arbeit war und auf Schuldsprüche und Entschädigungen hinarbeitete. Spät am Mittwochabend teilte die Fifa mit: Sie schliesse sich der Berufung nicht an. «Wir überlassen es nun der Schweizer Justiz, dieses Strafverfahren zu führen», so Infantino Medienstelle. Sie wies darauf hin, dass es die Fifa 2014, vor dem Amtsantritt von Infantino gewesen sei, die diese Verfahren mittels einer Strafanzeige ausgelöst habe. Die Fifa betonte wiederholt auch in der Mitteilung, Infantino habe nichts mit dieser Sache zu tun gehabt, auch die von jetzigen Rückzug als Privatklägerin nicht betroffenen Entscheide der Ethikkommission seien vor seiner Zeit gefällt worden.
Die Bundesanwaltschaft wollte keine weiteren Erklärungen zur Frage abgeben, welche Überlegungen zur Berufung führten.
Bundesanwaltschaft und Fifa hatten im erstinstanzlichen Verfahren vor Bundesstrafgericht in Bellinzona unter Richterin Joséphine Contu Albrizio eine krachende Niederlage erlitten und viel Steuer- beziehungsweise Vereinsgeld versenkt. Statt Schuldsprüchen wegen Betrugs und bedingten Freiheitsstrafen von 20 Monaten resultierten im letzten Juli Freisprüche auf der ganzen Linie.
Blatter und Platini wurden vom Vorwurf des Betrugs vollumfänglich freigesprochen. Blatter erhält eine Entschädigung von 82 000 Franken und eine Genugtuung von 20 000 Franken. Platini werden 142 000 Franken als Entschädigung gutgesprochen; auf eine Genugtuung hatte er verzichtet. Die 2,3 Millionen, die die Bundesanwaltschaft auf einem Platini-Konto bei der UBS beschlagnahmt hatte, werden an den Franzosen retourniert. Die Fifa enthält keine Entschädigung, das Gericht wies alle ihre Anträge ab. Das alles steht jetzt wieder in Frage.
Im Verfahren geht es um die strittigen zwei Millionen Franken, die die Fifa auf Geheiss des damaligen Präsidenten Blatter im Jahr 2011 an den damaligen Fifa-Vize Platini gezahlt hatte. Die Bundesanwaltschaft unter Staatsanwalt Thomas Hildbrand und die Fifa von Gianni Infantino als Privatklägerin hatten argumentiert, das Geld sei nicht geschuldet gewesen. Blatter und Platini dagegen sagten, es habe sich um eine Nachzahlung für Platinis Beratertätigkeit für die Fifa und Blatter von 1998 bis 2002 gehandelt. Basis sei eine mündliche Vereinbarung aus dem Jahr 1998 gewesen.
Brisante Konstellation in Bellinzona
Das Verfahren stand, wie andere Fifa-Verfahren der Bundesanwaltschaft, von Anfang an auf einer seltsamen Basis. So ist umstritten, wie die Bundesanwaltschaft überhaupt auf den Anfangsverdacht kam, der letztlich dazu führte, dass es Anfang 2016 Gianni Infantino war, der anstelle des Favoriten Platini Fifa-Präsident wurde. Ein Weiterzug nach einer so klaren Niederlage, auf einer wackeligen Basis und gegen einen 86 Jahre alten Beschuldigten mit gesundheitlichen Problemen erschien den meisten Beobachtern als Zwängerei. So war man gespannt, ob der neue Bundesanwalt Blättler die Reissleine ziehen – oder ob er das Verfahren durch Weiterzug zu seinem eigenen machen würde. Was nun geschah. Das alles wird noch viel zu reden geben.
Zweite Instanz im Verfahren ist die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts. Diese Konstellation ist brisant und weder für die Bundesanwaltschaft noch für die Fifa erfreulich, weil sie diese Körperschaften weiterhin in den internationalen Schlagzeilen halten wird. Denn die Berufungskammer wird ausgerechnet präsidiert von Richter Olivier Thormann (FDP). Er war es, der das Verfahren gegen Blatter und Platini 2015 unter nach wie vor nicht genau geklärten Umständen als Staatsanwalt des Bundes eröffnet hatte. Zweifellos wird die Frage juristisch zu klären sein, ob die ganze Berufungskammer in Bellinzona in dieser Sache befangen ist.
Berufungskammerpräsident Thormann selbst im Visier der Justiz
Mittlerweile ist Thormann Beschuldigter in der «Schweizerhof-Affäre» um nicht protokollierte Treffen zwischen Fifa-Chef Gianni Infantino und dem ehemaligen Bundesanwalt Michael Lauber. Dort ermitteln nach wie vor zwei Sonderermittler des Bundes. Nach einer Anzeige von Platini gegen Thormann wegen Verdacht auf falsche Zeugenaussage und Amtsgeheimnisverletzung prüft ein weiterer Sonderermittler ein Verfahren gegen Richter.
Klar ist: Die Bundessstrafjustiz aus der Lauber-Ära verbrennt gerade grosse Mengen an Steuergeld durch Verfahren, in die sie selber involviert ist.