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33 Jahre ukrainische Demokratie: Unser Kampf um die Existenzberechtigung

Am 24. August feiert die Ukraine unter schwierigsten Bedingungen ihren Unabhängigkeitstag. Die Botschafterin in Bern schreibt über die Herausforderungen für das von Russland angegriffene Land – und über die Rolle der Schweiz.

Das Zeitalter von Jesus Christi ist für die Ukraine voll von Bewährungsproben. Mein Staat trägt sein eigenes Kreuz: Die Besten sterben auf dem Schlachtfeld, um das Land zu retten. Aber dieses Kreuz ist gleichzeitig ein Schild der Sicherheit für Europa.

Fast ein Drittel ihrer modernen Geschichte hat die Ukraine gegen den Aggressor gekämpft. Der Krieg seit 2014 und der grosse Krieg seit 2022 haben die Vorstellung der Ukrainer über die Sicherheit im 21. Jahrhundert verändert. Im Zeitalter der Hochtechnologie und der globalen Demokratie ist das Leben unter ständigen barbarischen Angriffen des Feindes zu unserer Realität geworden.

Leider bleibt die Frage des Friedens genauso akut wie in den vergangenen Jahrhunderten. Das Römische Statut war seinerzeit eine Revolution im Völkerrecht. Es erklärte den Krieg zu einem Verbrechen der Aggression. Staaten, die sich als rechtmässig und demokratisch bezeichnen, verpflichten sich zu Prävention, Schutz und Bestrafung.

Die Schweiz unterzeichnete das Römische Statut 1998 und ratifizierte es 2001. Seither haben Diskussionen über Neutralität in Bezug auf den Krieg aufgehört zu existieren, da «Krieg» in den Verpflichtungen der Eidgenossenschaft mit dem «Verbrechen der Aggression» gleichzusetzen ist. Als ein Land mit hoher Rechtskultur ist die Schweiz verpflichtet, alles zu tun, um das Verbrechen zu stoppen und die Täter zu bestrafen.

Niemand kann gleichgültig bleiben, wenn Russland am helllichten Tag ein Einkaufszentrum zerstört und 14 Menschen tötet, darunter drei Mädchen. Am 9. August führte der Aggressor einen Luftangriff auf einen Supermarkt in Kostjantiniwka durch. Am 25. Mai schoss Russland Bomben auf einen Baumarkt in Charkiw, wobei 19 Menschen getötet wurden. Bei einem Raketenangriff am 8. Juli starben rund fünfzig Menschen, 33 davon in Kiew. Sogar das grösste Kinderkrankenhaus, Okhmatdit, wurde Ziel dieses Luftangriffs.

All dies sind Kriegsverbrechen, die Russland ununterbrochen begeht. Jeden Tag zählen wir Opfer des Serienmordplans. Der ukrainische Kalender ist voll von tragischen Daten. Der Krieg ist sowohl an der Front als auch im Hinterland schwierig. Die ukrainischen Verteidiger kämpfen hart um jedes Dorf und jede Stadt. Jeder Abschnitt der Frontlinie erfordert weltweite Unterstützung in Form von Waffen und Technologie.

Wir haben bereits die ersten F16. Partner stärken unsere Luftverteidigung und schützen Leben. Aber wir haben noch keine Erlaubnis für Angriffe aus grosser Entfernung, um das zu zerstören, was der Feind auf unser Volk abzielt. Aus diesem Grund muss auch die Ukraine im Dunkeln leben, da Russland einen wesentlichen Teil unserer Energieinfrastruktur zerstört hat.

Trotz Massenmobilisierung werden im Krieg immer Menschen gebraucht. Ebenso werden sie im Hinterland benötigt, um die Wirtschaft voranzutreiben. Millionen unserer Menschen haben in der ganzen Welt Zuflucht gefunden, darunter mehr als 66’000 in der Schweiz. Dafür sind wir unendlich dankbar.

Alle Ukrainerinnen und Ukrainer in der Ukraine und im Ausland eint der Wunsch nach Sieg und Frieden. Und wir wissen, wie wir das sehen – so steht es in Präsident Selenskis Friedensformel. Diese Synergie ist das Ergebnis des ersten Friedensgipfels, der von der Schweiz ausgerichtet wurde.

Vor jedem Jahrestag der Unabhängigkeit ziehen wir in der Ukraine Bilanz. Jetzt haben wir mehr Kummer und Herausforderungen, aber auch mehr Gründe, stolz zu sein: Trotz allem sind wir unabhängig, stark und gehen voran. Unsere Ziele sind grösser: die Tyrannei zu stoppen, zu gewinnen, Frieden zu schaffen, Gerechtigkeit zu erreichen und den Aggressor zur Verantwortung zu ziehen.

Wir sind der Schweiz für ihre Partnerschaft dankbar. Hier wurden entscheidende Initiativen zur Unterstützung der Ukraine gestartet. 2022 fand in Lugano die Internationale Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine statt. Die Schweiz ist auch bereits in die Geschichte eingegangen: mit der Organisation des ersten Friedensgipfels.

Der Bund ist führend in der humanitären Minenräumung in der Ukraine. Die Regierung stellte fast 100 Millionen für die Beseitigung der Kriegsspuren bereit. Übrigens wurden Mitarbeiter der Schweizer Stiftung für Minenräumung (FSD) diesen Sommer ebenfalls Opfer eines weiteren russischen Kriegsverbrechens – der Aggressor schlug ihr Büro in Charkiw mit einer Rakete ein.

Die Ukraine und die Schweiz sind sich sehr ähnlich: Auch in meinem Land gibt es eine Vielfalt von Mentalitäten, Sprachen und Kulturen, aber wir sind alle eine Nation. Die Schweiz ist für uns ein tolles Beispiel. Die beste Armee der Welt zu werden – dazu zwingt uns in der Ukraine allerdings der nördliche Nachbar.