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Sollen Kinder in den Sommerferien büffeln? Kommt drauf an, findet die Erziehungsexpertin Margrit Stamm

Die Ferien sind bald da! Für viele Kinder heisst das: Ab ins Sommercamp zum Nachhilfeunterricht. Von 59 Prozent der Kinder verlangen die Eltern, dass sie in den Ferien lernen. Das hat Vor- und Nachteile.

Noch wenige Wochen, dann sind die ersehnten Sommerferien da. Verreisen, ausschlafen und unbeschwert sein. Darauf freuen sich alle.

Doch für nicht wenige Kinder sieht die Realität anders aus. Anstatt sorgenlos herumzutoben, sollen sie auch in den Sommerferien lernen. Für 59 Prozent trifft dies zu, so eine Studie, die Eltern schulpflichtiger Kinder befragt hat. Nachvollziehbar, denn heute überwiegt die Überzeugung, mit guter Förderung werde der beste Schulabschluss möglich. Nachhilfeschulen sind deshalb im Sommer besonders gut gebucht.

Der Impuls zum Sommerferienlernen kommt selten von den Heranwachsenden. Meist sind es Elternhäuser, die dies so wollen. Entweder weil die Noten nicht so gut wie erhofft sind. Oder um das Kind fit zu machen und den Rucksack für die Zukunft gut zu füllen. Andere nutzen solche Angebote, weil sie nicht wissen, wohin mit dem Nachwuchs. Für viele berufstätige Väter und Mütter sind lange Schulferien eine Herausforderung, auch für die geschicktesten Ferientaktiker.

Doch es gibt gute Gründe für das Lernen in den Sommerferien. Die Forschung belegt, dass gerade leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler einen Teil des Gelernten in dieser Zeit wieder vergessen. Wer somit während zweier Wochen in einem Angebot täglich eine Doppellektion in Mathematik oder Französisch besucht, profitiert möglicherweise davon. Ist die Motivation hoch, kann das Kindern Spass machen. Sie lernen in kleinen Gruppen, und Lehrpersonen können auf ihre Bedürfnisse eingehen.

Erziehungswissenschafterin Margrit Stamm.
Bild: pd

Problematisch ist jedoch, wenn die Sommerferien mit schulischem Lernen durchgetaktet sind. In unserer Hochleisterstudie berichteten auffallend viele der befragten Jugendlichen darüber. Nach den Familienferien stehe oft ein Sommercamp zur Verbesserung der Fremdsprachenkenntnisse an, Kurse in einem Lernzentrum und dann auch noch das Abarbeiten von Lernmaterial zu Hause. Die Mehrheit hätte jeweils lieber mehr unverplante Zeit mit Freundinnen und Freunden als ein schulisches Dauerferienprogramm.

Zum Büffeln in den Sommerferien gehen die Meinungen stark auseinander. Oft sind Eltern überzeugt, ihre Sprösslinge könnten davon besonders profitieren. Das mag durchaus zutreffen, aber es kommt auf das Wie und das Wie viel an. Heranwachsende brauchen auch Pausen vom schulischen Lernen und Möglichkeiten zum unbeschwerten Sein. Das ist der wichtigste Punkt, der gegen das Sommerferienlernen spricht. Wer zum Lernen gedrängt wird, verliert die intrinsische Motivation und empfindet Lernen als Strafe.

Wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass lange nicht alles, was man für einen erfolgreichen Bildungsweg braucht, nur in der Schule gelernt wird. Wesentliches können junge Menschen auch jenseits des schulischen Lernens erwerben. Zum Beispiel Soft Skills wie Sozialkompetenz, Hartnäckigkeit, Selbstvertrauen oder Frustrationstoleranz. Solche Skills sind alles andere als soft, sondern genauso wichtig wie Schulnoten. In einem Pfadi-, Blauring- oder Fussballlager müssen sich Mädchen und Buben solche Skills fast automatisch aneignen: eine Woche ohne Mama und Papa sein, ohne Handy und vielleicht ohne Warmwasserdusche. Und meist bewegen sie sich in altersgemischten Gruppen, sodass Ältere von Jüngeren und umgekehrt voneinander lernen.

Noch ein anderer Aspekt spricht gegen schulisches Sommerferienlernen. Nicht alle Familien haben finanzielle Ressourcen, ihre Kinder in privaten Ferienkursen fördern zu lassen. Diese Tatsache kann Bildungsungleichheiten verstärken.

Kinder haben nicht nur ein Recht auf Bildung, sondern auch ein Recht auf den heutigen Tag. Gemeinden, die attraktive und günstige Ferienpassprogramme jenseits des schulischen Lernens anbieten, tun etwas dafür. Das ist nicht nur entwicklungsförderlich, sondern entlastet auch berufstätige Eltern. Vereinbarkeitsprobleme bekommen so mal eine Sommerpause.

* Margrit Stamm ist Erziehungswissenschafterin und emeritierte Professorin der Uni Freiburg. Neben dieser Kolumne meldet sie sich auch in ihrem Podcast «Education to go» auf www.margritstamm.ch regelmässig zu Bildungsthemen zu Wort.