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Deutschland wagt den Neuanfang – endlich!

Deutschland hat lange auf der Stelle getreten. Mit einem 500-Milliarden-Euro-Investitionspaket wagt man nun den Aufbruch in die Zukunft.

Endlich, endlich, endlich. Man muss persönlich kein begeisterter Anhänger von Friedrich Merz sein, um den Durchbruch zwischen CDU und SPD zugunsten der Investitionen in Deutschlands Zukunft gut und richtig zu finden. Man muss nur Freundin eines Deutschlands sein, das nach Jahrzehnten der Stagnation und Schuldenverklemmung endlich wieder einen neuen Anlauf nimmt und auf die Welt reagiert, in der wir gerade alle neu und anders herausgefordert werden.

Zum einen: Deutschland hat seine Führungsrolle in Europa lange nicht mehr ausgefüllt. Während Frankreich und England die europäische Verteidigung neu organisieren wollen, steht Deutschland am Rande. Mit der Möglichkeit, Verteidigungsausgaben jenseits von einem Prozent der Wirtschaftsleistung ausserhalb der Schuldenbremse zu finanzieren, ist das möglich, was dieser Tage unausweichlich scheint – eine eigenständige europäische Verteidigung aufzubauen. Deutschland kann den Zweier- zu einem Dreierführungsbund machen. Das wird auch in der Glaubwürdigkeit gegenüber den USA helfen. Endlich.

Zum Zweiten: Das 500-Milliarden-Sondervermögen für Infrastrukturinvestitionen setzt endlich den Impuls frei, Deutschland aus dem Tal der Tränen verschlafener Digitalisierung, verspäteter oder ausgefallener Züge, maroder Brücken und verrottender Schulen wieder nach vorne zu bringen. Es sollte zu denken geben, wenn eine internationale Wirtschaftszeitung wie die «Financial Times» diesen Schritt als «das deutsche Wiedererwachen» beschreibt. Deutschland hat jahrzehntelang die Zukunft verschlafen. Es steht kurz vor knapp davor, dauerhaft abgehängt und zu einem zweitklassigen Industriestaat zu werden. Das Investitionspaket ist ein wesentlicher Schritt weg vom Abgrund. Endlich.


Zum Dritten: Ja, das bedeutet, dass der Schuldenstand Deutschlands steigt. Aber so eine Situation gab es historisch schon mal, nach der Wende 1989/99. Damals sprang der Schuldenstand von 41 auf 60 Prozent des BIP. Anders wäre die deutsche Wiedervereinigung nicht zu stemmen gewesen. Mit den jetzigen Massnahmen stiege die Schuldenrate/BIP auf 84 Prozent. Damit läge Deutschland nach Ansicht namhafter Ökonomen noch immer gut im Vergleich zu vielen seiner Nachbarstaaten. Und weil Ökonomie ja immer ganz wesentlich vom Storytelling lebt: Das Narrativ, dass Deutschland sich endlich aus der Stagnation und dem Niedergang befreien will, wird positive Signale an die Märkte senden. Endlich.

Deutschland kauft sich Freiheit – auf Kosten der nächsten Generationen

Grosse Veränderungen setzen grosse und mutige Entscheidungen voraus, und sie benötigen den Zusammenhalt derer, die diese Entscheidungen umsetzen wollen und müssen. Deshalb wäre es wirklich schön, wenn es in der öffentlichen Debatte in Deutschland nun einmal gelänge, an einem Strang zu ziehen, um das Land gemeinsam wieder nach vorne zu bringen. Schon sind wieder die Nörgler und Besserwisser dabei, alles im ewigen Frust um die nie perfekte Lösung in Grund und Boden zu reden: lieber im 100-Prozent-Anspruch ehrenhaft untergehen, als sich für einen Kompromiss zusammenzureissen, der die Voraussetzungen für ein besseres Deutschland in der Zukunft schafft.

Das gilt übrigens auch für eine Kernkritik an dem Investitionspaket: Ja, es geht auf Kosten der nächsten Generationen, die das werden bezahlen müssen. Das ist nicht schön. Noch weniger schön wird es sein, in einem deindustrialisierten Land zu leben, das international abgehängt und vom Wohlwollen möglicher autoritärer Regime abhängig ist.

Anders gesagt: Deutschland kauft sich nicht nur Aufschwung mit dieser Entscheidung. Es kauft sich Freiheit. Die ist nämlich endlich für Deutschlands derzeitiges Staats- und Wirtschaftsmodell.