Rehabilitierung der Strassen: Investitionen gegen Staus sind unabdingbar
Sollten Herr und Frau Schweizer wieder wie zu Gotthelfs Zeiten Wasser am Brunnen holen, um nachhaltiger zu leben? Wie die meisten Länder mit guter Infrastruktur hat die Schweiz einen relativ hohen Wasserverbrauch. Um ihn zu reduzieren, könnte man technische Massnahmen ergreifen, zum Beispiel sparsamere Toilettenspülungen oder sparsamere Wasserhähne einbauen. Ein Rückbau der Infrastruktur und die Rückkehr zum täglichen Gang zum Brunnen wäre aber am effektivsten.
Der Gedanke mag absurd klingen. Im Prinzip ist er aber politisch schon lange völlig salonfähig geworden. In der Verkehrspolitik wurde das Mantra «Wer Strassen sät, wird Verkehr ernten» über Jahre gebetsmühlenartig wiederholt. Das klingt gut, fast schon poetisch. Und es suggeriert einfache Zusammenhänge: Wenn wir nur endlich auf das Strassenbauen verzichten, werden sich Verkehrsprobleme von selbst lösen. Die Realität ist leider etwas komplexer.
Um den Zusammenhang von Infrastruktur und Verkehrsaufkommen besser zu verstehen, lohnt sich der Blick auf den langfristigen Trend: Von 1990 bis 2019 hat die Schweiz ihre Wirtschaftsleistung etwa verdreifacht. Die Bevölkerung ist um einen Drittel gewachsen. Der öffentliche Verkehr befördert pro Jahr rund 2 Millionen mehr Passagiere. Und auch der Verkehr auf Nationalstrassen hat um satte 130 Prozent zugenommen.
Das Nationalstrassennetz ist derweil umetwa 24 Prozent gewachsen. Sein Anteil an der gesamten Strassenfläche der Schweiz beträgt 3 Prozent. Solche Zahlen lassen daran zweifeln, dass gute Infrastruktur die Wurzel all unserer Verkehrsprobleme ist. Dafür zeigen sie umso deutlicher, dass wir gezielt investieren müssen. Das Fundament unseres Verkehrssystems muss mit der Zeit gehen.
Strasse und Bahn ergänzen sich
Gegen dringend nötige Investitionen in die Nationalstrassen wurde – trotz deutlicher Zustimmung des Parlaments – das Referendum ergriffen. Die Absicht ist klar: Man will den Leuten das Autofahren vergraulen, indem man die Infrastruktur an neuralgischen Punkten verlottern lässt. Das ist nicht nur zynisch, sondern funktioniert auch nicht, wie man heute bereits feststellen kann. In den letzten zehn Jahren hat die Fahrleistung auf Nationalstrassen nämlich nur noch moderat zugenommen,um rund 5 Prozent. Die Staustunden haben sich im gleichen Zeitraum verdoppelt.
Die Infrastruktur ist also so stark beansprucht, dass jede kleine Störung und jede Überlastung lange Staus nach sich zieht – und entsprechend mehr CO2-Emissionen, Lärm und Unfallrisiken verursacht: Eine Lose-lose-lose-Situation für die Umwelt, die Volkswirtschaft und nicht zuletzt für die Menschen, die aufgrund ihrer persönlichen Verpflichtungen mobil sein wollen oder müssen.
Es wirkt aus der Zeit gefallen, dass Strassen in gewissen Kreisen einen so schlechten Ruf haben. Die Strasse ist in der dezentralen, kleinräumigen Schweiz unverzichtbar. Mit dem verabschiedeten Klimaschutzgesetz und dank der rasanten Marktentwicklung bei der Elektromobilität wird sie spätestens 2050 grün sein. Punkto Flächenverbrauch sind gerade die Nationalstrassen bereits heute sehr effizient: Sie bewältigen pro verbrauchtem Quadratmeter 2,5-mal mehr Personenkilometer als die Bahn.
Wenn wir für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes etwas tun wollen, müssen wir Mobilität ermöglichen und nicht erschweren. Strasse und Bahn ergänzen sich dabei. Bei der Bahn hat die Politik schon vorgesorgt und rund 25 Milliarden Franken für den Ausbau bis 2035 gesprochen. Der gezielte Ausbau der Nationalstrassen mit sechs Projekten an bekannten Nadelöhren für insgesamt 5,6 Milliarden ist vor diesem Hintergrund bloss gesunder Menschenverstand. Man darf und muss über Nachhaltigkeit in der Mobilität diskutieren. Ein Ja zur Vorlage am 24. November ist daher Teil der Lösung und nicht des Problems.