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Schutzklausel: Dieses «Stop-and-go» dürfte die Zuwanderung kaum verringern, schafft aber Planungsunsicherheit für Unternehmen

Die Zuwanderung lässt sich mit einer Schutzklausel nur beschränkt steuern – umso wichtiger ist es, bei der Konkretisierung auf die Einzelheiten zu achten.

Die anhaltend hohe Zuwanderung in die Schweiz bewegt die Bevölkerung. Mehr als zwei Drittel der Zuwanderer kommen aus der EU. Aus diesem Grund hat die Schweiz in den bilateralen Verhandlungen auf Schutzmassnahmen gedrängt. Der ausgehandelte Deal mit der EU ermöglicht es der Schweiz, die Zuwanderung bei schwerwiegenden wirtschaftlichen Problemen vorübergehend einzuschränken. Nun liegt es am Bundesrat, die Schutzklausel zu konkretisieren.

Patrick Leisibach ist Ökonom und Senior Fellow beim Thinktank Avenir Suisse.
Bild: zvg

Die Ausgestaltung der Schutzklausel wird nicht nur für die Akzeptanz der bilateralen Verträge entscheidend sein. Sie dürfte auch den Abstimmungskampf über die SVP-Initiative zur 10-Millionen-Schweiz beeinflussen. Ein glaubwürdiger Schutz vor einer ungebremsten Zuwanderung könnte der Initiative den Wind aus den Segeln nehmen – so zumindest die Hoffnung.

So viel Bedeutung der Schutzklausel beigemessen wird, so fraglich bleibt ihre Wirksamkeit. Das liegt zum einen am eng definierten Rahmen, wann die Schutzklausel ausgelöst werden kann. Zum anderen ist die Schutzklausel selbst bei griffiger Ausgestaltung kein optimales Steuerungsinstrument: Wird sie regelmässig aktiviert, entsteht ein Wettlauf unter Unternehmen und potenziellen Zuwanderern – mit dem Ziel, möglichst früh einzuwandern, bevor die Schutzklausel greift.

Wenn die Massnahmen dann – mit Verzögerung – in Kraft treten, sind sie möglicherweise bereits überholt. Sollten sie tatsächlich Wirkung zeigen, sind später Nachholeffekte wahrscheinlich. Das Ergebnis: Ein ständiger Wechsel zwischen Jahren mit überdurchschnittlich hoher und eingeschränkter Zuwanderung. Dieses «Stop-and-go» dürfte die Zuwanderung kaum stark verringern, schafft aber je nach Ausgestaltung Planungsunsicherheit für die Unternehmen.

Dagegen würde eine kontinuierliche Steuerung der Zuwanderung, zum Beispiel mit einer Lenkungsabgabe pro Zuwanderer, weniger Hektik verursachen. Mit den bilateralen Verträgen ist eine solch permanente Bremse jedoch nicht vereinbar.

Bleibt also die Schutzklausel. Immerhin erlaubt die Einigung mit der EU der Schweiz, die Details dazu eigenständig im Ausländergesetz zu regeln. Diesen Spielraum gilt es klug zu nutzen, um negative Nebenwirkungen der Schutzklausel möglichst zu vermeiden. Worauf ist konkret zu achten?

Die Zuwanderung hat hierzulande bisher keine direkten wirtschaftlichen Probleme wie etwa Arbeitslosigkeit verursacht. Die eigentlichen Herausforderungen entstehen durch sogenannte «Füllungseffekte» – etwa die Überlastung natürlicher Ressourcen oder der bestehenden Infrastruktur – infolge des rasanten Bevölkerungswachstums.

Die Kriterien für die Auslösung der Schutzklausel sollten daher auf ein nachhaltiges Bevölkerungswachstum abzielen. Entscheidend sind dabei vor allem die Netto-Zuwanderung sowie die demografische Entwicklung im Inland. Nicht relevant hingegen sind Migrationsbewegungen in anderen Teilen Europas.

Wird die Schutzklausel aktiviert, sollte sie auf bürokratiearme Lenkungsabgaben setzen, also auf eine Pro-Kopf-Gebühr, die von den Zuwanderern oder allenfalls den sie beschäftigenden Unternehmen bezahlt wird.

Auf Höchstgrenzen und Kontingente ist hingegen zu verzichten. Eine quantitative Beschränkung ist anfällig für Lobbying, verursacht erheblichen administrativen Aufwand und schafft Planungsrisiken – besonders für KMU und Start-ups. Erfahrungen, welche die Schweiz in der Vergangenheit zur Genüge gemacht hat und nicht wiederholen sollte.

Man sollte sich indes keine Illusionen machen: Wenn die Schutzklausel nicht bloss als politische Beruhigungspille dienen soll, wird ihre Aktivierung unweigerlich zu Konflikten mit der EU führen. So wird die Schweiz kaum je ernsthafte wirtschaftliche Probleme nachweisen können.

Lässt sich die Schweiz auf eine Konfrontation ein, kommt ihr zugute, dass das ausgehandelte Abkommen klare Spielregeln zum Vorgehen und zu allfälligen Ausgleichsmassnahmen beinhaltet. Dies ist eine deutliche Verbesserung im Vergleich zum Status quo.

Im Falle eines politischen Zwistes sollte die Schutzklausel ihre angestrebte Wirkung dann aber auch bestmöglich erzielen. Andernfalls bleibt die reine Personenfreizügigkeit mit der EU das stabilere und volkswirtschaftlich vorteilhaftere System.