Le Pens Diktat – warum Präsident Macron Neuwahlen angesetzt hat
Die unerwartete Ansetzung von Neuwahlen durch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron ist ein riskantes Unterfangen: Über Nacht ist das Unvorstellbare möglich geworden, nämlich die Übernahme der Regierungsmacht in Paris durch die Rechtspopulisten, die in Frankreich Rechtsextremisten genannt werden. Marine Le Pen an der Regierung der Menschenrechtsnation? Diese «verrückte» Eventualität, wie ein Kommentator sagte, wollte am Montag vielen Franzosen nicht in den Kopf.
Doch Macron hatte eigentlich gar keine Wahl als die Auflösung der Nationalversammlung, da seine eigene Demission in der französischen Verfassungsgeschichte eigentlich nicht vorgesehen ist. Und handeln musste Macron: Das «Rassemblement National» von Marine Le Pen hat fast ein Drittel Stimmen erzielt, doppelt so viel wie jede andere Partei, auch als die Macronisten. Dieser relativ konstante Stimmensockel genügt zwar noch nicht, um in den Elysée-Palast einzuziehen, wozu die Hälfte Stimmen nötig sind. Aber er genügt Marine Le Pen, den sonst so mächtigen Staatschef vor sich herzutreiben. Die Ansetzung von Neuwahlen ist für sie bereits ein riesiger Erfolg: Nun ist klar, wer in Frankreich heute politisch die Richtung vorgibt, wer die französische Politik diktiert.
Und sollte das RN in einem Monat die Parlamentswahlen gewinnen, müsste Macron mit dieser Partei wohl eine «Cohabitation» eingehen. Auch das ist an sich unvorstellbar – und gerade deswegen möglich: Macron ist so unpopulär und selbstverliebt, dass ihm die störrischen, politisch nicht immer korrekten Franzosen durchaus ein Kuckucksei in Form einer RN-Regierung ins Elysée-Nest setzen könnten.
In dem Fall müsste sich auch Europa mit der Idee abfinden, dass eine demagogische, antieuropäische und putinfreundliche Kraft ein Schlüsselland der EU regieren würde. Macron bliebe zwar von der Verfassung her für die Aussenpolitik zuständig. Trotzdem würde sich in der EU und dem Krieg in der Ukraine vieles ändern, wenn Le Pen oder ihr Adlat Jordan Bardella den Premierminister-Posten einnehmen würde. Fast scheint es, dass in Paris bald nichts mehr sein wird, wie es bisher war.