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Reizfigur, Schauspieler, T-Rex: Wer ist Jordan Pickford?

Mit provokanten Psychospielchen avancierte Jordan Pickford zur Hassfigur der Schweizer Fans. Seine Rolle als Showman ist nichts Neues und könnte ihn zur absoluten Goalie-Legende in England machen.

Unvergessen ist diese Szene. Zunächst lässt Pickford Manuel Akanji am Elfmeterpunkt lange warten, holt erst noch seine Trinkflasche mit dem Spickzettel und sein Handtuch. Dann hält er den Penalty des Schweizer Abwehrpatrons und stolziert mit dem Ball in der Hand – anmutend wie ein Gockel – zu Jude Bellingham, Englands nächstem Schützen.

Und weiter gehen die Psychospielchen des Jordan Pickford. Vor dem nächsten Schweizer Penalty reisst er seine Augen weit auf, schneidet Grimassen und versucht so, Fabian Schär aus dem Konzept zu bringen. Dieser verwertet aber souverän. Mit seinem Verhalten während des Penaltyschiessens macht sich Pickford zur Hassfigur der ganzen Schweiz. Sascha Ruefer wettert noch während des Elfer-Dramas: «Einer der unfairsten Goalies, die ich kenne, dieser Pickford.»

Jordan Pickford: der Schauspieler

Doch wer Jordan Pickford kennt, der weiss: Die englische Nummer 1 ist nicht nur «der unfaire Goalie» während des Penaltyschiessens, sondern das Schauspiel ist Teil der Person Pickford. Der 30-Jährige feiert seine Paraden jeweils frenetisch und lässt sich auch gern mal auf ein Spielchen mit dem Gegner ein.

Um dies zu sehen, müssen wir nur ein paar Minuten zurück im Spiel Schweiz gegen England. Nachdem Shaqiri Pickford in der 117. Minute fast mit einem direkten Eckball erwischt und nur das Lattenkreuz die Engländer rettet, gibt es vom englischen Schlussmann den Daumen hoch und ein Augenzwinkern für den Schweizer Zauberwürfel. «Es hilft mir, den Fokus zu behalten», sagt Pickford selbst über seine Grimassen und Mätzchen.

So marschiert Jordan Pickford zu Jude Bellingham nach seinem gehaltenen Elfmeter gegen Manuel Akanji.
Bild: Ronald Wittek/epa

Wenn er nicht gerade eine seiner Paraden bejubelt oder in Fangesänge einstimmt, dann schreit der englische Nati-Goalie auch gern mal seine Mitspieler an und fuchtelt wie wild mit den Händen herum. Auf dem Platz sei Pickford «einfach nur verrückt», sagt sein Everton-Teamkollege James Tarkowski in Ben Fosters Podcast: «Er ruft ständig meinen Namen und dann bellt er mich einfach an, dass ich jemand anderen anbellen soll.» Aber das sei einfach Pickfords Enthusiasmus fürs Spiel, meint Tarkowski: «Neben dem Platz ist Jordan viel ruhiger.»

Und der Schauspieler Jordan Pickford ist bei seinen Fans beliebt. Die Everton-Fans lieben ihren «Pickers», und auch die England-Fans im Stadion feiern ihn, wenn er wieder die Stimmung anheizt. Klar ist: Wenn Pickford spielt, ist für Unterhaltung gesorgt.

Jordan Pickford: der Treue

Jordan Lee Pickford, wie er mit vollem Namen heisst, ist in Washington im Nordosten Englands geboren. Sein Vater Lee arbeitete als Bauarbeiter, seine Mutter Susan war Haushälterin. Ursprünglich hiess sein Vater noch «Pigford», liess den Namen aber ändern, weil er immer wieder als «Schweinchen» betitelt wurde und seinen Kindern dies ersparen wollte.

Jordan Pickford war schon als Kind Fan des AFC Sunderland und schloss sich mit acht Jahren der Akademie der «Black Cats» an. Er durchlief alle Jugendteams, bis er 2012 zum ersten Mal an den FC Darlington ausgeliehen wurde. Für Darlington bestritt er im zarten Alter von 17 Jahren seine ersten Profispiele in der National League. In den kommenden vier Jahren wurde Pickford weitere fünf Mal ausgeliehen und bestritt unter anderem Spiele für Burton Albion in der League Two oder Preston North End in der Championship.

