
Deutsche nicht mehr heiss auf Schweizer und es fehlt der «Odermatt-Effekt»: Alex Frei, ist die Super League wirklich so schwach?
Über 400 Millionen Menschen erreicht die Social-Media-Plattform «433» pro Monat. Eine gewaltige Bühne, auf der vor einigen Tagen die Schweizer Super League ihren grossen Auftritt hat. «Bundesliga, Premier League, Serie A – alle grossartig. Aber das Titelrennen in der Super League ist einfach einmalig», steht da sinngemäss unter einem Ausschnitt der oberen Tabellenhälfte geschrieben.
Das ist die positive Betrachtungsweise des verrücktesten Meisterkampfs der Ligageschichte. Für Skeptiker ist das Glas indes halb leer: 42 Punkte reichen nach 25 Spieltagen für Rang 1 – so wenige wie noch nie seit der Super-League-Gründung 2003, und das mit Abstand. Und dass sich mit Basel, Luzern, Lugano und Servette gleich vier Teams den Leaderthron teilen und sich mit sechs Punkten Rückstand sogar der achtplatzierte FC Zürich Titelanwärter nennen darf, ist aussergewöhnlich. Doch was bedeutet das? Für die einen ist die Ausgeglichenheit der Liga ein Qualitätssiegel, für die anderen ein Armutszeugnis.
Sieben Thesen zum Schweizer Klubfussball, beantwortet vom Nati-Rekordtorschützen, zweifachen Super-League-Torschützenkönig und heutigen Blue-Experten Alex Frei.

Bild: Andrea Zahler
These 1: Wegen der Spannung in der Super League lacht nur das Fanherz, das von Fachmann und Ex-Fussballer Alex Frei hingegen blutet.
Alex Frei:«Als TV-Experte macht die Super League in dieser Saison unglaublich viel Spass. Es wird, darauf lege ich mich fest, bis zum 33. Spieltag dauern, ehe alle Teilnehmer der Meister- und der Abstiegsrunde feststehen. Irgendwelche Prognosen abzugeben, ist zwar fast nicht möglich, jede Tendenz wird sofort widerlegt. Dafür liefert praktisch jeder Spieltag neue Erkenntnisse. Weil es im Mittelfeld so eng ist, tippe ich darauf, dass nach 38 Spieltagen der Siebte mehr Punkte hat als der Sechste (möglich wegen der Ligateilung in zwei Sechsergruppen nach dem 33. Spieltag; d. Red.).
Was mir nicht gefällt: Obwohl die vier Klubs an der Tabellenspitze 33 von möglichen 75 Punkten nicht geholt haben, sind sie vorne. Hochgerechnet hat der Meister Ende Saison also nur etwa jedes zweite Spiel gewonnen. Dafür braucht es keine herausragenden Qualitäten.
These 2: Die Liga ist ausgeglichen, weil YB in dieser Saison schwächelt, nicht weil die Konkurrenz besser geworden ist.
Die Young Boys haben sicherlich an Qualität eingebüsst, aber zu ihrer Verteidigung sei gesagt: Jedes Jahr die besten Spieler zu verlieren und wieder zu ersetzen, ist die Königsdisziplin, fast die Quadratur des Kreises. Dass das nicht jedes Mal wunschgemäss gelingt, liegt in der Natur der Sache – das war früher beim FC Basel nicht anders.
These 3: 42 Punkte nach 25 Spieltagen bedeuten 1,68 Punkte im Schnitt: Eine solche Bilanz hat schon einigen Trainern von ambitionierten Klubs den Job gekostet.
Das ist ganz sicher so. Und zeigt: Der Totomat und der Blick auf die Tabelle haben immer noch viel mehr Gewicht als die fussballerische Entwicklung. Mein Gefühl sagt, dass die Geduldsfäden der Klubverantwortlichen etwas länger sind als früher. Als ehemaliger Trainer begrüsse ich das natürlich sehr.
These 4: Die Schweizer Ski-Männer sind auch wegen des «Odermatt-Effekts» so stark – seine Erfolge spornen die anderen Fahrer an und machen sie besser. So ein Zugpferd braucht auch die Super League, damit die Qualität aller Mannschaften dahinter wieder steigt.
