
«Er ist der legitime Nachfolger von Shaqiri»: Warum die Schweizer Nati trotzdem um Supertalent Sanches zittert
Nervös scheint er, freundlich lächelnd ist er – und schmächtig. Als Alvyn Sanches diese Woche erstmals als A-Nationalspieler zu den Medien spricht, fragt man sich im ersten Moment: Und das soll der künftige Unterschiedsspieler der Schweizer Fussballnati sein?
Davon, dass es so kommen wird, ist zumindest Stéphane Henchoz überzeugt. Der ehemalige Topverteidiger im Nati-Trikot und in der Premier League und heutige Sportchef bei Lausanne-Sport sagte kürzlich: «Xherdan Shaqiri ist der beste Spieler hinter den Spitzen, den die Schweiz je hatte. Wenn man ein ähnliches Profil sucht, dann gibt es nur Alvyn Sanches. Er ist der legitime Nachfolger von Shaqiri.»
Okay, Henchoz hat als Sportchef von Sanches’ Arbeitgeber ein Interesse daran, den Spieler im kommenden Sommer für möglichst viel Geld zu verkaufen. Darum macht er ihn grösser, als er vielleicht je sein wird. Aber Henchoz ist bei weitem nicht der Einzige, der Lobeshymnen auf den 22-Jährigen singt. «Phänomenal», sagen die einen, «Jahrhunderttalent», die anderen.
Ruben Vargas, 50-facher Nationalspieler, sagt: «Seine ausserordentliche Ballbehandlung fällt sofort auf.» Isaac Schmidt, wie Sanches Nati-Neuling, vier Jahre älter und ein enger Freund seit dem gemeinsamen Aufwachsen in einem Lausanner Quartier, sagt: «Ich stand als Zwölfjähriger mit einem Kollegen auf dem Fussballplatz, als wir einer Gruppe Achtjähriger sagten: Ihr alle gegen uns! Wir dachten, wir gewinnen locker 10:0. Aber es kam anders. Wegen Alvyn. Krass, wie gut er damals schon war!»
Sicher ist nur: Im Sommer wird Sanches Lausanne-Sport verlassen
Sanches hat sich in dieser Saison ins Rampenlicht gespielt. Er hat grossen Anteil daran, dass Lausanne-Sport in der Winterpause als Geheimfavorit auf den Meistertitel galt, ehe der Einbruch folgte. Er hat in 28 Spielen 12 Tore geschossen. Das ist auf dem Papier eine starke Bilanz für einen, der nicht nur vorne auf den Ball wartet, sondern auch wertvolle Defensivarbeit leistet.
Gepaart mit seiner spektakulären wie eleganten Spielweise weckt das Fantasien. Wie den Shaqiri-Vergleich. Oder bei den Fans von Lausanne-Sport, die sicher sind: Ihr Alvyn Sanches könnte schon heute Stammspieler bei einem englischen Topklub sein. Newcastle United soll interessiert sein.
Sicher ist nur: Sanches wird im Sommer den Verein wechseln. In Richtung Ausland. Das bestätigt er. Wohin? «Ich weiss es noch nicht. Das Projekt muss stimmen.» Er nennt Spanien als Wunschziel, Frankreich und Deutschland seien auch interessant. Zur englischen Premier League sagt er: «Dieser Schritt wäre wohl zu gross.»

Bild: Toto Marti/Freshfocus
Das zeugt von einer vernünftigen Selbsteinschätzung. Und die ist wichtig: Denn was, abgesehen von finanzieller Sicherheit, bringt es ihm und der Schweizer Nationalmannschaft, wenn er bei einem Klub mit klingendem Namen einen gut dotierten Vertrag unterschreibt? Sanches sagt: «Der Schritt darf nicht zu gross, aber auch nicht zu klein sein. Ich muss spielen und gleichzeitig besser werden.» Letzteres kann er in der Schweiz kaum mehr.
Die Unterschiede zwischen Shaqiri und Sanches
Rund zehn Millionen Franken muss sein künftiger Arbeitgeber im Sommer wohl hinblättern. Man könnte meinen, das sei wenig für einen, der mit Shaqiri verglichen wird. Nur: Shaqiri war zwei Jahre jünger und hatte bereits zwölf Champions-League-Spiele in den Beinen, als er 2012 als dreifacher Schweizer Meister vom FC Basel zu Bayern München wechselte. Sanches kann bis dato 74 Einsätze in der Super League vorweisen. Europacup-Spiele? Null.

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Darum wagen Skeptiker in der Branche noch keine Prognose, wie weit nach oben der Weg führen wird. Weil das Niveau in der Super League inzwischen viel tiefer sei. An seinen technischen Qualitäten und seiner Spielintelligenz hegt niemand Zweifel. Vielmehr daran, ob Sanches sich im Spitzenfussball physisch behaupten wird.
Ein erster Hinweis darauf könnte das Spiel der Schweizer Nati am Freitagabend in Nordirland geben. Abwehrhünen wie jene im Team der Nordiren sind Neuland für ihn. Auch interessierte Klubs werden seine ersten Schritte im A-Nationalteam aufmerksam verfolgen.
Und nicht zuletzt die Verantwortlichen beim portugiesischen Verband: Sanches ist in Frankreich als Sohn von Portugiesen geboren. Kurz darauf ist die Familie nach Lausanne gezogen, Schweizer ist er seit dem siebten Lebensjahr. Doppelbürger Sanches sagt: «Shaqiri ist mein Vorbild, seit ich in meiner Jugend die Schweizer Nati verfolgt habe. Ich bin mit dem Kopf bei der Schweiz.»
Der Haken an der Sache ist: Erst ein Pflichtspiel im Nati-Trikot macht die Tür nach Portugal zu. Doch ein solches findet erst im September wieder statt. Sollte Sanches im Sommer nach dem Wechsel in eine Topliga sofort überzeugen, wird Portugal sich bestimmt bei ihm melden. Ob er dann mit Sicherheit absagen würde? Auf diese Frage hin grinst Sanches breit – und sagt: «Ich bin zufrieden, hier zu sein.»