Wie schwierig ist es, die Stromversorgung stabil zu halten? Und wird sie für den Winter wirklich unsicher?
Eine entscheidende Rolle für die verlässliche Versorgung mit Strom spielt in der Schweiz die in Aarau domizilierte nationale Netzgesellschaft Swissgrid. Seit 2006 koordiniert sie mit rund 600 Mitarbeitenden von hier das schweizerische Übertragungsnetz (380/220 kV) der Schweiz. Mehrere Schweizer Elektrizitätsunternehmen halten die Mehrheit des Aktienkapitals. Die Swissgrid ist zuständig für das gesamte 6700 Kilometer lange Höchstspannungsnetz der Schweiz.
Die Swissgrid trägt die Verantwortung für den Betrieb dieses Netzes und ist auch für dessen Unterhalt, Erneuerung und Ausbau zuständig. Sie hatte ihren Sitz zuvor im Stromknotenpunkt Laufenburg.
Swissgrid publiziert laufend in einer Grafik den Energieaustausch mit Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich (vgl. Grafik). Der Pfeil zeigt in Richtung Schweiz, wenn die Schweiz aktuell mehr Wirkleistung aus einem Nachbarland importiert als exportiert. In Richtung des Nachbarlandes zeigt er, wenn die Schweiz aktuell mehr Wirkleistung exportiert als importiert. Wir sprachen zur aktuellen Situation mit Bastian Schwark, Head of Market Operations bei Swissgrid AG.
Wie schwierig ist es derzeit, die Stromversorgung stabil zu halten?
Bastian Schwark: Grundsätzlich ist das Schweizer Höchstspannungsnetz eines der zuverlässigsten und sichersten der Welt. Aufgrund der Zunahme von neuen erneuerbaren Energiequellen wie Solar- und Windkraft wird die Stromproduktion und damit auch die Stromflüsse dynamischer und schwieriger prognostizierbar. Das birgt Herausforderungen für alle Übertragungsnetzbetreiber.
Zum Beispiel?
Wir müssen zu jeder Zeit das Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch gewährleisten. Eine kosteneffiziente und sichere Nutzung dezentraler flexibler Ressourcen wie Speicher, Elektroautos, Batterien oder Wärmepumpen ist ein vielversprechender Ansatz, um das Stromnetz auch auf der Verbraucherseite flexibler zu gestalten.
Es gibt Warnungen, schon im kommenden Winter könnte die Stromversorgung unsicher werden.
Die Einschätzung der Stromversorgung obliegt der Elcom, der Eidgenössischen Elektrizitätskommission. Wir teilen die Ansicht, wonach in Bezug auf die Versorgungssicherheit für den kommenden Winter Unsicherheiten bestehen.
Wie wichtig ist denn auch vor diesem Hintergrund das Stromabkommen mit der EU für die Schweiz und damit für Swissgrid?
Die Schweizer Netzstabilität kann mittelfristig nur im europäischen Kontext gewährleistet werden: Die Zusammenarbeit mit der EU und ihren Netzbetreibern ist essenziell für die Versorgungssicherheit und die Netzsicherheit in der Schweiz. Swissgrid engagiert sich stark, um auf technischer Ebene mit den europäischen Partnern zusammenzuarbeiten.
Mit welchem Ergebnis?
Ein grosser Erfolg ist die Unterzeichnung eines privatrechtlichen Vertrages mit den Übertragungsnetzbetreibern der norditalienischen Grenzen im Dezember 2021. Damit ist Swissgrid in die europäischen Prozeduren an der Südgrenze eingebunden. Das Gleiche benötigen wir auch an den Nordgrenzen, was aber nicht ganz so einfach ist. Aber selbst mit solchen Verträgen sind die Probleme, die sich aufgrund des fehlenden Stromabkommens ergeben, noch lange nicht gelöst.
Es geht also nicht ohne dieses Abkommen?
Wir sind auf eine politische beziehungsweise zwischenstaatliche Lösung angewiesen. Nur eine solche schafft einen stabilen Rahmen für eine langfristig gesicherte Zusammenarbeit mit der EU und damit für eine hohe Versorgungssicherheit der Schweiz. Ein Stromabkommen ist zwar in absehbarer Zeit unrealistisch, es wäre aber nach wie vor die effizienteste und wirksamste Lösung für die Schweiz.
Wenn dereinst die AKW auch im Aargau vom Netz gehen, dürfte der Importbedarf zunehmen. Reicht das Netz dafür überhaupt?
In den letzten Jahren haben wir viel erreicht, um die Importkapazität zu erhöhen, allerdings sind wir noch nicht am Ziel. Der Netzausbau in der Schweiz ist essenziell für das Gelingen der Energiestrategie 2050. Darum ist es von grosser Bedeutung, dass er durch effiziente Bewilligungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt wird. Wir legen mit dem «Bericht zum Strategischen Netz» die nötigen Massnahmen zur Netzerweiterung transparent dar. Allerdings läuft es nicht immer gemäss Plan.
Heisst das, dass es meist länger als geplant dauert?
In der Tat dauern viele Um- und Ausbauprojekte wesentlich länger als geplant, da sie oft durch Einsprachen verzögert werden. Aktuell beträgt die Dauer vom Projektstart bis zur Inbetriebnahme rund 15 Jahre. Für die Erreichung der Ziele der Energiestrategie 2050 muss sichergestellt werden, dass die Fristen der Sachplan- und Genehmigungsverfahren eingehalten werden.