Flop an Flop: Wirtschaftsverbände rasseln von Niederlage zu Niederlage
Nur gerade 37 Prozent sprachen sich am Sonntag an der Urne für die Abschaffung der Stempelsteuer auf Eigenkapital aus. Es ist ein neuer Negativrekord für die in jüngster Zeit alles andere erfolgsverwöhnten Wirtschaftsverbände – und ein weiteres Indiz dafür, dass Economiesuisse, Gewerbeverband und Co. in Abstimmungskämpfen nicht mehr viel zu melden haben. Nur in den Organisationen selbst will man es offenbar nicht wahrhaben, Niederlage nach Niederlage wird schöngeredet.
Wie jetzt auch wieder: Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl spricht lieber über die zwei vermeintlichen Siege: gegen das für den Wirtschaftsstandort definitiv nicht matchentscheidende Medienpaket und gegen die von Anfang an chancenlose Tierversuchsverbots-Initiative, die so radikal ist, dass sie sogar vom Tierschutz abgelehnt wurde. Auch der Gewerbeverband schiebt am Abstimmungssonntag lieber den Triumph beim Medienpaket in den Titel seines Communiqués, die Schmach zur Stempelabgabe wird im zweiten Abschnitt versteckt.
Gegenseitige Schuldzuweisung
Schuld an der Misere jedenfalls will am Tag nach verlorener Schlacht niemand sein. Die Ausreden sind schnell zu Hand: Steuervorlagen hätten es immer schwer, heisst es bei den Verbänden. Und: Ja-Kampagnen seien grundsätzlich schwieriger als Nein-Abstimmungskämpfe,
In der Vergangenheit war es eigentlich immer der Dachverband Economiesuisse, der nach verlorener Abstimmung die Kritik einstecken musste, diesmal ist es der Gewerbeverband. Die von Hans-Ulrich Bigler geführte Organisation verantwortete die Ja-Kampagne mit dem «Daumen hoch»-Motiv, kreiert wurde sie vom Kommunikationsbüro des SVP-Nationalrats Gregor Rutz. Das Fazit: Egal welcher der beiden grossen Verbände das Zepter in der Hand hält, Abstimmungssiege sind bei wirtschaftspolitischen Anliegen Zitterpartien.
Dass Rühl und Bigler nicht miteinander auskommen und sich auch schon einen öffentlich Schlagabtausch geliefert haben, hilft sicher nicht. Das Grundproblem liegt aber in einer fortschreitenden Entfremdung zwischen Wirtschaft und Gesellschaft. Eigentlich hätten die Wirtschaftsverbände schon vor 30 Jahren beim EWR-Nein alarmiert sein müssen, spätestens aber beim Ja zur Abzocker-Initiative im 2013. Doch reagiert wurde nicht, und so folgten weitere schmerzhafte Niederlagen:
Abstimmungen, bei denen die Wirtschaft unterlag
- 6. Dezember 1992: 50,3% Nein zum EWR-Beitritt
- 7. März 2010: 72,7% Nein zur Senkung des Umwandlungssatzes
- 3. März 2013: 68,0% Ja zur Abzocker-Initiative
- 9. Februar 2014: 50,3% Ja zur Initiative gegen die Masseneinwanderung
- 12. Februar 2017: 59,1% Nein zur Unternehmenssteuerreform III
- 29. November 2020: 50,7% Ja zur Konzernverantwortungs-Initiative, die nur am fehlenden Ständemehr scheiterte
- 13. Februar 2022: 62,7% Nein zur Abschaffung der Stempelsteuer auf Eigenkapital
Am heftigsten durchgeschüttelt wurde die Wirtschaftsverbandswelt nach dem Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative im Februar 2014. Economiesuisse suchte in der Folge wieder etwas Nähe zur Bevölkerung und initiierte gesellige Treffen, frei nach dem Motto «auf ein Bier mit der Wirtschaft». Viel gebracht hat es nicht. Und so ist damit wieder Schluss, nicht nur wegen der Pandemie.
Gewerbepräsident Regazzi will über die Bücher
In den Verbandszentralen ist wenig zu spüren über einen Kurswechsel. Nur Gewerbeverbandspräsident Fabio Regazzi will über die Bücher: «Die Abstimmung über die Stempelsteuer muss uns die Augen öffnen. Wir können nicht so weiter machen, wie bisher.» Denn es stünden sehr wichtige Abstimmungen bevor, viel wichtigere als jene über die Stempelsteuer. Regazzi denkt da vor allem an die Reformen bei der Verrechnungssteuer, bei der AHV und bei der beruflichen Vorsorge. «Wenn wir diese nicht gewinnen, wäre das schlimm.»