Humorvoll oder diskriminierend? Tilsiter-Werbung mit Genderstern spaltet die Gemüter
«Ich liebe Tilsiter, aber diese Werbung geht gar nicht» – so oder ähnlich äussern sich viele Instagram-User zu einem Werbeplakat des Käseherstellers, den es seit 1893 gibt. Dieser hat am Dienstag laut PilatusToday einen Wettbewerb gestartet und die Community aufgerufen, sogenannte «Tilsiter-Weisheiten», die sich reimen müssen, in die Kommentarspalte zu schreiben. Die beste «Weisheit» werde mit 2500 Franken prämiert. Und um zu zeigen, wie es geht, macht Tilsiter auf einem Werbeplakat gleich den Anfang: «Alle sind jetzt non-binär und lieben diversen Tilsit*er.»
Gehalten sind die Buchstaben in den für die LGBTQ-Community typischen Regenbogenfarben. Klar, dass dies nun rege diskutiert wird. Ein anderer Kommentar lautet: «In eurer Marketing-Abteilung sitzen wohl auch nur weisse Cis-Männer. Einfach nur geschmacklos.» Die Provokation scheint aufgegangen zu sein.
«Sind mit Augenzwinkern zu verstehen»
Oder hat sich Tilsiter sein 130-jähriges Jubiläum, der Anlass der Kampagne, etwa anders vorgestellt? «Wir nehmen die jahrhundertealte Tradition der gereimten Bauernweisheiten auf und füllen sie mit originellen Inhalten, welche die Vorzüge von Tilsiter frisch, frech und fröhlich auf den Punkt bringen», sagen Markus Ruf und Danielle Knecht Lanz, die für die Kampagne verantwortlich zeichnen, gegenüber «march24».
Das Wort «frech» lässt also erahnen, dass das alles geplant und kalkuliert war. Tatsächlich sagt Urs Hänni, Managing Director von Tilsiter, gegenüber «20 Minuten», dass die Weisheiten «immer auch mit einem Augenzwinkern zu verstehen» seien. Mit den diversen Farben wolle man Vielseitigkeit und Weltoffenheit propagieren.
Nun, ist das denn auch gelungen? Gegenüber ZüriToday sagt Sigmond Richli, Mitglied des Transgender Network Switzerland (TGNS) und selbst eine non-binäre Person: «Die Aussage ist inhaltlich natürlich absolut falsch, denn es sind nicht alle Menschen non-binär.» Auch habe non-binär sein und divers zu lieben nichts miteinander zu tun – ersteres sei eine Geschlechtsidentität, zweiteres eine sexuelle Orientierung.
Der Sprachwitz sei gelungen
Dass in der Werbung Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung und darüber hinaus sogar geschlechtergerechte Sprache zusammen in einen Topf geworfen werden, könne Vorurteile gegenüber Betroffenen bestärken. «Die Werbung bewegt sich auf sehr dünnem Eis», so Richli.
Andere «Tilsiter-Weisheiten» drehen sich übrigens um zu schnelles Autofahren, um die Politik oder die um Energiekrise:
In einem Punkt spricht Richli den Verantwortlichen der Werbung aber Lob aus: «Der Sprachwitz mit dem Genderstern ist gelungen, er unterstreicht den (selbst)ironischen Charakter der Werbung offensichtlich.» Dadurch könne die Werbung so verstanden werden, dass sie die Menschen, die einen «Genderwahn» beklagen, auf die Schippe nimmt.
Ähnlich sehen es auch weitere Kommentare unter dem Instagram-Post: «Coole Werbung. Mutig aber gut!», schreibt jemand. Oder: «Geniale Werbung. Bravo! An jene, die sich aufregen: Ist das tolerant, wenn man keinen Humor versteht?» (mhe/Today-Zentralredaktion)