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Das Parlament berät die Sammelklage: Von einer Insel der geprellten Konsumenten und der Gefahr eines Haifischbeckens

Am Montagnachmittag diskutiert der Nationalrat über den Ausbau der Verbandsklage. Damit kommt ein Zankapfel, der die Ratsmitglieder seit 2013 spaltet, in den Erstrat. Die zuständige Kommission empfiehlt die Ablehnung.

Als herauskam, dass der Autohersteller VW im grossen Stile Abgaswerte gefälscht hatte, verloren VW-Autos auf der ganzen Welt an Wert. Rund eine Viertelmillion VW-Kundinnen und Kunden erhielten eine Entschädigung. In den USA, Frankreich und Österreich – aber nicht in der Schweiz. Dort steht nämlich das Instrument der Sammelklage nicht zur Verfügung, so wie sie die USA und europäische Länder kennen.

Schon 2013, zwei Jahre vor diesem Skandal, beauftragte das Parlament den Bundesrat, die Sammelklage auch hier zu ermöglichen. Die Diskussion verlief sehr kontrovers. Die Angelegenheit kam in die Rechtskommission des Nationalrates, die eine Studie dazu in Auftrag gab. 2023 wurde sie noch um eine Befragung von Unternehmen ergänzt, um die Gültigkeit der Studie zu testen.

Im letzten Oktober empfahl eine Mehrheit der Kommission aus SVP, FDP und Mitte-Politikern die Vorlage zur Ablehnung und warnte davor, dass die Sammelklage nicht ins Schweizer Rechtssystem passe und es «amerikanisieren» könnte. Eine Kommissionsminderheit aus SP, Grünen, GLP und dem Mitte-Nationalrat Vincent Maitre kritisierte allerdings eine mangelnde inhaltliche Diskussion der Vorlage. Nun wird sie zum ersten Mal am Montagnachmittag im Nationalrat beraten.

«Die wichtigsten Zähne wurden gezogen»

Sara Stalder vom Konsumentenschutz erwartet, dass die Vorlage einen schweren Stand im Nationalrat haben wird: «Die Wirtschaftsverbände stellen sich dogmatisch dagegen.» Sie versteht diese vehemente Bekämpfung nicht angesichts der angestrebten Änderungen: «Es ist keine strenge Vorlage, die wichtigsten Zähne wurden ihr gezogen.»

Sara Stalder, Konsumentenschützerin
Bild: Marcel Bieri / KEYSTONE

«Wir sind mittlerweile eine Insel von Leuten, die einfach nicht zu ihrem Recht kommen», sagt Stalder. Bei einer Schadenssumme bis 20’000 Franken lohne es sich nämlich für die meisten nicht, das Risiko eines Prozesses einzugehen. Deshalb sei die Debatte am Montag so wichtig: «Dann geht es darum, den Zugang zum Recht für die meisten Leute hier in der Schweiz zu gewährleisten.»

Dass durch die Sammelklage eine «Amerikanisierung des Schweizer Rechts» in Aussicht gestellt wird, findet Stalder nicht legitim: «Man vergleicht hier amerikanische Äpfel mit Schweizer Birnen.»

Für sie ist klar: «Die geltenden Rechtsinstrumente greifen nicht.» Die Wirtschaftsverbände weibelten mit all ihrer Macht dagegen. Sie sehe deshalb derzeit kein anderes Mittel als zukünftige Skandale in der Grössenordnung des VW-Dieselskandals, um den Druck zu erhöhen. «Ich hoffe, dass dann die Parlamentsmitglieder anfangen, für die normalen Leute zu denken, statt nur für Konzerne und Industrie.»

Die Schweiz begäbe sich in ein «Haifischbecken»

Auch Erich Herzog von Economiesuisse anerkennt, dass es sich bei tiefen Streitwerten nicht lohnen kann, zu klagen. Lösungen sieht er in Ombudsstellen, technologischen Mitteln und einer Optimierung der bestehenden Klagetypen. «Die Vorlage ist mittlerweile faktisch zehn Jahre alt und verfolgt einen komplett überholten Ansatz», sagt er. «Die Schweiz begibt sich damit in das Haifischbecken der Prozessfinanzierer.»

Erich Herzog, Mitglied der Geschäftsleitung Economiesuisse, Bereichsleiter Wettbewerb & Regulatorisches
Bild: Boris Baldinger

So warnt Economiesuisse in einem Statement, dass sich die Anzahl Sammelklagen in den letzten fünf Jahren in Europa verdoppelt habe. Länder wie die Niederlande und Grossbritannien sähen sich der Herausforderung gegenüber, ausreichende Regulierungen einzuführen, um Profiteure wie auf Sammelklagen spezialisierte Anwälte und Prozessfinanzierer zu bremsen.

Zudem befürchtet Economiesuisse, dass ein steigender Kostendruck auf Unternehmen und erhöhte Reputationsrisiken durch öffentlichkeitswirksame Sammelklagen den Wirtschaftsstandort Schweiz schwächen könnten.

Auch Herzog findet, dass man das amerikanische und Schweizer Rechtssystem nicht direkt vergleichen kann. «Sammelklagen in den USA sind entstanden, da man Unternehmen durch den Staat weitgehend freie Hand gelassen, dafür aber den Privaten sehr potente Rechtsmittel gegeben hat.» Die Schweiz habe dagegen stärker auf behördliche Kontrolle und damit Regulierung gesetzt. «Eine private Durchsetzung der Regulierung ergibt hier keinen Sinn.»

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