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Die neue Regierungsform des Donald Trump: Aufmerksamkeits-Autoritarismus
Sechsunddreissig Executive Orders hat US-Präsident Trump in der ersten Woche seiner zweiten Legislaturperiode unterzeichnet – mehr als jeder US-Präsident vor ihm. Er kommuniziert in den sozialen Medien, vor allem auf seiner eigenen Plattform Truth Social, so rasant und viel, dass die Administration kaum hinterherkommt, davon Kenntnis zu nehmen, geschweige denn, damit umzugehen und auch manches wieder einzufangen. Das ist nicht nur der Aktivismus eines politischen Neuanfangs, es ist eine neue Art zu regieren.
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Bild: Ralph Ribi
«Meine Erfahrung besteht daraus, worauf ich bereit bin, meine Aufmerksamkeit zu richten», sagte William James, einer der Väter der Psychologie in den USA 1890. Er hat damit auf den Punkt gebracht, was heute noch mehr gilt: Real ist, was die Aufmerksamkeit der Menschen bekommt. Die wichtigste Information, die kritischste Meinung, verliert sich im Nichts, wenn Menschen ihre Aufmerksamkeit abwenden. Aufmerksamkeit ist heute das wichtigste und inzwischen auch knappste Gut, das Menschen über Wahrnehmung gegen Anerkennung tauschen können. Sie ist die Kernressource eines gesamten Wirtschafts- und Politiksystems, wie der Architekt und Philosoph Georg Franck schon 1998 in seinem Buch «Ökonomie der Aufmerksamkeit» beschrieb.
Den Diskurs mit Mist befüllen, fordert Steve Bannon
Regieren heisst dabei, per Druckbetankung die eigene autoritäre Agenda in die Köpfe der Menschen zu bringen. «Fracking people’s minds», nennt das der US-Historiker D. Graham Burnett und wählt damit eine zu Trump passende Metapher. Fracking, das heisst, Löcher und Kanäle in Gestein zu bohren, um schneller und besser an die Gas- und Ölvorräte zu kommen. Für Trump hat das nicht nur energiepolitisch Priorität. Die Propagandamaschinerie seiner neuen Regierung bläst mit Hochdruck so viel Mist ins Bewusstsein der Menschen, dass es aufgebohrt wird und die propagandistischen Botschaften sich darin dauerhaft einnisten können.
Ein Banalpsychologe hat dieses Prinzip des Regierens durch Lenken von Aufmerksamkeit platt, aber zutreffend beschrieben: Steve Bannon, Trumps Kommunikationsberater zu Beginn seiner ersten Regierungsperiode. «Flood the zone with shit», beschrieb er die Taktik, den öffentlichen Diskursraum so lange mit Mist zu befüllen, bis niemand mehr die Fakten von den Fakes oder Propaganda von Aufklärung unterscheiden kann. Das ist keine flüchtige Erscheinung, kein Zeitgeistmoment. Es ist das Ergebnis jahrelanger strategischer Vorbereitung, um eine neue Regierungsform dauerhaft zu etablieren: den Aufmerksamkeits-Autoritarismus.
Er ist das Gegenteil der deliberativen Demokratie, für deren Entwicklung und Sicherung Generationen von Menschen gekämpft haben und es in manchen Teilen der Welt immer noch tun. Deliberation, zu Deutsch: Beratschlagung, ist ein oft langsamer Prozess. Er braucht Argument und Gegenargument, die Vielfalt der Meinung von einer Vielfalt von Menschen, damit ein gutes Ergebnis, oft ein Kompromiss, gefunden werden kann. Der Aufmerksamkeits-Autoritarismus lebt von Schnelligkeit und Überzeichnung. Themen werden so laut und zugespitzt gesetzt, dass sie die Bürger gefangen nehmen und diejenigen, die dafür sind, spalten von denen, die dagegen sind.
Die deliberative Demokratie lebt vom Wechsel des Sprechens und Zuhörens zwischen Regierenden und Volk. Der Aufmerksamkeits-Autoritarismus ist eine propagandistische Dauerwerbesendung, eine Einbahnstrasse der Kommunikation, auf der nur einer Themen setzt für eine Masse von Volksempfängern.
Prioritäten der autoritären Führungsfigur dominieren alles
Die deliberative Demokratie lebt vom Fokus, um wichtige gesellschaftliche Probleme zuerst, Nebensächlichkeiten später, wenn überhaupt, in Angriff zu nehmen. Der Aufmerksamkeits-Autoritarismus lebt von den Interessen der autoritären Führungsfigur, deren Prioritäten alles dominieren, egal, was den Menschen im Land guttut. Demokratie braucht Zeit, Geschwindigkeit hingegen killt den Resonanzraum, der Konsens möglich macht.
Der Aufmerksamkeits-Autoritarismus ist die perfekte Regierungsform für das Zeitalter der sozialen Medien und der gesellschaftlichen Spaltung. Für die Demokratie ist er die Killer-App.
