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Botox soll Schmerzen lindern: So kann das Nervengift gezielter wirken

Forschende am Paul Scherrer Institut (PSI) in Villigen und Würenlingen haben erstmals jene Strukturveränderungen von Botox aufklären können, die vermutlich beim Eindringen in die Nervenzelle entscheidend sind. Dies könnte dazu beitragen, die therapeutische Anwendung von Botox zu verbessern und gezielter gegen Schmerzen einzusetzen.

Botulinum-Neurotoxin A1, bekannt als Botox, wird nicht nur in der ästhetischen Medizin eingesetzt, sondern auch zur Behandlung verschiedener neurologischer Erkrankungen. Forschende des Paul Scherrer Instituts (PSI) in Villigen und Würenlingen konnten herausfinden, welche Strukturveränderungen dem Eindringen des Toxins in Nervenzellen vorausgehen. Das schreibt das PSI in einer Mitteilung.

Botox blockiert die Signalübertragung der Nerven auf Muskeln: Dies kann Muskeln unter der Haut entspannen, was in der Kosmetik zur Glättung von Gesichtszügen genutzt wird. Es kann aber auch Schmerzen lindern, die auf krampfende Muskeln oder Fehlsignale von Nerven zurückzuführen sind wie Spastiken, Blasenschwäche oder Fehlstellungen der Augen.

Zu hoch dosiert kann Botox zu Lähmungen der Atemmuskulatur führen, was wiederum tödlich sein kann. Das geschieht meist infolge einer bakteriellen Fleischvergiftung und wird «Botulismus» genannt.

Volodymyr Korkhov (links) und Richard Kammerer haben das Nervengift Botox erforscht.
Bild: zvg/Mahir Dzambegovic

Um Botox als Medikament möglichst effektiv einzusetzen, die Wirkung präzise zu kontrollieren und die Einsatzmöglichkeiten zu erweitern, wollen die Forschenden besser verstehen, wie das Toxin in eine Nervenzelle eindringt, um seine Wirkung zu entfalten. Dazu war bislang recht wenig bekannt.

«Das liegt hauptsächlich daran, dass wir bisher noch keine Strukturdaten haben, wie das Toxin in seiner vollen Länge aussieht, wenn es an den Rezeptor der Nervenzelle gebunden ist», erklärt Richard Kammerer vom PSI-Zentrum für Life Sciences in der Mitteilung.

Beobachtungen bei minus 160 Grad

Um sich dieses Wissen anzueignen, arbeitete das Team von Kammerer mit der Forschungsgruppe von Volodymyr Korkhov zusammen. Die Gruppe ist auf die Strukturaufklärung von Membranproteinen spezialisiert und arbeitet am gleichen Labor des PSI.

In der gemeinsamen Studie haben die Forschenden in einem sogenannten Kryo-Elektronenmikroskop Proben des Neurotoxins allein und mit dem Rezeptor untersucht. Bei der Kryo-Elektronenmikroskopie werden die Proben auf minus 160 Grad schockgefroren, ohne dass sich dabei Eiskristalle bilden.

Mit dieser Methode haben die Forscherinnen und Forscher erstmals die vollständige Struktur des Neurotoxins sowie seine Wechselwirkungen mit dem Rezeptor in verschiedenen pH-Umgebungen untersuchen können. Sie taten dies bei niedrigen und neutralen pH-Werten, wie sie im sogenannten synaptischen Vesikel herrschen. Nach dem Andocken des Toxins an den Rezeptor nimmt dieses bläschenartige Zellorganell das Toxin in sich auf und transportiert es ins Zellinnere.

Wie sich zeigte, ist der daraufhin sinkende pH-Wert des «reifenden» Vesikels entscheidend für den Transport des Toxins vom Vesikel über dessen Membran ins Zytosol – das ist der Teil der Zelle, in dem die meisten biochemischen Reaktionen stattfinden und wo auch das Toxin seine Wirkung entfaltet. «Bei niedrigem pH-Wert um die 5,5 verbiegt sich das Toxin von seiner üblicherweise länglichen, offenen in eine kugelförmige, kompakte Form», berichtet Korkhov.

Dadurch geraten die entscheidenden Domänen des Proteins in die Nähe der Vesikelmembran. «Bei neutralem pH-Wert von um die 7 sind sie dagegen in der länglichen Form für eine Interaktion zu weit weg von der Membran», so Korkhov. Erst in dieser Form kann das Toxin in das Zellinnere, das sogenannte Zytosol, gelangen und seine Wirkung entfalten.

Viele Erkenntnisse für die Schmerztherapie

Das PSI-Team ist weltweit das erste, das Strukturdaten des Toxins in seiner vollen Länge und im Komplex mit dem Rezeptor vor der Translokation liefert. «Damit haben wir jetzt eine viel realistischere Vorstellung von den entscheidenden Mechanismen der Translokation», sagt Kammerer.

Bis man diese in Gänze entschlüsselt habe, seien jedoch noch weitere Untersuchungen nötig. «Aber mit der jetzt veröffentlichten Studie haben wir schon einen wichtigen Schritt getan, der helfen könnte, Botulinum-Neurotoxin demnächst noch viel effektiver zum Beispiel bei der Behandlung von Schmerzen einzusetzen.»(az)