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Die Monologe, die wir in unser Smartphone sprechen

Telefoniert wird von den Jungen schon lange nicht mehr. Aber nun werden auch SMS und Co immer mehr ersetzt – durch Sprachnachrichten. Was macht das mit unserer Kommunikation?

Wenn sogar die Grossmama auf eine SMS mit einer Tonaufnahme reagiert, dann ist die Sprachnachricht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Allein per Whatsapp werden heute jeden Tag sieben Milliarden Sprachnachrichten verschickt. Vor allem von den Jungen. 10- bis 30-Jährige sind die Treiber dieser relativ neuen Kommunikationsform. Sie setzt sich aber mehr und mehr auch bei Eltern und Grosseltern durch – bei der Generation, die keine Hand frei hat, und jener, der die Smartphone-Tasten schon immer zu klein waren.

Distanzierte Leben

Der Trend zur Sprachnachricht spiegelt unsere Lebensweise wider. «Wir werden als Gesellschaft immer mobiler, sind viel unterwegs, und die Kommunikation durchzieht den Alltag», sagt Aleksandra Gnach, Professorin für Medienlinguistik an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). «Unsere Tagesabläufe sind nicht mehr so synchron getaktet wie früher, weshalb zwei Personen sich oft nicht gleichzeitig in derselben Kommunikationssituation befinden.»

Der Effekt ist eine Entkopplung von Senden und Empfangen. Die Sprachnachricht ist zeitversetzt. Das hat Vorteile für beide Seiten. Sie gibt einem die Möglichkeit, etwas zu sagen, wenn man Zeit hat, etwa wenn man auf den Zug wartet. Der Empfänger wiederum hat die Freiheit, die Nachricht dann zu hören, wenn er Zeit hat. «Für ein Telefongespräch hingegen muss ich mich konzentrieren, Sprachnachrichten kann ich unterwegs sprechen und unterbrechen, wenn ich etwa ein Billet lösen muss», so Gnach. Und dann ist es einfacher, einen komplexen Sachverhalt via Sprachnachricht zu erklären, als in einer ellenlangen Textnachricht.

Telefonieren verlernt

Die junge Generation ist längst telefonmüde geworden. Dass sie nicht gern telefonieren, geht bei gewissen Jugendlichen so weit, dass sie diese Kulturtechnik in der Lehre gar nicht mehr richtig können. Sie sind es nicht mehr gewohnt, sich so zu exponieren, wie man es in einem Telefongespräch tut. Eine Umfrage eines britischen Mobilfunkanbieters förderte zu Tage, dass sechs Prozent der befragten Jugendlichen zwischen 18 und 24 Jahren sogar in einem Notfall nicht telefonieren würden – sie verschickten eine Sprachnachricht.

Hintergrund all dieser Entwicklung ist die sogenannte Distanzkommunikation, die sich mit dem Internet verbreitet hat, wie Christa Dürscheid sagt, Linguistin am Deutschen Seminar der Universität Zürich. «Dem Arbeitskollegen, der nebenan im Büro sitzt, schreibt man eine E-Mail, statt rüberzugehen und Face-to-Face zu reden.» Junge Leute verabredeten sich nicht mit einem Telefonat, sondern mit Whatsapp. Das führe dazu, dass wir sehr oft kommunizieren, ohne den anderen zu sehen, sagt Dürscheid. «Wir sehen keine Mimik, nicht, ob jemand lächelt oder die Stirn runzelt.» Dabei entstehen – trotz Emoji-Arsenal – auch eher Missverständnisse.

Demgegenüber können Sprachnachrichten Missverständnisse abbauen helfen. Sie sind so gesehen «eigentlich ein Zurück zur ursprünglichen Form der Kommunikation, da sie wieder an die Stimme gebunden ist», sagt Dürscheid. Im Gegensatz zu Textnachrichten können Sprachnachrichten aber nicht in beinahe jeder Situation rezipiert, also abgehört werden. Will man jemanden dringend erreichen, empfiehlt sich also immer noch eher die Textnachricht.

Chance für Illiteraten

In Ländern mit einer tieferen Alphabetisierung sind Sprachnachrichten noch stärker verbreitet als in der Schweiz. Die Tonaufnahme macht die Kommunikation auch für Leute zugänglich, die nicht oder kaum schreiben und lesen können. Gnach nennt als Beispiel Bhutan, wo die Kommunikation hauptsächlich via Messenger-App verläuft. «Wenn die Menschen in der Stadt arbeiten, können sie so in Verbindung mit ihrer Community bleiben.»

Gnach und Dürscheid sehen die Sprachnachricht primär als Erweiterung des Kommunikationsrepertoires. «Je mehr man auswählen kann, desto mehr kann man falsch machen», sagt Gnach. Es sei Kommunikationskompetenz gefragt und diese erlerne man nicht einfach so. «Leider wird in der Schule solchen alltäglichen Kompetenzen keine oder zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.» Je nachdem, wo man sich befinde, sei eine Sprach- oder eine Textnachricht passender, sagt Gnach. «Es kommt auch darauf an, für wen die Nachricht ist, in welcher Beziehung man zu dieser Person steht.»

Selbstinszenierung

Im Gegensatz zum Telefongespräch ist eine Sprachnachricht ein kleiner Monolog, mit in der Regel längeren einzelnen Sequenzen als bei SMS-Kommunikation. Führt das nicht zwangsläufig zur Geschwätzigkeit? Teilweise schon, sagt Gnach. «In einer entzerrten Kommunikationssituation, wo man nicht sieht, wie die Adressatin reagiert, wie viel Zeit sie zum Zuhören hat, und so weiter, sieht man die Reaktion nicht und kann dementsprechend seinen Sprechbeitrag nicht situativ anpassen.» Dürscheid findet, auch das sei eine Frage der Medienkompetenz. «Man weiss vorher, jetzt spreche ich, sollte sich also überlegen, was man sagen will und was nicht.»

Sprachnachrichten seien aber oft auch ein kleines Spektakel, eine Inszenierung, sagt Dürscheid. Es werden – scheinbar beiläufig – Hintergrundgeräusche mitgeschickt, es wird gehustet oder die Nase geschnäuzt. Die Selbstdarstellung ist Teil der Botschaft – auch insofern dient sich die Sprachnachricht der Tiktok-Generation als Kanal der Wahl an.