Auch Hausärzte sollen mit dem elektronischen Patientendossier arbeiten müssen – ausser sie sind über 60
Bei der Diagnose ist man sich einig: Das elektronische Patientendossier kränkelt. Nur gut 42’000 Patienten haben eines eröffnet, viele Spitäler und Ärzte arbeiten nicht damit – und wegen der beschränkten Funktionen ist es als PDF-Friedhof verschrien. Der Bundesrat will ihm nun in zwei Schritten Schub geben: Zunächst mit einer Übergangsfinanzierung von 30 Millionen Franken, anschliessend mit einer grösseren Reform, das unter anderem ein Obligatorium für alle Ärztinnen und Apotheker vorsieht.
Das geht manchen zu langsam. Sie sagen: Um das elektronische Patientendossier voranzubringen, müsse man möglichst rasch alle Leistungserbringer verpflichten, damit zu arbeiten. Denn wenn jemand ein Dossier eröffnet, sein Hausarzt oder Spezialist aber nicht damit arbeitet, fehlen diese Daten – und das Ziel, alle relevanten Informationen zu einem Patienten zu bündeln, wird verfehlt.
Heute gilt eine Pflicht für Spitäler, Pflegeheime, Geburtshäuser sowie neu zugelassene Arztpraxen; wobei nicht alle dieser Vorgabe nachkommen. Bisher sind laut Bund zwei Drittel der Spitäler und rund die Hälfte der Alters- und Pflegeheime angeschlossen. Bei den Arztpraxen sind es 16 Prozent.
Hauchdünner Entscheid
Der Nationalrat will nun aufs Tempo drücken: Er will die Pflicht bereits bereits mit der Vorlage zur Übergangsfinanzierung auf alle Leistungserbringer ausweiten. Eine Ausnahme soll für ambulante Leistungserbringer gelten, die bei Inkrafttreten 60 Jahre oder älter sind. Die 61-jährige Hausärztin soll das IT-System also nicht mehr aufrüsten müssen.
Der Vorschlag aus den Reihen von SP und FDP fand am Donnerstag eine knappe Mehrheit im Nationalrat. «Damit das elektronische Patientendossier funktioniert, braucht es nicht nur mehr Patienten, die es nutzen, sondern auch mehr Leistungserbringer, die angeschlossen sind», argumentierte SP-Nationalrätin Sarah Wyss.
Mit der Ausnahmeklausel für ältere Ärzte und Ärztinnen und einer dreijährigen Übergangsfrist will der Nationalrat eine Brücke zum Ständerat bauen. Dieser hat ein Obligatorium zuletzt deutlich abgeschmettert.
Im Nationalrat lehnten einzig SVP und die Mitte den Vorschlag ab. Die Mitte hatte sich im Dezember noch für ein Obligatorium ausgesprochen, stimmte nun aber dagegen. Das habe taktische Gründe, sagt Mitte-Gesundheitspolitiker Thomas Rechsteiner: «Wir wollten diese Differenz zum Ständerat ausräumen, damit die Vorlage möglichst schnell ins Ziel kommt.»
Ärzte warnen vor Mehraufwand
Ein möglicher Stolperstein auf dem Weg zum Ziel ist der Widerstand der Ärzteverbindung FMH. Sie weist darauf hin, dass zum jetzigen Zeitpunkt eine Pflicht für alle Leistungserbringer nicht zielführend sei, weil das elektronische Patientendossier noch «technische wie organisatorische Mängel» aufweise. Die Lösung des Nationalrats mit der Ausnahmeklausel für über 60-Jährige geht aus Sicht der FMH in die richtige Richtung, wie eine Sprecherin sagt. «Zur Sicherung der Grundversorgung ist die Schweiz darauf angewiesen, dass Ärztinnen und Ärzte über das Pensionsalter hinaus zu arbeiten.»
Der Entscheid ist noch nicht definitiv. Ob sich der Ständerat kommende Woche dem Nationalrat anschliesst, hängt von Mitte und FDP ab. Die Chancen scheinen intakt.