«Wir sind 1,4 Milliarden, was bietest du?»: Die wichtigsten Fragen zu Parmelins erfolgreichem Indien-Deal
Verhandlungen bis tief in die Nacht, ein kurzfristiger bundesrätlicher Trip in die Metropole Mumbai – und schliesslich die Einigung nach sechzehn Jahren: Das Freihandelsabkommen mit Indien, dem bevölkerungsreichsten Land der Welt, ist ein grosser Erfolg für Wirtschaftsminister Guy Parmelin und sein Team.
Er werde sich immer an sein erstes Treffen mit dem indischen Handelsminister Piyush Goyal 2019 in Davos erinnern, erzählte Parmelin am Donnerstag vor den Medien. «Er sagte mir: Ihr seid 9 Millionen Einwohner und Einwohnerinnen, wir 1,4 Milliarden. Was bietest du mir?»
Zugegeben: Selbst zusammen wirken die vier Efta-Staaten Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein neben Indien wie ein Zwerg. Doch Parmelin gelang es offenbar, das Interesse des indischen Ministers zu wecken. Island sei die Nummer eins bei den erneuerbaren Energien, die Schweiz die zwanziggrösste Volkswirtschaft, zählte er unter anderem auf. «Jetzt können wir beginnen, zu diskutieren», habe der indische Minister gesagt.
Fünf Jahre später gelingt der Coup. Im Januar 2024 fliegt Parmelin kurzfristig nach Mumbai, im März wird das Abkommen unterzeichnet, endlich. Nun hat der Bundesrat die Botschaft dazu ans Parlament überwiesen.
Warum preist Parmelin das Abkommen als «wichtigen Meilenstein»?
Es ist das erste moderne, umfassende Freihandelsabkommen, das Indien mit einem westlichen Land abgeschlossen hat, wie Staatssekretärin Helene Budliger Artieda sagte. Die EU und Grossbritannien verhandeln ebenfalls mit Indien über ein Abkommen, kamen aber noch nicht zum Abschluss.
Das verschafft der Schweiz und den anderen Efta-Staaten einen Vorteil. «Das Abkommen stärkt die Wettbewerbsfähigkeit von Schweizer Exporten im bevölkerungsreichsten Land der Welt», sagte Parmelin. Auch Indien profitiere – eine «Win-win-Situation», wie er mehrmals betonte.
Was bringt das Abkommen konkret?
Bisher erhebt Indien auf die meisten Produkte sehr hohe Importzölle. Laut dem Branchenverband Swissmem bewegen sich die Importzölle auf Güter der Schweizer Tech-Industrie zwischen 8 und 22 Prozent. Tritt das Abkommen in Kraft, ist damit weitgehend Schluss: Dann gelten für rund 95 Prozent der heutigen Schweizer Ausfuhren nach Indien Zollerleichterungen – teilweise nach Übergangsfristen.
So fallen beispielsweise für Uhren sowie verarbeitete Landwirtschaftsprodukte wie etwa Schokolade und Kaffeekapseln sämtliche Zölle weg. Auch ein Grossteil der Maschinen kann künftig zollfrei oder zu reduzierten Zöllen ausgeführt werden, ebenso pharmazeutische und chemische Produkte. Für Schweizer Firmen wird es also attraktiver, nach Indien zu exportieren.
Zum ersten Mal verpflichten sich die Efta-Staaten in einem Freihandelsabkommen zudem zu Promotionsaktivitäten, um Investitionen zu fördern. Ziel ist, innert fünfzehn Jahren die Direktinvestitionen in Indien um 100 Milliarden US-Dollar zu erhöhen. Dadurch sollen eine Million Arbeitsplätze in Indien geschaffen werden. Das soll dazu beitragen, die Armut vor Ort zu lindern.
Was exportiert die Schweiz heute
Das grösste Exportgut der Schweiz nach Indien ist Gold – Indien ist der grösste Goldimporteur der Welt, wie der Bund schreibt. Daneben exportiert die Schweiz insbesondere Maschinen, Apparate und Elektronik, chemische und pharmazeutische Produkte sowie Präzisionsinstrumente, Uhren und Bijouterie nach Indien. Die Schweiz wiederum importiert vor allem chemische und pharmazeutische Produkte, Textilien, Bekleidung und Schuhe sowie Metalle aus Indien.
Das bilaterale Handelsvolumen belief sich 2023 auf 17,7 Milliarden Franken. Zum Vergleich: Mit China sind es 59 Milliarden Franken.
Was ist mit der Nachhaltigkeit und den Menschenrechten?
Spätestens seit der Abstimmung über das Freihandelsabkommen mit Indonesien, das vom Volk 2021 nur knapp abgesegnet wurde, ist klar: Die Skepsis gegen solche Abkommen ist kein Randphänomen, das Credo «Wandel durch Handel» abgegriffen. Insbesondere von linker Seite werden verbindliche Bestimmungen zu Menschenrechten und Umweltschutz gefordert.
Parmelin betonte, die Efta sei der erste Partner, mit dem Indien ein «umfassendes und rechtsverbindliches Kapitel über Handel und nachhaltige Entwicklung» vereinbart habe. Dieses sieht unter anderem die Verpflichtung vor, nicht von geltenden Umwelt- und Arbeitsnormen abzuweichen.
Wie ist das Echo in der Schweiz?
Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse schreibt, Indien sei für die Schweiz «ein Wirtschaftspartner mit riesigem Potenzial». In Zeiten von zunehmendem Protektionismus habe dieses Abkommen weltweit Signalwirkung.
Ein Stolperstein war in der Vergangenheit der Schutz des geistigen Eigentums, da Indien der grösste Hersteller von Generika ist. Laut Parmelin habe man eine Einigung gefunden, mit der auch die Schweizer Pharmaindustrie zufrieden sei.
Ein Sprecher des Branchenverbands Interpharma erklärt mit Verweis auf die Bedeutung von Freihandelsabkommen für die Wirtschaft, man könne grundsätzlich damit leben. Aber: «Wir hätten in diesem Freihandelsabkommen ein starkes Kapitel zum Schutz des geistigen Eigentums sehr begrüsst.»
Gibt es Widerstand?
Verschiedene problematische Punkte sieht die entwicklungspolitische Organisation Public Eye. Sie kritisiert unter anderem das Nachhaltigkeitskapitel als «völlig zahnlos». Bei den angestrebten Investitionen von 100 Milliarden Dollar bleibe der Bundesrat Antworten schuldig – etwa, ob sichergestellt werden könne, dass die Investitionen Nachhaltigkeitskriterien erfüllten.
Weiter kritisiert Public Eye, dass das Abkommen ins indische Patentrecht eingreife.Das Land gelte als Apotheke der Armen, schreibt ein Sprecher, übermässiger Patentschutz gefährde den weltweiten Zugang zu erschwinglichen Generika-Medikamenten.
Kein Widerstand dürfte vom Schweizer Bauernverband kommen. Eine Sprecherin erklärt, gemäss der ersten Einschätzung scheine die Schweizer Landwirtschaft nicht negativ betroffen zu sein. Man werde aber noch eine detaillierte Analyse vornehmen.
Wie geht es nun weiter?
Zunächst wird das Parlament über das Abkommen beraten. Falls das Referendum ergriffen wird, hat das Schweizer Stimmvolk das letzte Wort. Gibt es kein Referendum, könnte das Abkommen bereits im Herbst 2025 in Kraft treten.