Für den neutralen Zuschauer ist Langeweile an der Tabellenspitze ein Graus, für die fussballerische Qualität ist sie förderlich. Wenn wie früher der FC Basel und zuletzt YB alles in Grund und Boden spielen, sind diese Teams der Massstab für den Rest. Auch neben dem Platz, weil Erfolg immer das Resultat guter Klubstrukturen ist.
Stimmen, wonach Langeweile im Meisterrennen schädlich ist, lasse ich nicht gelten: In Deutschland wird neun von zehn Mal Bayern München Meister – und doch sind die Stadien voll und der gezeigte Fussball hochattraktiv.
Alex Freis Meister-, Abstiegs- und Aufstiegstipp
Meister: Kann ich heute nicht sagen. Aber in den nächsten drei Runden werden die Weichen gestellt. Nach dem 28. Spieltag traue ich mir einen Tipp zu.
Abstieg: Stand jetzt hat Winterthur trotz sechs Punkten Rückstand intakte Chancen. Sobald der Tabellenletzte aber 1,5 Punkte pro Spieltag gutmachen muss, ist es vorbei.
Aufstieg: Thun oder Aarau. In der Runde vor oder nach Ostern (20. April) fällt eine Vorentscheidung
These 5: Das Messen mit der internationalen Konkurrenz muss für die Super-League-Klubs zur Nebensache werden. Stattdessen Fokus auf die Nische: ehrlicher Fussball, ohne Exzesse und mit viel einheimischem Personal, als wohltuender Gegensatz zum überhitzten Weltfussball.
Nein, auch als Schweizer Liga muss man über den Tellerrand schauen. Damit meine ich nicht, den Topligen nachzueifern. Dänemark, Österreich, Norwegen, Belgien – das sind die Länder, mit denen wir mithalten müssen. Man darf eines nicht vergessen: Die Schweiz ist das teuerste Land Europas, das spüren auch die Fussballklubs. Von 20 Franken für ein Eintrittsticket bleiben dem Heimklub vielleicht noch 3. Und in welchem Land müssen Vereine für einen Fussballer ohne Schweizer oder EU-Pass 4500 Franken Mindestlohn bezahlen?
These 6: Während der Saison 2015/16 wechselten 24 Fussballer aus der Super League in eine der fünf europäischen Topligen, in der laufenden Spielzeit acht. In der Saison 2016/17 stellte die Schweiz mit 25 Spielern die grösste Söldner-Gruppe in der Bundesliga. Heute liegen wir mit zwölf Spielern auf Rang 5, hinter Kroatien. Beide Statistiken sind Beweis für die gesunkene Qualität in der Super League.
Ich bin sicher und weiss auch durch meine Kontakte, dass Schweizer Spieler im Ausland weiterhin sehr begehrt sind. Aber es gibt ein Problem: Die Tendenz geht leider dahin, dass die sogenannten Topspieler in der Super League sich im Ausland nicht mehr restlos durchsetzen. Für mich ist ein guter Spieler, wer vom FC Zürich etwa zu Mainz 05 wechselt und dort nach einem halben Jahr Stammspieler ist. Solche Beispiele gibt es immer seltener. Und das wiederum kann die Scouts und Sportchefs in den Topligen abschrecken. Weil sie dann den Fokus auf Länder richten, deren Talente sich schnell in einer Topliga zurechtfinden.
Es gibt für die Super League keine Alternative, als eine Ausbildungsliga zu sein. Aber weil Transfers für die Klubs neben dem Europacup mittlerweile fast die einzige lukrative Einnahmequelle sind, werden junge Spieler manchmal zu früh in eine Rolle versetzt, die sie altershalber gar noch nicht einnehmen können.

Bild: Toto Marti/Freshfocus / Blick
These 7: Früher gab es Gedankenspiele, ob der FC Basel oder YB in der Bundesliga um die Champions-League-Plätze mitspielen könnten. Vom aktuellen Leader-Quartett wäre in Deutschland jeder ein Abstiegskandidat.
Das ist eine reine Spielerei. Man passt sich immer auch dem Niveau der Konkurrenz an – und das ist in der Bundesliga nun mal höher. Ja, unsere Mannschaft damals beim FC Basel hätte in der Bundesliga wohl im oberen Drittel mithalten können, aber wir hatten auch einen einmaligen Mix aus Qualität und Leadership. Führungsfiguren, die alle um sie herum besser machen, sind selten geworden – darauf sollte man in Zukunft wieder vermehrt ein Augenmerk legen.