Nagelstudio im Pfarrhaus: Eine Ukrainerin über den Krieg, ihr neues Geschäft – und ihre Enkelin, die sie nur über Whatsapp kennt
Ihr Werbeflyer ist professionell und farbenfroh gestaltet: «Maniküre & Pediküre mit Svitlana Sys aus der Ukraine.» Und dazu ein herzhaftes «Grüezi! Ich wohne seit März in Küttigen und freue mich auf die Chance, in der Schweiz weiterhin das zu tun, was ich liebe. Mit meiner Maniküre und Pediküre Sie schön und glücklich zu machen».
Sie wirkt jünger als sie ist. Und man sieht ihr die Strapazen nicht an, die sie hinter sich hat. Ihr Nagelstudio konnte sie im Pfarrhaus auf Kirchberg einrichten. Im März 2022 wurde das damals leerstehende Haus zur Flüchtlingsunterkunft – dank privater Initiative und einer schnell reagierenden Kirchenpflege. Svitlana Sys und ihre Tochter gehörten zu den ersten Bewohnern, die AZ hat sie damals besucht. Auf die Frage, was sie nun brauche, sagte die Ukrainerin schon da: «Arbeit.» Die hat sie sich nun selber beschafft.
Das Pfarrhaus ist zwar etwas abgelegen, aber das Studio von Svitlana ist hell und geräumig. Liebevoll bestückt ist auch das Regal, das die ganze Wand bekleidet: Die geschmackvollen Deko-Artikel habe sie alle im Brockenhaus gefunden, sagt sie augenzwinkernd.
Zur Auslage gehören auch die Nagellacke: «Ich muss viele Farben haben, und ich achte auf eine gute Qualität,» meint Svitlana Sys in ihrem gebrochenen Deutsch. «Die Lacke stammen aus England, Amerika und aus der Ukraine.» Sie spricht erstaunlich gut; seit sie angekommen ist, hat sie regelmässig Deutschkurse in Aarau und Küttigen besucht. Gut Deutsch zu lernen sei ihr erstes Ziel, sagt die Ukrainerin mit leisem Stolz.
Sie floh mit ihrer Tochter zu Fuss nach Krakau
Svitlana Sys kommt aus Kiew. Sie erzählt von ihrem dortigen Leben erstaunlich gefasst. Drei Kinder hat sie alleine gross gezogen, ihr Mann war Russe und liess sie vor 14 Jahren ohne Alimente alleine zurück, als er nach Russland ging. Ihr Nagelstudio in Kiew lief gut, sie habe 16 Stunden pro Tag gearbeitet. Sie liebe das feine gestalterische Malen, und auch die Gespräche mit ihren Kundinnen hätten ihr viel bedeutet.
Als der Krieg ausbrach, zögerte sie nicht lange und floh. Ihr ältester Sohn wollte bleiben, so kam sie mit der Tochter und nahm auch die Katze mit. Der jüngere Sohn kam später nach. Zu Fuss seien sie geflohen, über Moldawien nach Krakau, zwölf Tage sei sie unterwegs gewesen.
«Wir sassen im Krakauer Bahnhof am Boden, müde und erschöpft. Es waren so viele Flüchtlinge dort, wir hatten Hunger und kaum Platz,» erzählt Svitlana bedrückt. «Da sahen wir einen älteren Mann, der versuchte, in Englisch und Deutsch mit den Flüchtlingen zu sprechen. Viele hatten Angst vor ihm, wir jedoch nicht. Es war Reto von der reformierten Kirchgemeinde Küttigen. Er nahm uns mit in die Schweiz. Wir haben grosses Glück gehabt, die Menschen hier sind so freundlich und hilfsbereit.» Das Datum ihrer Ankunft in Küttigen werden sie nie vergessen. Es war am 7. März 2022.
Ihren Enkel hat sie noch nie im Arm gehabt
Doch die Tochter wollte nicht bleiben. Sie hatte Heimweh und kehrte zurück nach Kiew, wo sie während des Krieges ein Kind gebar. Svitlanas erster Enkel ist nun sieben Monate alt, gesehen hat sie ihn nur per Whatsapp, sie sind täglich in Kontakt. «Ich habe grossen Stress,» meint Svitlana. «Kürzlich musste meine Tochter bei einem Angriff im Badezimmer übernachten, und das Haus meiner Mutter wurde zerstört.»
Sohn Illya geht, seit er Deutsch gelernt hat, in Aarau in die Bezirksschule. Er liebt wie seine Mutter klassische Musik, in Kiew haben sie das rege Opern- und Konzertleben sehr geschätzt. Doch nun ist sie hier, denkt positiv und orientiert sich neu. Die Schweiz sei das beste Land, schwärmt die Ukrainerin, sie liebe auch die wunderschöne Natur. Viele Kundinnen hat Svitlana in Küttigen noch nicht, aber doch einige treue. Daneben putzt sie auch da und dort, das würde sie gerne ausbauen.