Dabei beschränkt sich diese neue Regierungsform nicht allein auf eine andere Art der politischen Kommunikation, sie verändert die praktische Politik auf allen Ebenen. Trump betreibt seit Amtsantritt den Ausverkauf der Verfassungsvorgaben, er ignoriert die Gewaltenteilung und tut das Gegenteil von dem, was der Kongress ihm aufgetragen hat. Öffentliche Ausgaben werden per exekutiver Anweisung gestoppt oder umgelenkt, ohne dass der Kongress als Legislativorgan überhaupt noch involviert ist. Fünf bisherige US-Finanzminister haben in einem Meinungsbeitrag in der «New York Times» deutlich gemacht, was hier gerade geschieht: «Ein Schlüsselelement der Rechtsstaatlichkeit ist die Verpflichtung der Exekutive, die Entscheidungsbefugnis des Kongresses zu respektieren: Die Legislative hat die alleinige Befugnis, Gesetze zu erlassen, die festlegen, wo und wie Bundesgelder ausgegeben werden sollen.»
Künstliche Intelligenz in allen Regierungsprozessen
Elon Musk, Tech-Unternehmer und reichster Mann der Welt, darf nicht nur vom Oval Office aus Pressekonferenzen geben. Er hat auch mit seiner Truppe von Tech-Jüngern Zugriff auf hochsensible und geschützte Daten – trotz all seiner unternehmerischen Interessenkonflikte. In radikaler Disruption will er nun die künstliche Intelligenz auf alle Regierungsprozesse anwenden, um sie schlanker zu machen und «weitreichenden Regierungsbetrug» herauszufiltern, für den er bislang keinen einzigen Beweis hat vorbringen können. So ein ungelenkter Einsatz von KI kann den Aufmerksamkeits-Autoritarismus schnell in einen Techno-Faschismus kippen lassen.
Es passiert derzeit so viel und so schnell, dass selbst mögliche Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs der USA zu spät kommen könnten, sollten sie denn Trumps Aktivitäten zurückweisen. Behörden, die einmal geschlossen und abgewickelt sind, wie USAID oder das Büro für Verbraucherschutz, lassen sich auch durch eine Gerichtsentscheidung nicht wieder aufbauen. Hochsensible Daten zu Themen wie Gesundheit und Klima, die derzeit von Trumps Handlangern bewusst in Massen gelöscht werden, lassen sich nicht rekonstruieren. Wenn die nächste Pandemie kommt, wird die WHO auf die Kooperation der USA verzichten müssen. Viel schlimmer noch: Sie wird auch keine Daten von dort bekommen, einfach weil es sie nicht mehr gibt.
Das Perfideste aber ist die latente Anpassung, die wir erleben. Einfach, weil jeder Bürger, jede Richterin sich fragen muss: Was bin ich bereit aufzugeben, um eine kritische Meinung oder Entscheidung zu vertreten? Man muss Abweichler nicht ins Gefängnis stecken, wie es in Diktaturen geschieht. Im Aufmerksamkeits-Autoritarismus reicht es, sie mit Prozessen zu überziehen, ihnen in langwierigen Auseinandersetzungen Zeit, Geld und Energie zu rauben, so lange, bis sie aufgeben. Allein in New York haben bislang sechs Richterinnen und Richter gekündigt, weil Donald Trump dem wegen Korruption angeklagten Bürgermeister Eric Adams einstweilen Immunität zugesagt hat. Wie Adams auf dieser Basis jemals sein Wort im Interesse New Yorks gegen Trump erheben will, steht in den Sternen.
Trump sieht aus wie ein Clown der Zeitgeschichte
Das Verrückte an all dem ist: Beobachtet man Donald Trump, wie er im Oval Office sitzt und zeitweilig desinteressiert Elon Musk und dessen vierjährigem Sohn dabei zusieht, wie der die Steuerungszentrale des US-Präsidenten für Propaganda missbraucht, man könnte dieses Staatsoberhaupt für einen Clown der Zeitgeschichte halten. Aber da sollte man sich nicht täuschen.
In ihrer zweiteiligen Reportage über den Eichmann-Prozess in Jerusalem für das US-Magazin «New Yorker» schrieb Hannah Arendt im Februar 1963 über Adolf Eichmann, einen der Hauptorganisatoren des Holocaust: «Je länger man diesem Mann zuhört, desto offensichtlicher wird es, dass seine Unfähigkeit zu sprechen direkt zusammenhängt mit einer Unfähigkeit zu denken, jedenfalls nicht vom Standpunkt eines anderen aus. […] Trotz aller Bemühungen der Staatsanwaltschaft konnte jeder sehen, dass dieser Mann kein ‹Monster› war, aber es war in der Tat schwierig, nicht zu vermuten, dass er ein Clown war.»
Ob Monster oder Clown, Trump ist die gegenwärtige Führungsfigur des Aufmerksamkeits-Autoritarismus. So wie jeder Vergleich mit der Geschichte hinkt, so können doch ganze Regierungssysteme langsam ins Stolpern geraten. Mit allem, was gerade passiert, wird die Demokratie nicht auf einmal abgeschaltet. Sie wird ganz unmerklich jeden Tag ein bisschen mehr gedimmt. Am Ende kann es dennoch sehr dunkel werden.