«Animationsfilm war nie unschuldig»: Fantoche startet mit neuer Leitung in die 20. Jubiläumsausgabe
«Fantoche» feiert Geburtstag – schon wieder. Das internationale Festival für Animationsfilm steht kurz vor seiner 20. Ausgabe, erst vor zwei Jahren stiess man in Baden auf das 25-jährige Bestehen an. Die Gründe für das Feiern im Zweijahrestakt liegen in den Anfängen, als das Festival als Biennale gestartet ist. Feste soll man jedenfalls feiern, wie sie fallen, so weiss es der kluge Volksmund.
«Auslöser damals war die Begeisterung einer mutigen Viererbande, die ebendiese Begeisterung mit einem grossen Publikum teilen wollte», sagt Frank Braun, einer der Gründungsmitglieder des Festivals. An der Pressekonferenz vertritt er diese erste Generation:
«Wir sind anfangs unverschämt selbstbewusst aufgetreten.»
In seinen 20 Ausgaben hat Fantoche die Digitalisierung in der Szene begleitet. So manches ist einfacher, schneller, aber auch grösser geworden. «Ich hätte damals nie gedacht, dass man im Jahresrhythmus Langfilmselektionen zeigen kann», sagt Braun, «aber das Herzstück bleibt nach wie vor der Kurzfilm.»
Generation Musikvideo übernimmt Fantoche
Ivana Kvesic, die nach der Ära von Annette Schindler nun als neue Leiterin des Festivals antritt, steht deutlich für diesen Generationenwechsel. «Ich wurde mit MTV-Musikvideos gross, mein Herz schlägt für Animationsserien der 90er-Jahre wie ‹Daria›», sagt sie. Bei ihrem Auftritt vor der Presse wirkt sie noch etwas unsicher. In den letzten Jahren war sie Co-Direktorin der Schweizer Jugendfilmtage und Programmgestalterin für das Jugendprogramm der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur.
In Baden stellt sie sich mit dem Kurzfilmprogramm «Ivana’s Choice» vor. Darin zeigt sie Fundstücke aus der Zeit zwischen 2015 und heute. Es sei nicht so, dass sie ältere Produktionen nicht interessierten, im Jubiläumsprogramm (kuratiert von Kvesic’ Vorgängerinnen und Vorgängern) erhalten diese einen grossen Auftritt: «Ich beginne das Programm mit meinen Anfängen in der Filmbranche.»
In ihrem unerfahrenen – oder unvoreingenommenen – Blick auf die Szene sieht Kvesic eine Stärke, die sie auch formal betonen will:
«Die Selektion-Teams und Jurys habe ich sehr divers aufgestellt.»
Damit meint sie nicht nur geografische Wurzeln, sondern auch solche in verschiedenen Genres. «Alle Beteiligten sind aber sehr versierte Filmkenner», so Kvesic, «ich möchte damit neue Perspektiven einbringen, weil ich glaube, dass auch im Publikum nicht nur Animationsfilmer sitzen.»
Festivals für Kurz- und Spielfilme gibt es in der Schweiz einige mit starken Namen. Das «Fantoche» hat jedoch in langer Tradition dem Schweizer Animationsfilmschaffen eine Marke gesetzt. Mit frischen Blicken gilt es, diese nun in die nächste Generation zu tragen.
Ein Programm für eine krisengeschüttelte Zeit
Die diesjährige Festivalausgabe präsentiert sich in schillernden Farben mit düsterer Umrandung. Das lässt sich auch inhaltlich aufs Programm übertragen: «Overcoming Crisis» heisst der Schwerpunkt der diesjährigen Ausgabe. Mit der Coronapandemie im Nacken und mit Blick auf die Kriegs- und Krisenherde des Weltgeschehens liegt dieses Thema auf der Hand. Ein Kurzfilmprogramm soll sich dem annehmen und kann im besten Fall Hoffnung spenden.
«Animationsfilm war nie unschuldig. Es gab schon immer Raum für Tiefe und Melancholie.»
Das sagt Ivana Kvesic und fährt fort: «In Zeiten, in denen wir uns mit komplexen Themen auseinandersetzen müssen, kann der Animationsfilm helfen, weil er Geschichten auf vielen Ebenen erzählen kann.»
In ihrer ersten Ausgabe setzt Kvesic einen zweiten Schwerpunkt auf das Filmschaffen im Balkan: Es gibt Programme, die den Blick zurück richten in die ex-jugoslawische Geschichte, aber auch neuen Stimmen («New Voices») Gehör verschaffen. Ein Podium fragt nach der Rolle des Films in Kriegszeiten.
Tatsächlich wiegt das Jubiläumsprogramm schwer. Dennoch setzen Perlen wie der rosafarbene Splatter «Unicorn Wars» oder der charmante Stop-Motion-Film «Oink» heitere Gegenpole. In der Summe ist das ein selbstbewusster Auftritt einer Festivalleiterin, die den Animationsfilm ernst nimmt.
Vier Highlights aus dem Programm
Ein vielversprechendes Talent
Der internationale Wettbewerb das Herzstück jedes Festivals. In vier Blöcken à 60 Minuten zeigt auch das Fantoche was die Welt an Animationsfilm zu bieten hat. Auch ein Schweizer kann in diesem Wettbewerb auf einen Preis hoffen: Jonas Bienz stellt mit seinem Abschlussfilm aus dem Animationsstudium «Boddyssey» den einzige Schweizer Beitrag. In futuristischen Bildern zeigt er, wie ein fantastisches Ökosystem aus menschlicher Haut in sich zusammenbricht. «Ein zu 99% prozeduraler Quarantänefilm», schreibt er selbst dazu.
Geschichtsstunde mit Familiengeschichte
Das Festival eröffnet der vielfach ausgezeichnete Französische Filmemacher Alain Ughetto. Er lässt seine Grossmutter erzählen, wie die Familie das italienische Heimatdorf verlässt und sich auf den Weg in eine neue Heimat, in eine neue, bessere Zukunft macht. Die charmanten Knetfiguren mit feinen Gliedern und grossen Augen erreichen jedoch ein Frankreich, das sie nicht gerade mit offenen Armen empfängt. Der Film überwindet Grenzen, auch in der Produktion mit Italienischer, Französischer und Schweizer Beteiligung.
Wir müssen reden!
Welche Rolle nimmt das Medium Film im Krieg und in der Darstellung von Krieg ein? Wie beeinflussen aktuelle und vergangene Kriege die künstlerische Arbeit? Bei einem besonderen Podium kommen verschiedenen Personen aus dem Animationsfilm, aber auch der Politik und der Psychologie zusammen. Gemeinsam wird über unterschiedliche Funktionen des Mediums wie Aufklärung, Verarbeitung, Unterhaltung – aber auch Manipulation diskutiert.
Es war einmal …
Die ersten fünf Festivalausgaben auf zwei Kurzfilmprogramme eindampfen, wie wahnwitzig ist das denn? Nichtsdestotrotz greifen die vier Fantoche-Gründerinnen und -Gründer in die Vollen, beschränken sich aber auf die Programme «Internationaler Wettbewerb» und «Best of the World» bzw. «World Wide Hits» der ersten Fantoche-Dekade. Frank Braun ist gespannt, wie die Filme gut 20 Jahre später wirken – und wir sind es auch.