
Schwere Kost im ersten Spiel des Jahres: Die Schweizer Nati müht sich auswärts gegen Nordirland zu einem Remis
Vom Treffen mit Stefan Gartenmann an dessen Arbeitsort Budapest kam Murat Yakin beeindruckt zurück in die Schweiz. Noch nie habe sich ein Spieler ihm gegenüber so ehrlich selber eingeschätzt. So habe Gartenmann eingestanden, zwar ein harter Verteidiger und guter Kommunikator zu sein, aber sicher nicht der Schnellste. Diese Beschreibung über sich selbst wiederholt der 28-Jährige diese Woche vor den Medien. Und jetzt, nach seinem ersten Einsatz im Trikot der Nationalmannschaft, tönt das rückblickend wie eine Ankündigung.
Nach einer Viertelstunde verschätzt sich der Ferencvaros-Profi bei einem weiten Pass der Nordiren übel und weiss sich kurz vor dem Strafraum nur mit einem Foul zu helfen. Aus dem folgerichtigen Freistoss entsteht das 1:0 für die Hausherren durch Isaac Price. Und Gartenmanns viele Ballkontakte und ansprechende Spielauslösung bis dahin sind plötzlich nicht mehr viel wert – weil Stellungsspiel im Pflichtenheft eines Verteidigers nun mal höher gelistet ist.
Wie viel Wert Yakin auf den Aussetzer Gartenmanns legt und ob der Innenverteidiger tatsächlich zur ernsthaften Alternative in der Nati-Abwehr taugt, wird sich zeigen. Fakt ist: Gartenmann und Nebenmann Cédric Zesiger können das Fehlen von Abwehrpatron Manuel Akanji nicht kompensieren.
Und das gilt mindestens genauso, und ist keine neue Erkenntnis, auch fürs zentrale Mittelfeld: Dort fehlt Granit Xhaka, wegen der Geburt seines dritten Kindes nicht im Aufgebot, an allen Ecken und Enden. Das Schweizer Angriffsspiel kommt gegen tief stehende Nordiren überhaupt nicht auf Touren, trotz jederzeit über 80 Prozent Ballbesitz. Die Flügel Dan Ndoye und Ruben Vargas sind neutralisiert – und Zielspieler Breel Embolo, wegen Xhakas und Akanjis Abwesenheit erstmals Captain, hängt komplett in der Luft.

Bild: Peter Morrison / AP
Es kann keine andere Meinung geben: Das 1:1 zur Pause ist aus Schweizer Sicht schmeichelhaft. Gegen einen Gegner, in dessen Startelf nur ein Spieler aus einer höchsten Liga steht – Paddy McNair vom US-Klub San Diego. Doch es sind die Nordiren, die nach einem weiteren Lapsus in der Nati-Abwehr dem 2:0 näher stehen als Yakins Team dem Ausgleich. Diesen erzielt dann aber Vincent Sierro in der 29. Minute nach einem Rodriguez-Eckball per Kopf. Es ist das erste Länderspieltor des Toulouse-Captains und für ihn ein persönliches Erfolgserlebnis.
Das Casting und die Kunst des Trainers
Abgesehen von den drei Chancen und zwei Toren ist in den ersten 45 Minuten in Belfast nicht viel los. Das durfte erwartet werden in einem Duell, in dem ausser einem WM-Qualifikationsspiel im Jahr 1964 nie mehr als zwei Tore gefallen sind. Und bei allem Tadel für das Schweizer Angriffsspiel: Der Sand im Getriebe ist neben der Defensivausrichtung Nordirlands auch den fehlenden Automatismen geschuldet.
Neben Gartenmann steht mit Rechtsverteidiger Isaac Schmidt ein zweiter Debütant in Yakins Startelf. Und mit Sierro, Denis Zakaria und Michel Aebischer ein Mittelfeld, das so noch nie zusammengespielt hat.

Bild: Toto Marti / Blicksport
Yakin hat ja in weiser Voraussicht den März-Zusammenzug mit den Spielen gegen Nordirland und Luxemburg (Dienstag in St. Gallen) als «Casting» bezeichnet. Es ist die Kunst eines Trainers, aus zwei sportlich bedeutungslosen Testspielen Erkenntnisse für die im September beginnende Qualifikation für die WM 2026 zu ziehen.
Nati ist nun seit acht Spielen sieglos
In der zweiten Halbzeit nimmt Yakins Casting mit der Einwechslung der nächsten Debütanten Alvyn Sanches (Lausanne-Sport) und Lucas Blondel (Boca Juniors) seinen Lauf. Insgesamt sind somit nun seit dem Amtsantritt des Nati-Trainers vor knapp vier Jahren 25 neue Nationalspieler geboren.
Besserung bringen die Einwechslungen während der Partie keine. Am Ende steht das nüchterne Fazit: Seit der EM bietet die Schweizer Nati schwere Kost. Und ist jetzt seit satten acht Spielen sieglos.