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Am Rande der Erschöpfung: Wie sich das Parlament selber mit Arbeit eindeckt

Weil die Ratsmitglieder sehr viele Vorstösse einreichen, wurde eine Sondersession nötig, um all die Geschäfte zu behandeln. Also traf man sich in Bern – und politisierte, dass es fast die Kuppel vom Bundeshaus lupfte. Eine kleine Geschichte über die Blüten des Milizsystems.

Von Überlastung ist gerne die Rede. Davon, dass es neben den Aufgaben, die ein Nationalratsmandat mit sich bringt, kaum mehr möglich sei, einen Beruf auszuüben. Das Milizparlament sei am Anschlag – Alarm! Alarm!

Gerade letzte Woche wurde den Volksvertreterinnen und Volksvertretern ein zusätzlicher Effort abverlangt: eine dreitägige Sondersession in Bern. Wobei der Generalsekretär der Bundesversammlung, Philippe Schwab, schon im Voraus in einem Interview erklärte, der Begriff Sondersession sei unglücklich gewählt. Man sollte besser von einer «Nachholsitzung» sprechen, «ähnlich wie bei Studierenden, die einen Rückstand aufholen oder eine Prüfung wiederholen müssen». Mit der Sondersession erhielten die Nationalratsmitglieder drei zusätzliche Verhandlungstage, die angesichts der Zunahme der parlamentarischen Vorstösse sehr wertvoll seien. Kurz: Ziel der Veranstaltung war der Abbau von Vorstössen.

Beim Differenzler schlecht abgeschnitten

Soweit der Plan. Bevor wir dazu kommen, was dann in Bern tatsächlich passiert ist, zunächst ein kleiner Exkurs: Vorstösse reichen von der Einfachen Anfrage an den Bundesrat bis zur Motion, über welche ein Parlamentsmitglied der Regierung einen konkreten Auftrag erteilt. Noch weiter geht die parlamentarische Initiative, die bereits den Entwurf eines neuen Erlasses zum Ziel hat, wie uns das Parlamentswörterbuch lehrt.

Mit Vorstössen werden also konkrete Fragen, Sorgen und Nöte der Leute ins Parlament getragen. Als Politikerin oder Politiker kann man sich auf diese Weise profilieren – besonders, wenn man es damit in die Medien schafft. Ob das gelingt, ist aber oft unsicher. Darum gilt: Probieren geht über studieren!

Womit wir zur Sondersession zurückkehren, die – wir erinnern uns – dem Abbau von Vorstössen dienen sollte. Der Konjunktiv ist verräterisch. Und in der Tat zeigt eine Auswertung der Parlamentsdienste: Während der drei Tage wurden zwar 52 Vorstösse abgeschlossen. Doch zugleich reichten Parlamentarierinnen und Parlamentarier 115 neue ein. Macht, frei nach Göpf Egg, eine Differenz von 63. Oder eine weitere Sondersession mit Kosten von rund 1,5 Millionen Franken, wie der «Nebelspalter» schätzt. Beim Samstagjass wäre der Telefonjasser ausgeschieden.

Im Durchschnitt fast jedes Jahr eine Sondersession

Der Fairness halber sei angemerkt: Die Arbeitslast des Parlaments ergibt sich auch durch Volksinitiativen oder Bundesratsgeschäfte. Und vielleicht wurden jetzt Vorstösse vorgezogen, die sonst im Sommer eingereicht worden wären. Zudem haben fünf Parteien fünf gleichlautende Motionen zur Schaffung einer «Swiss Green Investment Bank» eingereicht. Das wäre auch in einem Aufwisch gegangen, mit den Unterschriften aller involvierten Ratsmitglieder – so aber war die mediale Beachtung grösser.

Kommt hinzu, dass die Vorstoss-Flut nichts Neues ist: «Seit 1992 wurden 26 Sondersessionen einberufen, das heisst fast eine pro Jahr», ist im Interview mit Generalsekretär Schwab zu lesen. Obwohl es mehr und mehr von Politprofis bevölkert wird, hat das Milizsystem überlebt. Sollte der Politbetrieb aber tatsächlich an den Rand der Überlastung geraten: Über den dringenden Vorstoss zur Eindämmung von Vorstössen würden wir exklusiv berichten. Mit Bild des erschöpften Ratsmitglieds!

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