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Kloster-Komponisten, die Landeshymne und «habsburgische Musik»: Eine einzigartige Aargauer Musiktradition

Bereits vor bald 1000 Jahren beteten die Mönche von Muri singend. Was als Gottesdienst musikalisch begann, ist heute fest in Form von Konzerten im Aargauer Kulturbetrieb verankert. Sie halten die benediktinische Tradition lebendig.

Christoph Anzböck blickt auf die vier Musikemporen und drei wertvollen historischen Orgeln in Muri und sagt: «Das ist ein im europäischen Vergleich einmaliges Gesamtkunstwerk.» Er ist der künstlerische Leiter der Reihe «Musik in der Klosterkirche». Diese gehört zum Programm von «Murikultur».

Dabei setzt sich Anzböck nicht nur intensiv mit dem «einzigartigen Klangraum» der Klosterkirche auseinander, sondern auch mit der Klostergeschichte und der Erschliessung noch unbekannter Musik. «Die Entdeckungsarbeit ist für mich ein zentraler Aspekt meiner Tätigkeit.» So plant Anzböck im Kloster Muri-Gries dem Repertoire von Klosterkomponisten nachzugehen. Doch was ist über die klösterliche Musiktradition, insbesondere von Muri, bekannt?

Musik wurde am Kloster zum Schulfach

Bereits die Benediktsregel aus dem 6. Jahrhundert erwähnt das gesungene Chorgebet. Jede Woche sollte «der ganze Psalter mit den 150 Psalmen gesungen» werden. Bis heute strukturiert das gesungene Chorgebet den benediktinischen Alltag. Die Fähigkeit zum Gesang war in vielen Klöstern ein wichtiges Kriterium beim Eintritt in die Gemeinschaft.

Über die Jahrhunderte entwickelte sich in den Klöstern eine breite Musiktradition. Die Konvente bildeten Mönche zu Organisten aus, die Gottesdienste musikalisch begleiteten, auch in Muri. In der Klosterkirche Muri befinden sich noch heute drei Emporenorgeln in weitgehend historisch erhaltenem Zustand. Auch andere Instrumente wie Violine wurden erlernt und gesammelt, Musik wurde zum Schulfach. Ab dem 19. Jahrhundert etablierten sich ein Schulorchester und Chöre.

Kloster-Komponisten und die Schweizer Landeshymne

Orgeltisch der grossen Orgel in der Klosterkirche Muri.
Bild: Bernhard Kägi

Unter den Mönchen aus Muri befanden sich auch Komponisten. So war Pater Gerold Zwyssig sehr produktiv, ebenso sein Bruder in Wettingen: Alberik Zwyssig, der Komponist der Schweizer Landeshymne.

Sie und zahlreiche weitere Patres hinterliessen einen grossen Fundus an Noten. «Die Patres in den Aargauer Klöstern pflegten während Jahrhunderten neben dem liturgischen Gesang auch die mehrstimmige Kirchenmusik», sagt Claudio Bacciagaluppi. Er befasst sich für das Répertoire International des Sources Musicales mit Musik aus Schweizer Klöstern.

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts erfassen die Fachpersonen der Organisation die Kunstmusik der Schweiz in einer Datenbank. Über 100’000 Titel aus 220 Archiven sind heute online abrufbar, darunter auch die Klostermusik.

Wo befinden sich die Murianer Musiknoten?

Einige klösterliche Kompositionen und in Klöstern genutzte Werke sind heute in den Musikbibliotheken der Klöster überliefert. Komplizierter wird es bei Klöstern wie Muri, die durch die Klosteraufhebung von 1841 im Aargau einen Ortswechsel erlebten und deren Archiv- und Bibliotheksgut heute auf mehrere Standorte verteilt ist.

Ein ausführliches Inventar von 1846 zeigt, dass mehr als 600 Musiktitel aus Muri mit der Klosteraufhebung in staatlichen Besitz gelangten. «Musikalien und die Musikinstrumente wurden im ganzen Kanton verteilt», sagt Bacciagaluppi. «Im ganzen Kanton» heisst: in der Kantonsbibliothek Aarau, im damaligen Lehrerseminar Wettingen (heute Kantonsschule), in der Bezirksschule Muri sowie in 18 Pfarrkirchen des Kantons. Dort befanden – und befinden sich zum Teil noch heute Musiknoten aus Muri und Wettingen.

Christoph Anzböck, der künstlerische Leiter von «Musik in der Klosterkirche Muri».
Gregor Galliker – Gregorgalliker

«Wir pflegen auch ‹habsburgische Musik›»

Doch nicht alle Musikalien aus Muri wanderten in staatliche Institutionen. Einige davon nahmen die Mönche selbst mit in ihr neues Kloster Muri-Gries bei Bozen in Südtirol. In dieser Bibliothek sind rund 250 Signaturen mit Musikalien aus Muri überliefert.

Diese bislang kaum beachteten Werke könnten bald Eingang in die Klosterkirche Muri finden. Laut Anzböck knüpft diese bereits heute an die benediktinische Tradition an, mit gregorianischen Chorälen oder festlichen Vespergottesdiensten. «Wir pflegen mit Blick auf die Klostergründer auch ‹habsburgische Musik›», sagt Anzböck und erwähnt neben szenisch aufgeführten Oratorien, mehrchörige Projekte als Besonderheiten der Musik in der Klosterkirche. «So machen wir die Geschichte erlebbar und erhalten die Klosterkirche als liturgisches und kulturelles Zentrum.»