Erinnern, um zu handeln – der Holocaust-Gedenktag vom 27. Januar als Mahnung und Verpflichtung
Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz von der Roten Armee befreit. Die Bilder der Überlebenden, der Berge von Schuhen und Koffern sowie der kalten Infrastruktur des Massenmords stehen bis heute für das dunkelste Kapitel europäischer Geschichte. Der Internationale Holocaust-Gedenktag ist mehr als ein Moment des Innehaltens – er ist eine Verpflichtung für unsere Gegenwart. Denn Erinnern ist kein Selbstzweck.
Es ist eine aktive Handlung gegen das Vergessen – und gegen das Wiederholen. In einer Zeit, in der antisemitische Verschwörungstheorien sich ausbreiten, Synagogen unter Polizeischutz stehen und Jüdinnen und Juden ihre Zukunft in Europa infrage stellen, trägt unsere Gesellschaft eine besondere Verantwortung. Diese beschränkt sich nicht auf das jährliche Gedenken, sondern erfordert entschiedenen Einsatz gegen Antisemitismus, Rassismus und jede Form von Menschenfeindlichkeit.
Antisemitismus-Meldestelle reicht nicht
Antisemitische Straftaten nehmen europaweit zu – oft unter dem Deckmantel politischer Debatten oder vermeintlicher Systemkritik. Dies darf nicht unbeantwortet bleiben. Die Schweiz muss sich als wehrhafte Demokratie begreifen, die jede Form der Judenfeindlichkeit konsequent ächtet. Mit derAntisemitismus-Meldestelle im Kanton Aargauwurde ein wichtiger Schritt gesetzt, doch staatliches Handeln allein reicht nicht. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten und daraus Konsequenzen zu ziehen.
Der Kanton Aargau trägt eine besondere historische Verantwortung. Als «Wiege des Judentums» in der Schweiz war er über Jahrhunderte eine zentrale Heimat jüdischer Gemeinden. Orte wie Endingen und Lengnau stehen für diese lange und oft schwierige Geschichte. Jüdische Gemeinden haben wesentlich zur wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklung beigetragen. Antisemitismus ist daher nicht nur ein Angriff auf eine Minderheit, sondern auf unser gemeinsames Erbe und unsere demokratischen Werte.
Holocaust muss ein Thema in den Schulen sein
Eine besondere Verantwortung kommt auch den Schulen zu. Die Vermittlung von Wissen über den Holocaust muss in den Lehrplänen verankert bleiben. Junge Menschen müssen verstehen, wie Ausgrenzung und Hass funktionieren, um eine verantwortungsbewusste Gesellschaft zu gestalten. Schulen sollten nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch Werte wie Empathie und kritisches Denken fördern. Geschichtsunterricht, Zeitzeugenberichte und Gedenkstättenbesuche sind essenzielle Bausteine dieser Erinnerungsarbeit.
Erinnern heisst auch, die Mechanismen zu verstehen, die zur Schoah führten. Es waren nicht nur die Täter, die den Holocaust möglich machten, sondern auch die schweigende Mehrheit, die wegsah oder sich durch Anpassung mitschuldig machte. Der Holocaust war kein historischer Unfall, sondern das Ergebnis eines jahrelangen Prozesses der Entmenschlichung. Diese Erkenntnis muss uns heute wachsam machen. Die Normalisierung von Hass, die Verharmlosung von Hetze und die Spaltung der Gesellschaft in «wir» und «sie» sind Entwicklungen, denen wir entgegentreten müssen.
Der 27. Januar ist mehr als ein Tag des Gedenkens – er ist eine Mahnung und ein Aufruf zum Handeln. Erinnern bedeutet, Verantwortung zu übernehmen: für unsere Demokratie, für den Schutz von Minderheiten und für eine solidarische Gesellschaft. Der Kampf gegen Antisemitismus ist ein Kampf für unsere gemeinsamen Werte. Lassen wir nicht zu, dass «Nie wieder» zu einer leeren Floskel wird.