Ein krummes Ding: Ein zweimal abgefälschter Schuss bringt Frankreich in die Viertelfinals
Was war das für ein krummes Ding! Als die Verlängerung nah war. Als sich das Patt auf dem Rasen einfach nicht auflösen wollte. Da fiel die Entscheidung doch noch zugunsten von Frankreich. Randal Kolo Muani, der Mitte der zweiten Halbzeit eingewechselte Stürmer, schoss in der 85. Minute aus der Drehung aus halbrechter Position. Erst streifte der Schuss sein eigenes Standbein, dann lenkte Belgiens 37-jähriger Captain Jan Vertonghen den Ball ins eigene Tor. 1:0
Es war erst der dritte Treffer in diesem Turnier für die Franzosen, für viele der grosse Favorit auf den Titel. Und es war das zweite Eigentor, neben einem Treffer mittels Foulpenalty durch Kylian Mbappé im letzten Gruppenspiel gegen Polen. Und dies sagt eben doch viel aus über die Art, wie der WM-Zweite von Katar durch diese EM stolpert. Vielleicht ist es Pragmatismus, vielleicht Minimalismus. Sicher aber ist es nicht begeisternd, was die Truppe von Trainer Didier Deschamps in Deutschland bislang zeigt.
Mit gebrochener Nase und Maske kämpft Mbappé um seine Form
Das hat auch viel mit Mbappé zu tun. Im ersten Spiel gegen Österreich brach er sich das Nasenbein. Danach fehlte er gegen die Niederlande, kam gegen Polen zurück und mühte sich nun gegen tief stehende Belgier mehr schlecht als recht ab. Er ist durch die Verletzung und die Maske im Gesicht nicht der Mbappé der besten Tage. Kann er nicht sein. Gegen Belgien etwa dauerte es bis kurz vor der Pause, bis er sich erstmals mit einem Rush in Szene setzen konnte. Und als er erstmals gefährlich zum Abschluss kam, waren schon 54. Minuten gespielt.
Auch deshalb entwickelte sich die Partie während der gesamten Spielzeit nicht so, wie es sich die Zuschauer, ob Fans oder neutral eingestellte, gewünscht hatten. Die Affiche versprach ein Spitzenspiel. Zumal, wenn man auf das Fifa-Ranking schaute, wo Frankreich als Nummer 2 und Belgien als Nummer 3 geführt werden.
Doch um die Entwicklung dieses Achtelfinals auf dem Rasen besser vorherzusehen, lohnte sich eher der Blick in die Gruppenphase. Da schossen beide Teams in drei Spielen bloss zwei Tore, kassierten aber eben auch nur je einen Gegentreffer. «Safety first» hiess allenthalben die Devise. Die belgische Defensive etwa blieb vor dem Eigentor Vertonghens 348 Minuten ungeschlagen.
Am Ende waren die Franzosen der richtige Sieger. 20:5 Torschüsse dokumentierten dann doch, dass sich «Les Bleus» mehr für den Sieg interessierten. Entsprechend analysierte auch Deschamps: «Wir sind verdient weiter. Wir hatten einige gute Chancen herausgespielt, nicht zu viele, aber doch mehr als der Gegner. Nur fehlte uns auch in diesem Spiel ein wenig die Effizienz», sagte er gegenüber dem französischen TV.
Belgien spielte zu lange zu vorsichtig
Die Belgier lobte Deschamps als «starken, lästigen Widersacher, der nicht viel zugelassen» habe. Doch die Belgier waren nur in der eigenen Zone auf dem Niveau des Mitfavoriten, als der sie seit zehn Jahren an jedes Turnier fahren. In der gegnerischen Hälfte fehlte es indes an Ideen, an Power, an Tempo. Und an einem Kevin de Bruyne, der sich öfters in den Abschluss wagte.
Im zentralen, defensive Mittelfeld war der Star von Manchester City zwar die ordnende Hand des belgischen Spiels, doch strahlte er für die gegnerische Defensive auf dieser Position keine Gefahr aus. Ausser einmal, als er sieben Minuten vor dem Ende aus 16 Metern frei zum Schuss kam, sein Abschluss aber unpräzise war. Es war der verpasste Lucky Punch der Belgier.
De Bruyne traf also nicht, Kolo Muani zwei Minuten später unter Mithilfe von Vertonghen schon, und so stehen die Franzosen mit 3:1 Toren in der Runde der letzten acht, «das Einzige, was im Moment zählt», wie Deschamps festhielt. Sie setzten mit dem Sieg gegen Belgien eine eindrückliche Bilanz fort. Seit dem verlorenen EM-Final 2016 gegen Portugal hat Frankreich nun in 22 WM- oder EM-Endrundenspielen nicht mehr nach 90 oder 120 Minuten verloren. Niederlagen gab es nur im Penaltyschiessen gegen die Schweiz im EM-Achtelfinal vor drei Jahren und gegen Argentinien im WM-Final 2022 in Katar.
Es waren Spiele, welche zuvor 3:3 geendet hatten, Spiele die vogelwild waren. Die Franzosen in ein solches Duell mit offenem Visier zu verwickeln, wäre vielleicht das richtige Rezept. Die Belgier waren in Düsseldorf weit entfernt, davon Gebrauch zu machen.