Im Januar 2016 gab Jordan Pickford schliesslich sein Premier-League-Debüt für Sunderland und hatte damit mit 21 Jahren schon in jeder der fünf höchsten Ligen Englands gespielt. In der Saison 2016/17 setzte sich Pickford dann als Stammkeeper der «Black Cats» durch und spielte 29 Spiele in der Premier League. Sunderland zog kein gutes Jahr ein und stieg auf dem 20. Platz in die Championship ab. Dies schreckte Everton nicht ab, das für Jordan Pickford 25 Millionen Pfund hinlegte, was ihn bis heute zum teuersten englischen Torhüter aller Zeiten macht.

Und Pickford zahlte das Vertrauen zurück, das Everton in ihn gesteckt hatte. Seit über sieben Jahren spielt er mittlerweile für die «Toffees» und ist zum absoluten Fanliebling und Captain avanciert. Pickford ist also kein «Journeyman», wie man auf der Insel Spieler nennt, die ständig ihre Klubs wechseln.

Pickford mit den T-Rex-Ärmchen

Von den Everton-Fans wird «Pickers» geliebt und auch von den englischen Fans wird er nach dem Viertelfinal gegen die Schweiz gefeiert. Aber das war nicht immer so. Nach der 1:2-Niederlage gegen Frankreich im Viertelfinale der WM 2022 wird Pickford kritisiert, weil er nicht an den Schuss von Tchouaméni zum 0:1 kommt. Er hätte zu kurze Arme – Ärmchen wie ein T-Rex – lautet der Vorwurf.

Es ist nicht das erste Mal, dass Jordan Pickford wegen seiner Grösse kritisiert wird. Mit 1,85 Metern ist er ein eher kleiner Goalie, und das nutzten Fans der Rivalen aus der Premier League auch schon in der Vergangenheit, um ihn zu verspotten. Im Internet gibt es zahlreiche Memes, die Pickford mit abnormal kurzen Armen darstellen oder seinen Kopf auf den Körper eines T-Rex setzten. Fans von Newcastle United – dem grossen Rivalen von Pickfords Jugendklub Sunderland – zeigen sich bei Spielen gegen Everton gerne mit aufblasbaren T-Rex-Puppen.

Aber Pickford kann eben gut mit Kritik umgehen, was einer der Gründe ist, die ihn zu einem so guten Torhüter für die englische Nationalmannschaft machen. «Als Englands Nummer 1 kriegst du immer Kritik. Es geht darum, wie du damit umgehst», wie er selbst sagt.

Jordan Pickford: der nächste grosse England-Goalie

22 Mal stand Pickford an einer EM oder WM im Tor für England, so häufig wie keiner seiner Vorgänger. In drei Duellen vom Punkt parierte er vier von 14 Penaltys. Alle Goalies, die zwischen 1990 und 2012 im englischen Tor standen, kommen auf zwei gehaltene Schüsse bei 36 Versuchen der Gegner. Diese Werte zeigen, dass Pickford für England – auch wenn er manchmal kritisiert wird – ein sicherer Wert ist zwischen den Pfosten. Etwas, auf das die Engländer seit über 30 Jahren warten.

Früher, mit Gordon Banks und Peter Shilton, konnte England auf zwei Torhütergrössen ihrer Zeit zählen. Banks war der Weltmeister-Goalie 1966, beim bislang einzigen Triumph der Engländer an einer Endrunde. Peter Shilton ist Englands Rekordspieler und hat 125 Spiele für die «Three Lions» auf dem Buckel. Nach der WM 1990 – Peter Shiltons letztem Turnier – hatte England ein Goalieproblem. Die englischen Torhüter wurden ab da meist wegen ihrer Patzer verhöhnt anstatt für ihre Paraden gefeiert.

David Seaman kann dem Ball von Ronaldinho nur noch hinterherschauen.
Bild: Keystone

Unvergessen ist Ronaldinhos Freistosstor aus 35 Metern über David Seamans Rossschwanz hinweg. Der Stellungsfehler des englischen Schlussmanns besiegelte das Viertelfinal-Aus der Engländer an der WM 2002. Oder da war noch Robert Greens Aussetzer, als er an der WM 2010 in Südafrika den Schuss von Clint Dempsey – den man auch als Rückpass werten könnte – ins Tor kullern liess. Auch wenn Jordan Pickford nicht von Kritik befreit ist, bringt er doch die Konstanz und Sicherheit ins englische Tor zurück, die während drei Jahrzehnten fehlte.

Und sollte Englands goldene Generation nun doch endlich den ersten Titel seit 1966 nach Hause bringen, dann werden die englischen Fans nebst «Football’s Coming Home», auch Jordan Pickfords Namen singen.

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