Eine Streichung der UNRWA-Finanzierung wäre katastrophal – sowohl aus humanitären als auch aus sicherheitspolitischen Gründen
Mein Name ist Magen Inon. Ich habe meine Eltern am 7. Oktober beim Angriff der Hamas verloren. Es war der schlimmste Tag meines Lebens. Aus diesem unfassbaren Gefühl des Schmerzes und der Verzweiflung heraus möchte ich darüber sprechen, was ich für das Vermächtnis meiner Eltern halte. Meine Eltern beurteilten Menschen aufgrund ihrer Handlungen und nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Statt auf Rache zu sinnen, müssen wir jetzt auf eine nachhaltige Zukunft hinarbeiten, in der alle Menschen in der Region in Frieden und Sicherheit leben können.
Aus diesem Grund bin ich der festen Überzeugung, dass eine Kürzung der Mittel für die UNRWA zum jetzigen Zeitpunkt ein grosser Fehler wäre. Sowohl aus humanitärer Sicht für die leidende palästinensische Bevölkerung als auch für die Sicherheit der Menschen in Israel.
Letzte Woche war ich zu Besuch in der Schweiz, zusammen mit einem Freund, Aziz Abu Sarah, der in diesem jahrzehntelangen Konflikt ebenfalls Familienangehörige verloren hatte. Gemeinsam setzen wir uns für eine bessere Zukunft für alle Israeli und Palästinenserinnen und Palästinenser ein. Während unseres Besuchs hatten wir die Gelegenheit, vor Hunderten von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinden in Zürich zu sprechen. Zudem trafen wir Politikerinnen und Politiker verschiedener Parteien.
Bei diesen Treffen erfuhren wir, dass die Finanzierung des UNRWA derzeit im Schweizer Parlament heftig diskutiert wird. Wir appellierten an die Politiker und Politikerinnen, sich für die Finanzierung des UNRWA einzusetzen.
Im Folgenden möchte ich unsere Gründe dafür erläutern. Erstens ist die humanitäre Lage der Zivilbevölkerung absolut katastrophal. Zweitens ist die UNRWA derzeit die einzige Organisation, die in der Lage ist, diese Bevölkerung in grossem Umfang zu erreichen und unzählige Leben zu retten. Und drittens würde die Nichtfinanzierung der UNRWA die Hamas stärken (was auch Netanyahu und seiner Regierung bewusst ist).
Zurzeit ist die Bevölkerung im Gaza-Streifen nicht nur durch Kampfhandlungen, sondern auch durch Unterernährung, Kälte, Verletzungen und Krankheiten gefährdet. Viele haben ihr Zuhause verloren, mussten mehrfach an neue Orte fliehen und schlafen nun im Freien oder in behelfsmässigen Zelten. Hunderttausende von Menschenleben sind in Gefahr. Ja, bei der Finanzierung des UNRWA besteht das Risiko, dass ein Teil der Hilfe in die falschen Hände gerät – wie es leider in jeder humanitären Krise in Konfliktgebieten der Fall ist. Aber eine Nichtfinanzierung würde bedeuten, dass die Mehrheit der Bevölkerung gar keine Hilfe erhält und damit zu grossem Leid oder gar Tod verurteilt ist.
Die UNRWA ist die einzige Organisation in Gaza (abgesehen von der Hamas), die in der Lage ist, humanitäre Hilfe systematisch an die über zwei Millionen Menschen zu verteilen. Ein aktuelles Beispiel zeigt, dass die israelische Regierung dies sehr wohl weiss. Als in Gaza ein Polio-Fall entdeckt wurde, bestand die Gefahr, dass Polio nach Israel überspringen könnte. Die israelische Regierung wollte daher dringend, dass die Kinder in Gaza gegen Polio geimpft werden. Als es dem Schutz der eigenen Bevölkerung diente, ging die Regierung eine Partnerschaft mit der UNRWA ein, um Hunderttausende Impfdosen nach Gaza zu liefern. Denn sie weiss, dass die UNRWA die einzige Organisation ist, die zu einer solchen Aktion in der Lage ist.
Schliesslich würde eine Schwächung oder Auflösung der UNRWA die Hamas stärken. Die UNRWA hat sowohl von der UNO als auch von Israel das Mandat erhalten, in den palästinensischen Gebieten eine staatsähnliche Rolle zu übernehmen und entsprechende Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser zu managen. Um diese Aufgabe in Gaza zu erfüllen, musste die Organisation natürlich eng mit Hamas-Institutionen zusammenarbeiten – da diese die lokale Regierung waren – aber auch mit Israel. Israel hat zum Beispiel das Recht, alle Mitarbeitenden der UNRWA zu überprüfen, bevor sie eingestellt werden. Sollte die UNRWA wegfallen, würde die Hamas – oder andere extremistische Gruppen, die an ihre Stelle treten könnten – an Unterstützung gewinnen, da sie die einzige verbleibende Kraft wäre, die den Menschen in ihrer verzweifelten Not staatliche Dienstleistungen und humanitäre Unterstützung bieten könnte.
In der aktuellen israelischen Regierung sitzen Rechtsextremisten, die von einer Militärherrschaft über den Gaza-Streifen und einer israelischen Besiedelung träumen. Für sie stellt die Präsenz der UNRWA ein Hindernis dar, weshalb sie auf ein Verbot der UNRWA drängen. Die Regierung weigert sich, einen Plan für Gaza für die Zeit nach dem Krieg vorzulegen. Ohne einen solchen Plan ist die UNRWA, mit all ihren Schwächen, nach wie vor die beste Möglichkeit, den Menschen in Gaza die dringende humanitäre Hilfe zu bringen.
Dies ist nicht nur im Interesse der palästinensischen Bevölkerung, sondern auch im Interesse von Israeli wie mir.