Die Rückkehr eines Totgeglaubten: Der Rat muss über Zielvorgaben im Gesundheitswesen nochmals abstimmen
Yvonne Gilli erlebt grad einen Zombie-Moment. Schon mehrmals hat die Präsidentin der Ärztevereinigung FMH die Forderung nach einem Kostendach in verschiedener Form erfolgreich bekämpft und zu Grabe getragen. Aber immer taucht sie wieder auf – und sie muss mit ihrer Arbeit von neuem beginnen.
Aktuell tritt die Forderung als Artikel 47c im Massnahmenpaket des Bundesrats auf, das die Kosten im Gesundheitswesen dämpfen soll. Dieser Artikel zwingt die Tarifpartner, die Kosten für Leistungen zu reduzieren, falls sie im Vorjahresvergleich allzu stark steigen. Konkret bedeutet das: Ärzte, Spitäler sowie andere Leistungserbringer müssen mit den Krankenkassen ein Kostenziel vereinbaren. Eine Überschreitung dieses Ziels führt zu Sanktionen. Entweder wird fürs Folgejahr ein degressiver Tarif eingesetzt, der die Kosten von Behandlungen reduziert. Oder die Leistungserbringer müssen sogar Geld zurückzahlen. Beides ist für die Ärzteschaft unhaltbar. Denn der Grund für die Kostensteigerung liegt nicht notwendigerweise beim Arzt. Zudem müssen Tarife per Gesetz wirtschaftlich sein. Ein degressiver Tarif bedeutet im Umkehrschluss, die Ärzteschaft zu zwingen, Verluste zu schreiben.
Zombie-Artikel tanzt auf Messers Schneide
Dass am ersten Montag der Frühlingssession das Parlament wieder über Artikel 47c abstimmt, kommt unverhofft. Die Nationalrätinnen und Nationalräte lehnten den Passus vor über einem Jahr mit 91:90 Stimmen ab. Mitte Dezember fällte Ständeratspräsident Thomas Hefti (FDP) dann den Stichentscheid – und kippte den Artikel definitiv aus dem Gesetz.
Damit wäre die Sache für die Ärzte und die anderen Gegner eigentlich gegessen gewesen. Nur wenige Wochen nach dessen Streichung erlebt der Passus ein unerwartetes Revival: Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel (AG) hat ihn wieder zum Leben erweckt und ein Rückkommen beantragt. Der Artikel erscheint nun leicht modifiziert, will aber das gleiche.
Das Vorgehen ist fragwürdig. Einerseits kann es als Zwängerei ausgelegt werden: Ein Rückkommensantrag wird zwar ab und an mal gestellt, wenn Verfahrensfehler geschehen. Mitte-links will aber einen demokratisch gefällten Entscheid wiederholen, weil das Ergebnis das falsche war. Das könnte sich durchaus lohnen: In beiden Räten stand der Entscheid auf Messers Schneide. Bei einer Wiederholung kann das Resultat genausogut anders ausfallen.
Die Wiederholung ist andererseits widersinnig, weil das Parlament das gleiche Thema ausführlich diskutiert, wenn die Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei sowie der Gegenvorschlag des Bundesrats zur Debatte stehen. Beide wollen Zielvorgaben oder Kostendeckel in verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens einführen – auch für Arztpraxen. Wieso also die ganze Mühe und Kritik auf sich nehmen, wenn es auch einfacher geht?
Vorderhand erklärt die Mitte-Partei ein Glaubwürdigkeitsproblem in der eigenen Fraktion: Es wurde den abtrünnigen Mitgliedern angekreidet, dass sie bei der ersten Gelegenheit kostendämpfende Massnahmen zu beschliessen, diese ablehnen. Wie wollen sie dann die eigene Initiative verteidigen?
Allerdings kann auch bei der heutigen Wiederholung im Nationalrat nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Fraktionsmitglieder von der Parteilinie abweichen. Deshalb stecken wohl eher taktische als inhaltliche Gründe dahinter.
Pandemie hat Initiative ad absurdum geführt
Sowohl die Kostenbremse-Initiative wie der bundesrätliche Gegenvorschlag haben einen schweren Stand, weil fast alle Gesundheitsakteure sie ablehnen. Die Annahme von 47c wäre ein entscheidender Schritt hin zur Kostensteuerung. Nebst der Mitte sucht vor allem Bundesrat Alain Berset und sein Gesundheitsamt stärkere Hebel, um die Kosten zu kontrollieren.
Für die Mitte wäre es ein Erfolg, Teile der Initiative auf dem parlamentarischen Weg umzusetzen. Denn so manches Parteimitglied will die Initiative nicht zwingend vors Volk bringen.
Die Erfahrung zeigt, dass Herr und Frau Schweizer sich den Zugang zu medizinischer Versorgung nicht einschränken lassen wollen. Diese Tendenz hat sich während der Pandemie noch verstärkt. Entscheidender ist aber die Erkenntnis, dass der Meccano der Kostenbremse in einer Gesundheitskrise einen unerwünschten Effekt hat. Die Initiative will die Entwicklung der Gesundheitskosten an die wirtschaftliche Entwicklung koppeln – ob über das Bruttoinlandprodukt oder das verfügbare Einkommen ist noch zu bestimmen. Klar ist indes: Sinkt das Wirtschaftswachstum aufgrund einer Krise, müssten in der Folge auch die Gesundheitskosten sinken. Das Problem dieser Koppelung legte erst die anhaltende Corona-Krise offen.
Der Ausweg über Artikel 47c ist zwar nicht sehr elegant, aber effizient. Für Ärztepräsidentin Yvonne Gilli ist die ständige Rückkehr dieser Forderung dennoch ein Ärgernis.