Kühn bis ans Ende: Karl’s Kühne Gassenschau holt «Silo 8» aus der Versenkung
Sie fliegen zum Gaudi des Publikums im Nachthemd durch die Waschanlage und humpeln gleich wieder über die Bühne. Sie tanzen Rock’n’Roll und lassen sich passiv wie Stopfgänse an Schläuchen füttern. Sie vergessen alles und dürsten doch nach Freiheit. Herrlich überdreht und witzig, poetisch und gefühlvoll erzählt Karl’s Kühne Gassenschau vom Leben im auf Effizienz getrimmten Altersheim der Zukunft. Die Insassen von «Silo 8» sind nicht ganz aus dem wirklichen Leben gegriffen und spiegeln es doch.
«Erinnerungen machen Heimweh. Also weg damit! Dann sind sie glücklich», lautet die Devise der Direktorin Dr. Wolf, die eine Maschine mit Erinnerungs-Delete-Funktion erfunden hat. Aber wie unglücklich verfolgt man, wie der alte Federico seine Aurora im Rollwagen aufs Gelände schiebt und wie die beiden dann gnadenlos in die Mechanik des Alltags eingefügt werden.
Kann man Menschlichkeit ausschalten?
Darf man Menschen so behandeln? Sie wegsperren? Sie als blosse Körper am Fliessband bedienen, ohne zu fragen, was sie wollen und fühlen? Die Unmenschlichkeit wäre unerträglich, wären der Langstrassen-Dani und der Humpel-Wädi, die vergessliche Ida und der naseweise Dr. Zitzwitz nicht so grandios anarchisch, und das Altersheim aus rostigen Containern nicht voller technischer Überraschungen. Der Mensch lässt sich nicht unterkriegen, Altersgebresten hin und wirtschaftliche Optimierung her.
Klamauk und Poesie, Feuerwerk und stille Momente halten auch dank der Live-Musik die Balance. So kann das Publikum über ein Rennen Töff gegen Rollstuhl lachen und jubeln, mal eine Träne abwischen, still einem Lied lauschen oder das Karussell bestaunen, das wie in einem wunderschönen Traum aus der Altersheim-Terrasse in den Nachthimmel aufsteigt.
«Sind das Stück und unsere damalige Berichterstatterin gut gealtert?», setzte die Redaktion als Frage vor diesen Bericht. Man hat schon gestutzt bei der Ankündigung, dass 2022 wieder «Silo 8» gespielt wird. Denn das Stück feierte 2006 Premiere in Winterthur und wurde von 2008 bis 2010 in Olten gespielt.
Gut gealtert
«Silo 8» hat seine Frische und Aktualität bewahrt. Die Schreibende ist älter geworden, ebenso die Darsteller und Darstellerinnen. Es sind aber noch immer die gleichen. Brigitte Maag muss sich für ihre Rolle als Ida die Haare wohl nicht mehr grau färben. Und Paul Weilenmann hinkt nach der Vorstellung über den Platz, was ihn nicht daran hindert, als Wädi mit Gehstock wie in einer Stuntshow alles zu geben.
Vieles ist also gleich geblieben. Gleich gut und gleich gekonnt. Es ist wie heimkommen. Der Weg durch die Brache aus Kies, Gebüsch und Unkraut in Olten Südwest, der grosse Platz mit den Beizlis und Lichtern sind so rau wie liebevoll hergerichtet.
Seit 1984 unterwegs
Karl’s Kühne Gassenschau hat seit ihrem Anfang 1984 als Tingeltangeltruppe, ihren wilden Shows in der Kiesgrube in Steinmaur und ihren aufwendigen Geschichten wie «Akua» oder «Fabrikk» eine unverkennbare Handschrift. Eine Mischung aus Theater, Akrobatik und Techno-Show.
Der Aufwand ist riesig. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt eine grosse, perfekt organisierte Werkstatt, Zelte für Bau und Lager, überragt vom Kran, ohne den die Show nicht ins Fliegen käme. Dahinter stehen die ganzen Monate Probe-und Spielzeit die Wohnwagen der Spielerinnen und Helfer.
Hinter den Kulissen solide, auf der Bühne wagemutig
Die Truppe ist Meisterin beim Wiederverwerten – nicht nur bei der Deko. So kehren die Kühnen gerne an bewährte Spielorte in zentrumsnahen Brachen zurück, wenn diese denn noch nicht überbaut sind. In Olten konnten sie ihre Beziehungen zu den lokalen Lieferanten, zur Stadt und Unterstützern so leichter wieder auffrischen. Die Truppe finanziert sich grösstenteils aus den Eintritten. 40’000 Tickets sind bereits gebucht. Dass der Kanton Solothurn aber keinen Franken Unterstützung gewährte, das wurmt die Kühnen schon.
Protestiert wie die Alten im «Silo 8» haben sie deswegen nicht. Dort aber gerät die Weltordnung zum Schluss völlig aus den Fugen. Der Flug von Dr. Zitzwitz in die Freiheit endet am Siloturm, aber der Umsturz gelingt. Buchstäblich und mit Getöse. Daran kann auch ein kriegerischer Roboterhund nichts ändern. Unabänderlich ist auch der Tod. Doch im «Silo 8» verwandeln Karl’s Kühne das Unausweichlich-Traurige in luftige Poesie.